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Gewerkschaftsrechte und Europa Es bleibt zu hoffen, dass von der gesetzlichen Anerkennung von Gewerkschaftsrechten als Grundrechte positive Impulse im Sinne einer Stärkung der Mitbestimmungsrechte vor allem auf EU-Ebene ausgehen könnten.

Gewerkschaftsrechte und Europa

Schwerpunkt

Es wäre dringend notwendig, die rechtliche Schieflage bei den Einflussmöglichkeiten der Gewerkschaftsbewegung in der EU zu beseitigen.

Nach harten Kämpfen gelang es den Gewerkschaften, der Arbeitgeberseite ein Recht auf Mitbestimmung bei der Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen abzutrotzen. Das erklärt, weshalb der Zusammenschluss zum Zweck der Interessenvertretung – die „Koalitionsfreiheit“ – in vielen europäischen Staaten als Grundrecht in der Verfassung abgesichert und auch durch europäische und internationale Rechtsquellen als Menschenrecht geschützt ist. Damit verband sich aber häufig eine weitgehende „Verrechtlichung“ und damit Einengung des gewerkschaftlichen Handlungsspielraumes. Das gilt zum Beispiel für Deutschland, wo sich eine umfangreiche Rechtsprechung und verfestigte Rechtsmeinung zur rechtlichen Garantie des Grundgesetzes1, etwa zu den Grenzen der Zulässigkeit von Arbeitskämpfen, entwickelte.

Grundrecht und Koalitionsfreiheit

In Österreich verzichtete man auf ein durch die Verfassung garantiertes Grundrecht der ArbeitnehmerInnen auf Koalition. Die Koalitionsfreiheit ist lediglich im Rahmen der allgemeinen Vereinigungsfreiheit geschützt. Deshalb gibt es bis heute auch kaum Rechtsprechung zu den Spielräumen gewerkschaftlichen Handelns und fast keine Beschäftigung der Rechtswissenschaft mit dem Thema. Das führte aber keineswegs zu einer untergeordneten Rolle der Gewerkschaften – im Gegenteil: In kaum einem anderen Land nehmen sie eine so zentrale Rolle bei der Gestaltung von Arbeitsbedingungen ein. Der Gesetzgeber kann nämlich die Bedeutung der Gewerkschaften auch ohne verfassungsrechtliche Verankerung anerkennen, Gewerkschaftsfreiheit und umfangreiche Mitbestimmungsrechte zugestehen. Letzteres geschah in Österreich in erster Linie durch das Arbeitsverfassungsgesetz.2 Somit bestand bis jetzt wenig Notwendigkeit einer Verfassungsregelung.

Schutz in Krisenzeiten

Diese Situation ist aber keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Würde man – wie in Deutschland – davon ausgehen, dass alle gewerkschaftlichen Aktivitäten außerhalb des Grundrechtsschutzes automatisch beschränkt werden können, würde dies tatsächlich einen Rückschritt gegenüber einer bloßen Gewerkschaftsfreiheit bedeuten. Der eigentliche Zweck von Grundrechten ist aber ein anderer. Grundrechte sollen einen Schutzbereich gegenüber dem Gesetzgeber garantieren, nicht den Gewerkschaften, sondern dem Gesetzgeber sollen damit Grenzen gesetzt werden. Vor allem in Krisenzeiten, in denen die Rolle von Gewerkschaften regelmäßig infrage gestellt wird, ist es von entscheidender Bedeutung, ob die Gewerkschaftsrechte bloß ein vom Gesetzgeber jederzeit widerrufbares Recht sind oder ob es sich um ein verfassungsrechtlich abgesichertes Grundrecht handelt, das Schutz vor Eingriffen des Gesetzgebers genießt. Es sei hier nur auf die aktuelle Situation in Griechenland verwiesen. Die verfassungsrechtliche Verankerung von Gewerkschaftsrechten soll also einen Mindestschutz garantieren, aber dem Gesetzgeber bleibt es natürlich unbenommen, darüber hinaus Freiräume für gewerkschaftliche Betätigung zu lassen und volle Gewerkschaftsfreiheit zu garantieren. Entscheidend sind das politische Umfeld und die allgemeine Einstellung des Staates zu den Gewerkschaften. Insofern erscheint es durchaus sinnvoll, sich auch in Österreich mit der Rechtslage für Gewerkschaftsarbeit auseinanderzusetzen. Darüber hinaus werden mittlerweile die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen großteils durch die Europäische Union gestaltet. Das Kräfteverhältnis zwischen den EU-Institutionen und den Gewerkschaften ist freilich ein gänzlich anderes als auf nationaler Ebene. Deshalb gewinnt das internationale und vor allem europäische Recht für die gewerkschaftliche Tätigkeit zunehmend an Bedeutung. Das gilt besonders für die (grund)rechtliche Verankerung gewerkschaftlicher Interessenvertretung, die hier eine ungleich wichtigere Rolle spielt. Davon bleibt jedoch auch das nationale Rechtsverständnis nicht unberührt.

