topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Frauen im Arabischen Frühling Es sind neue Dynamiken in der arabischen Welt entstanden, welche die Frauenfrage wieder in den Vordergrund rücken.
Buchtipp

Frauen im Arabischen Frühling

Schwerpunkt

Die arabische Welt kann mit 22 Staaten und 200 Mio. Menschen nicht über einen Kamm geschert werden. So kann auch die Frauenfrage nicht pauschal beantwortet werden.

In seinem Buch „Frauenpower auf Arabisch“ erzählt der Journalist Karim El-Gawhary aus dem Leben arabischer Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Er porträtiert Pionierinnen, Kämpferinnen und Verliererinnen und lässt die Frauen dabei oftmals selbst zu Wort kommen. El-Gawhary versucht aufzuzeigen, dass das in Europa verbreitete Bild von der ohnmächtigen unterdrückten und unterworfenen Araberin, schlicht und ergreifend nicht dem entsprach, was er auf seinen unzähligen Reisen in der arabischen Welt erlebte. Er verfasst beeindruckende Porträts von Frauen, die sich unter schwierigen Rahmenbedingungen wie Krieg, Flucht und sozialer Verelendung behaupten müssen und dennoch sehr viel „Power“ beweisen in einer keineswegs schönzuredenden patriarchalen Gesellschaft.

Rückzug der Linken

Mir erscheint dieser Zusammenhang besonders wichtig, da mit der Schwächung der Linken in Europa, dem Rückzug linker Ideologien in den letzten dreißig Jahren und dem Vormarsch rechtskonservativer Bewegungen die Frage sozialer Gegensätze immer mehr in den Hintergrund tritt und durch eine Frage der Gegensätze von Kulturen ersetzt wird. Aus dem Klassenkampf ist ein Kampf der Kulturen geworden, der die Fragen der sozialen Stellung von Frauen in der Gesellschaft, der sozialen Sicherheit, des Zugangs zu Bildung und Gesundheit und der ArbeitnehmerInnenrechte ausklammert. Gesellschaftliche Probleme werden zunehmend aus dem Diskurs verdrängt, während die Konflikte zwischen Traditionen und Kulturen mehr und mehr betont werden.Die Linke befindet sich in der Defensive, während sich die Rechte auf der Grundlage eben dieser genannten Thesen immer mehr in der Gesellschaft ausbreitet.

„Staatsfeminismus“ und Reaktion

Lange Zeit nahm man fälschlicherweise an, dass die arabische Welt nicht demokratiefähig und autoritäre Strukturen eine Eigenheit dieser Region mit 200 Mio. Menschen seien. Heute meinen manche, die Umbrüche bringen per se nur Rückschritte für die Frauen der Region. Die arabischen Diktatoren gaben sich oftmals säkular, um im Westen zu punkten. Gleichzeitig haben sie der religiös-kulturellen Unterwanderung der Gesellschaft durch islamistische Bewegungen Vorschub geleistet, im Glauben, sie könnten ihnen damit das Wasser abgraben. Die Bilder von arabischen Diktatoren von Ben Ali bis Saddam Hussein, die ihre Pilgerfahrten nach Mekka medial inszenierten, gingen um die Welt. Religiös-politische Bewegungen haben sich in den arabischen Gesellschaften als demokratische Opponenten zu autoritären Regimen präsentiert – weil sich die arabischen Staaten aus ihrer sozialen Verantwortung herausgenommen haben. Spitäler, Schulen, soziale Fürsorge für die Armen und Ärmsten wurden von karitativ-religiösen Bewegungen ersetzt. Die Politik der Privatisierung des öffentlichen Sektors, die diesen Staaten von den internationalen Finanzinstitutionen für die Gewährung von Krediten abverlangt wurde, hatte genau jene Entwicklung in den betroffenen Ländern hervorgebracht.

Während in vielen arabischen Staaten der Feminismus ein von oben angeordneter Staatsfeminismus war – Diktatoren und ihre Ehegattinnen bestimmten, wie viel Frauenrechte ihre Gesellschaft verträgt –, haben sich – beispielsweise in Tunesien – Frauen sehr früh gegen diese „paternalistische Bevormundung“ gewehrt und mit der Gründung der AFTD (Association de Femmes Tunisiennes Démocrates) bewiesen, dass Frauen am besten selbst für ihre Rechte eintreten.

