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Katharina Klee Katharina Klee, Chefredakteurin

Standpunkt | Europa und der Stier

Meinung

Sie stammte aus Asien, die schöne Tochter des phönizischen Königs Agenor und der Telephassa: Europa, „die Frau mit der weiten Sicht“, was der Name im Altgriechischen bedeutet. Der Göttervater Zeus begehrte sie und näherte sich ihr – auch seiner eifersüchtigen Frau Hera wegen – in Gestalt eines Stieres. Europa, die mit ihren Gefährtinnen am Strand spielte, gefiel das zutrauliche Tier, sie schmückte es mit Blumen, packte den Stier schließlich bei den Hörnern und kletterte auf seinen Rücken. Da entführte er sie übers Meer nach Kreta. Dort nahm er wieder göttliche Gestalt an und zeugte mit Europa drei Söhne: Minos, Rhadamanthys und Sarpedon. Die Liebesgöttin Aphrodite benannte schließlich den Erdteil nach ihr. Schriftlich überliefert wurde die Sage ab dem 6. Jahrhundert vor Christus.

Verführung oder Entführung?

Der Geograf und Historiker Herodot verbindet damals als erster den Erdteil mit der Prinzessin: „Von Europa aber weiß kein Mensch, ob es vom Meer umflossen oder wonach es benannt ist, auch nicht, wer ihm den Namen Europa gegeben hat, wenn wir nicht annehmen wollen, dass von der Tyrierin Europa das Land den Namen bekommen hat. Vorher war es natürlich namenlos wie die anderen.“ Eine schöne Geschichte, die unserem Europa zum Taufgeschenk gemacht wurde, erzählt und illustriert von den gern zitierten „alten Griechen und den Römern“ und wohl auch den Frauen. Es war also Liebe auf den ersten Blick, liest man bei Ovid und den anderen, und dass die schöne Königstochter den Stier freiwillig bestiegen hat, vermitteln die meisten Bilder.  Erst in späterer Tradierung wurde aus der Verführung eine Entführung, ein Raub gar, erst hier kommt Gewalt ins Spiel. Ob die Täuschung des Göttervaters für die junge Frau dann zur Enttäuschung wurde, ist nicht übermittelt. Die meisten HistorikerInnen sind sich einig, dass die phönizische Königstochter, die am Anfang Europas steht, Symbol ist für den Einfluss des orientalischen Kulturkreises – Ägypten, Mesopotamien, Anatolien – auf den Westen, auf das von Herodot beschriebene diffuse Europa. Kein echter Kontinent, mehr eine Idee, ein Mythos, so sahen es schon früh einige.

Entmystifiziert sehen es heute viele. Was aus dem „Mythos Europa“ geworden ist, kann man gerade in Griechenland gut beobachten. Viele fühlen sich ent- oder getäuscht oder gar verführt. Da sitzt sie nun, die Königstochter mit ihrer Kinderschar, und der Göttervater hat sich längst wieder aus dem Staub gemacht. Aus dem Stier ist ein Bulle geworden, der die Aktienkurse nach oben treibt. Europa hat die Krise.

Handeln. Mitmachen. Bewegen.

Ich habe zu den ziemlich genau zwei Dritteln ÖsterreicherInnen gehört, die vor zwanzig Jahren für einen Beitritt unseres Landes zur Europäischen Union gestimmt haben. Wir haben den Stier bei den Hörnern gepackt und sind aufgebrochen in eine ungewisse Zukunft. Ein Aufbruch, der sich gelohnt hat. Grenzen sind verschwunden, Möglichkeiten haben sich eröffnet. Doch damit uns der Stier nicht einfach entführt, müssen wir ihn lenken und steuern. Um seine Kraft zu nützen, müssen wir die richtigen, wichtigen Impulse setzen und dürfen uns nicht von neoliberalen Bullen und Bären blenden lassen. Wir müssen aufpassen, dass der Stier nicht zu weit nach rechts abdriftet. Und wir müssen ihn auch ein wenig lieben, den Stier, seine Schönheit erkennen und ihn nicht von hinten aufzäumen. Dann wird er uns weit tragen und uns mit seiner Kraft nützen.

Um das zu erreichen, muss man immer wieder den Stier bei den Hörnern fassen. Am besten indem man zur Wahl zum Europäischen Parlament geht – am 25. Mai 2014. Handeln. Mitmachen. Bewegen.

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