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Information ist in Brüssel alles Ein Unterschied besteht zur in Österreich etablierten Stellung der Sozialpartner: "Wir müssen uns hier erst Gehör verschaffen und unsere Stellung erkämpfen", so Christof Cesnovar.

Information ist in Brüssel alles

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Seit mehr als 20 Jahren vertreten AK und ÖGB die Interessen der ArbeitnehmerInnen in der EU-Hauptstadt.

Es ist so: AK und ÖGB sind schon länger in der EU als die Republik Österreich. Denn als das Land 1995 beigetreten ist, da waren die ArbeitnehmerInnenorganisationen bereits mit eigenen Büros in Brüssel vertreten. Die Arbeit ist seitdem nicht weniger geworden: „Im heutigen Europa müssen Gewerkschaften jeden Tag aufs Neue die Rechte der ArbeitnehmerInnen verteidigen“, schrieben Amir Ghoreishi und Oliver Röpke, die Chefs der Brüssel-Niederlassungen von AK und ÖGB.1 In dieser Ausgabe wirft Arbeit&Wirtschaft nun einen Blick darauf, wie das im Detail vor sich geht.

„Besser direkt vor Ort“

Kann man die EU nicht auch aus der Entfernung bearbeiten? „80 Prozent aller Entscheidungen, die Österreich betreffen, fallen in Brüssel, deshalb ist es besser, direkt vor Ort zu sein, als nur von Wien aus zu versuchen, Einfluss zu nehmen“, stellt Christof Cesnovar klar, der für die AK Themen wie Sozial- und Arbeitsmarktpolitik betreut. ÖGB und AK haben nicht einfach nur irgendein Büro gemietet. Alle Sozialpartner und auch die Industriellenvereinigung sind in der „Ständigen Vertretung“, also der offiziellen Botschaft der Republik Österreich in der EU, untergebracht. „Das ist europaweit einzigartig und ein großer Vorteil, denn in diesem Haus sitzen auch die VertreterInnen der einzelnen Ministerien. Weil wir hier untergebracht sind, haben wir durch die vereinfachte Zusammenarbeit einen Informationsvorsprung – und Information ist in Brüssel alles“, betont Cesnovar.

Wer Infos hat und über Kontakte verfügt, der kommt in Brüssel durch. Ein Beispiel: das Pensionssystem, zu dem sich die Kommission oft äußert, obwohl Pensionen eigentlich nicht in ihrer Kompetenz liegen, sondern in derjenigen der Mitgliedsstaaten. Die Kommission sähe das gesetzliche Pensionsantrittsalter gerne von 65 auf 67 Jahre erhöht, damit das System langfristig finanzierbar bleibt. AK und ÖGB finden hingegen die Beschäftigungspolitik viel wesentlicher, denn wenn mehr Menschen arbeiten, dann fließen auch mehr Beiträge in die Pensionsversicherung. Cesnovar: „Das ist die entscheidende Frage. Und wir konnten mit guter Expertise schließlich auch die Kommission davon überzeugen, dass das ein wichtiger Punkt ist. Sie hat dann unsere Berechnungen und auch unsere Einschätzung übernommen – was vorher noch nie vorgekommen ist!“

ÖGB-VertreterInnen sitzen auch in offiziellen Gremien wie dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA), der die Kommission berät. Mindestens so wichtig sind aber in der EU die innoffiziellen Kontakte – Stichwort Vernetzung. Der ÖGB ist ständig in Kontakt mit den Gewerkschaftsbünden der anderen EU-Länder, einerseits in den Gremien und Arbeitsgruppen des EGB, anderseits auch in regelmäßigen Abstimmungssitzungen der Brüssel-Büros der verschiedenen Gewerkschaften, wo Positionen abgeklärt und Strategien entwickelt werden. Neva Löw, die für den ÖGB unter anderem die Bereiche Handel, Verkehr und öffentliche Dienste betreut: „Besonders eng ist die Zusammenarbeit mit dem DGB, allein schon wegen der gemeinsamen Sprache, aber auch mit Gewerkschaften aus anderen Ländern organisieren wir regelmäßig Veranstaltungen.“

Vernetzungstreffen

Bei vielen informellen Treffen versuchen die AK- und ÖGB-Expertinnen und -Experten die Position der ArbeitnehmerInnen einzubringen, zum Beispiel mit Abgeordneten zum EU-Parlament (EP), aus Österreich vor allem mit Evelyn Regner. ÖGB und AK versuchen aber auch, mit detaillierten Abstimmungsempfehlungen das EP von der Position der ArbeitnehmerInnen zu überzeugen. Diese werden schriftlich an die Abgeordneten entweder eines bestimmten Ausschusses oder des gesamten Plenums versendet.