Es bleibt zu hoffen, dass von der gesetzlichen Anerkennung von Gewerkschaftsrechten als Grundrechte positive Impulse im Sinne einer Stärkung der Mitbestimmungsrechte vor allem auf EU-Ebene ausgehen könnten. Denn dies scheint besonders notwendig, um ein Gegengewicht zur (derzeit) rein wirtschaftlichen (oder besser wirtschaftsliberalen) Ausrichtung der Union zu bilden. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zur Zulässigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen beweist die Existenz einer solchen Schieflage. Sie brachte unzweifelhaft zum Ausdruck, dass die Grundfreiheiten als Basis für den Standortwettbewerb einen höheren Stellenwert genießen als das Interesse der ArbeitnehmerInnen – das wird nicht nur in Kauf genommen, sondern gefördert.

Die Verankerung von Gewerkschaftsrechten in der Europäischen Grundrechtecharta3 und ein Schwenk in der Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte können aber als Gegenpol einen wichtigen Beitrag leisten. Vielleicht bringt diese Entwicklung auch wieder Schwung in die Diskussion um ein echtes transnationales Mitspracherecht der ArbeitnehmerInnenschaft bei der Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen.

Europa-KV ist möglich

Es geht um die Einführung eines Europäischen Kollektivvertrags, ein Projekt, um das es in den letzten Jahren wieder still geworden ist. Unüberwindbare nationale Systemunterschiede und die vorgebliche mangelnde Kompetenz der EU zur rechtlichen Ausgestaltung dieses Instruments wurden dagegen ins Treffen geführt.

Beide Argumente vermögen aber letztlich nicht zu überzeugen. Die Herausforderung, unterschiedliche rechtliche Systeme unter einen Hut zu bringen, stellt sich fast in jedem Rechtsbereich und die Union hat längst unterschiedliche Herangehensweisen entwickelt, um diesem Problem zu begegnen. Auch das Fehlen einer rechtlichen Regelungskompetenz der EU ist keineswegs eindeutig: Laut Vertrag über die Arbeitsweisen der Europäischen Union (AEUV) unterstützt und ergänzt die Union die Tätigkeit der Mitgliedsstaaten auf dem Gebiet der Vertretung und kollektiven Wahrnehmung der ArbeitnehmerInnen- und Arbeitgeberinteressen einschließlich der Mitbestimmung.4 Gegen eine Kompetenz im Bereich des KV-Rechts könnte allenfalls sprechen, dass der AEUV das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht sowie das Aussperrungsrecht ausdrücklich von einer EU-weiten Regelung ausnimmt. Gerade die österreichische Situation belegt allerdings, dass das Fehlen von solchen Regelungen keinen Hinderungsgrund darstellt. Darüber hinaus ließe sich die Bestimmung im Artikel 28 der Europäischen Grundrechtecharta, dass die dort verbrieften Rechte „nach dem Gemeinschaftsrecht“ zustehen, zumindest auf das Recht beziehen, „Tarifverträge auf den geeigneten Ebenen auszuhandeln und abzuschließen“. Die Entscheidung, welche Wirkungen ein solcher Europäischer Kollektivvertrag entfalten kann, auf welcher Ebene er gelten soll und wer ihn abschließen darf, ist freilich eine andere Frage. Ihre Klärung bedarf intensiver juristischer, aber vor allem auch politischer Diskussion. Die Initiative dazu sollte von den Gewerkschaften ausgehen, um endlich ein effektives Instrument auf EU-Ebene zu erhalten. Ein mühevoller Weg, der aber von den Gewerkschaften auf nationaler Ebene bereits im 19. Jahrhundert beschritten worden ist.

1 Paragraph 9 Absatz 3 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Das Grundgesetz ist die deutsche Verfassung.
2 Bundesgesetz vom 14. Dezember 1973 betreffend die Arbeitsverfassung (Arbeitsverfassungsgesetz ArbVG). In: Bundesgesetzblatt (BGBl) 1974/22, 393–434.
3 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, in Kraft seit 2009.
4 Gemäß Artikel 153 Absatz 1 Ziffer f AEUV.

Info&News
Der Artikel fasst wichtige Aussagen aus Elias Feltens Aufsatz „Im Spannungsfeld zwischen Gewerkschaftsfreiheit und Gewerkschaftsrecht. Zur Rechtsstellung der Gewerkschaften im kollektiven Arbeitsrecht“ aus dem zum ÖGB-Kongress 2013 erschienenen Band „Wissenschaft über Gewerkschaft“ zusammen. Hier setzen sich WissenschafterInnen verschiedener Fachrichtungen mit Positionen über und von Gewerkschaften im Lauf ihrer Entwicklung auseinander und fragen nach der Rolle der Gewerkschaft im 21. Jahrhundert. A&W publiziert Kurzfassungen wichtiger Beiträge in unregelmäßigen Abständen.

Alle Beiträge aus „Wissenschaft über Gewerkschaft“ finden Sie unter: www.wissenschaft-gewerkschaft.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor elias.felten@sbg.ac.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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