Und es gibt Vernetzungstreffen, wo sich Gewerkschaften mit NGOs aus den verschiedensten Bereichen zu themenspezifischen Allianzen auf Zeit zusammenschließen. Ein aktuelles Beispiel ist das Handelsabkommen TTIP, das gerade zwischen der EU-Kommission und den USA ausgehandelt wird. Hier versuchen die unterschiedlichsten Akteurinnen und Akteure, eine gemeinsame Position zu finden, wie man das Handelsabkommen beeinflussen kann. Gewerkschaften aus Europa und Amerika sehen Arbeitsrechte gefährdet, fürchten, dass Arbeitsplätze verloren gehen. KonsumentenschützerInnen warnen davor, dass auf Lebensmitteln nicht mehr draufstehen muss, was drin ist. Andere sehen die Gesundheit durch gentechnisch veränderte Zutaten oder durch chemisch bearbeitete Lebensmittel gefährdet. Löw: „Stärker aufgestellt ist die Wirtschaft – wohl 80 Prozent der InteressenvertreterInnen bzw. Lobbyistinnen und Lobbyisten, die hier vor Ort sind, vertreten die Wirtschaft bzw. Unternehmen. Weil die Verhältnisse prinzipiell zu Ungunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stehen, müssen wir uns mit anderen Akteuren vernetzen, die auf unserer Seite stehen.“

Ein Unterschied besteht zur in Österreich etablierten Stellung der Sozialpartner: „Wir müssen uns hier erst Gehör verschaffen und unsere Stellung erkämpfen“, so Christof Cesnovar, „denn es ist nicht so wie in Österreich, dass wir quasi automatisch jeden Gesetzesentwurf zur Begutachtung bekommen. Trotzdem sind wir in Brüssel personell viel schwächer aufgestellt als in Wien, wir arbeiten also intensiv mit den Fachabteilungen sowie Expertinnen und Experten in Österreich zusammen.“

Regelmäßige Podiumsdiskussionen

Ein wichtiger Teil der Vernetzungsarbeit: „Im Schnitt organisieren ÖGB und AK alle zwei Wochen Podiumsdiskussionen und andere Veranstaltungen, oft auch gemeinsam mit anderen Sozialpartnern oder Institutionen wie dem Wien-Haus oder der Vertretung von Hessen. Im März etwa zum Thema Troika-Politik in Griechenland, mit fast 200 Gästen“, sagt Stefanie Kadenbach, die für die administrativen Belange im ÖGB-Europabüro zuständig ist. Dazu gehören auch die vielen Gruppen von Betriebsrätinnen und Betriebsräten sowie GewerkschaftsschülerInnen – Kadenbach kümmert sich darum, dass deren Brüssel-Aufenthalt reibungslos durchorganisiert wird, „von den Vorträgen in den Büros von ÖGB und AK über die Besuche im EU-Parlament bis hin zu banalen, aber auch nicht unwichtigen Dingen wie Unterkunft und Essen“.

Neben Interessenvertretung und Vernetzung ist nämlich die Vermittlung der EU an die Mitglieder in Österreich die dritte Hauptaufgabe der Brüsseler Sozialpartnerbüros. Frida Kieninger kümmert sich darum, dass das EU-Büro regelmäßig Lebenszeichen in die Heimat versendet: „Jeden Freitag wird ein Newsletter mit den wichtigsten aktuellen Dingen aus der EU verschickt; auf www.oegb-eu.at und www.ak-europa.eu sind die aus ArbeitnehmerInnensicht wesentlichen Nachrichten immer aktuell zu finden.“ Als Ansprechpartner in allen EU-Belangen sind die ÖGB- und AK-Europabüros bei den Kolleginnen und Kollegen in Wien und den Bundesländern stets gefragt. „Alles, was man in Brüssel kriegen kann, können wir vermitteln“, meint Stefanie Kadenbach, zum Beispiel Dokumente, die oft nur auf Englisch oder Französisch vorliegen: „Wir haben die Kontakte und können sie dann manchmal doch auch auf Deutsch auftreiben.“ Oder sogar selbst übersetzen, wenn es gerade notwendig ist. Was man für die Arbeit hier unbedingt braucht, sind Fremdsprachen: „Englisch sprechen wir ständig und ohne Französisch kommt man nur schlecht durch in Brüssel.“ Auch der umgekehrte Weg wird mitunter beschritten, wenn zum Beispiel eine Gewerkschaft eines ihrer Anliegen auch in Brüssel bekannt machen will. Heuer war zum Beispiel Bau-Holz-Vorsitzender Beppo Muchitsch in Brüssel, um bei einem vom ÖGB-Büro arrangierten Treffen (einer sogenannten Lunchdebatte) mit Abgeordneten das Programm „Umwelt und Bauen“ zu präsentieren.

EU, Bier, Schokolade und Kunst

Was hat Brüssel außer EU, Bier und Schokolade (um kein Klischee auszulassen) noch zu bieten? Überaus gepflegte Parks, große Lebensmittel- und Flohmärkte, teure Restaurants und viel Kultur. Auch dabei stößt man gelegentlich auf gewerkschaftliche Spuren: Im Magritte-Museum sind auch Plakatentwürfe zu sehen, die der belgische Surrealist einst für die TextilarbeiterInnen-Gewerkschaft entworfen hat.

1A&W 1/2014, Seite 45. Außer den hier namentlich Zitierten arbeiten in den Brüsseler AK- und ÖGB-Büros derzeit Gudrun Kainz, Wally Birnbach, Margarita Steinacher, Andrea Casamenti, Martin Konecny, David Hafner und Jakob Luger.

ÖGB-Europabüro: www.oegb-eu.at
AK-Europabüro: www.akeuropa.eu

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