Die Tunesierinnen schätzen die Meilensteine, welche Gründervater Habib Bourguiba nach der Gründung der Republik Tunesiens 1957 mit der Abschaffung der Polygamie, des ehelichen Verstoßes, der Zwangsehe, des männlichen Vormundes, der Einführung der Zivilehe und der Anhebung des Heiratsalters, für die Frauen gesetzt hatte. Familienplanung und kostenlose Pille folgten in den 1960er-Jahren. Die Grundsteine dieser stark von der tunesischen Gewerkschaftsbewegung beeinflussten Frauenpolitik haben Männer gelegt, die überzeugt waren, dass es ohne die Befreiung der Frau keinen Fortschritt in der Gesellschaft geben kann. Trotzdem demonstrierten Tunesierinnen bereits seit den 1970er-Jahren für die Bildung von demokratischen und unabhängigen Frauenbewegungen. Diese Bewegungen wurden zensuriert und hatten sehr lange wenig Aktionsradius in der tunesischen Gesellschaft. Nach dem Sturz Ben Alis haben die Moslembrüder in freien Wahlen einen Wahlsieg errungen. Die Frauen sahen sich plötzlich mit einer öffentlichen Infragestellung von für selbstverständlich gehaltenen Errungenschaften konfrontiert.

Die Demokratie in Tunesien hat die Zivilgesellschaft belebt. Eine Unzahl an Frauenorganisationen und Frauenvereinen sind entstanden, die sehr engagiert die Auseinandersetzung mit konservativen politischen Gruppen aufgenommen haben. Es ist ein Trugschluss zu denken, dass demokratische Transformationen in der arabischen Welt nur reaktionäre Kräfte hervorgebracht haben. Nein, Demokratie bringt die Vielfalt der Gesellschaft mit all ihren Facetten und ihren verschiedenen politischen Bewegungen und Parteien zum Vorschein. Damit beginnt erst der Wettstreit in der inhaltlichen Auseinandersetzung. Das ist für Frauenbewegungen eine Herausforderung, gleichzeitig aber ein politischer Auftrag, den die Frauen in der arabischen Welt schon längst angenommen haben.

Wandel zieht nicht spurlos vorüber

Während die Revolten in vielen arabischen Staaten wie in Libyen, Tunesien und Ägypten zum Sturz der jeweiligen Regime führten, ist die „Arabellion“ in anderen arabischen Staaten nicht spurlos vorübergezogen. Marokko beschreitet langsam, aber doch den Weg zur konstitutionellen Monarchie.

Das Parlament wurde bereits gestärkt. König Mohammed VI. hat die Frauenfrage schon mit Beginn seiner Regentschaft auf seine politische Agenda gesetzt. Der aufgeklärte absolute Monarch gilt als Modernisierer des Landes und Frauenrechtler. Während seiner Antrittsrede sprach er die häusliche Gewalt gegen Frauen an. 2004 folgte eine umfassende Personenstandsrechtsreform, welche die Polygamie derart einschränkte, dass sie de facto nicht mehr praktizierbar ist. Frauen profitieren auch von den Reformen des Landes und der Stärkung der parlamentarischen Institutionen.

Jordanien: Emanzipation nur für Rania

Jordanien, im Westen durch die schöne Königin Rania, eine hochgebildete und emanzipierte Frau, bekannt, vermittelt den Eindruck von Offenheit und Aufgeschlossenheit. Dabei liegen der autochthonen jordanischen Gesellschaft starke tribale Strukturen zugrunde, welche die Weiterentwicklung von Frauenrechten oftmals erschweren. Die königliche Monarchie gehört zu den arabischen Ländern, die bereits in den 1970er-Jahren als Bollwerk gegen den sowjetischen Einfluss auf die arabische Welt mit Unterstützung der USA der Muslimbrüderschaft weitgehende Rechte im Land einräumten. Dadurch sollten linke Kräfte verdrängt werden. Das Engagement der Muslimbruderschaft, z. B. die Führung eigener karitativer Institutionen, der Bau von Spitälern und Schulen, aber auch der Einfluss im Bereich der Bildung und im Bildungsministerium, hat in den vergangenen dreißig Jahren zu einer markanten Veränderung der jordanischen Gesellschaft geführt. Frauenbewegungen agieren hier äußerst elitär und isoliert. Ein feministisches Bewusstsein ist nur schwach ausgeprägt.

Frauenpolitik ist Entwicklungspolitik

Es sind neue Dynamiken in der arabischen Welt entstanden, welche die Frauenfrage wieder in den Vordergrund rücken. Das sind einerseits politisch religiös-konservative Kräfte, die mittels der Zurückdrängung von Frauen aus dem öffentlichen Leben ihren eigenen Gesellschaftsentwurf durchzusetzen versuchen.

Eine Gesellschaft die letztlich auch Männer entmündigt, indem auch sie einem religiös-autoritären Diktat unterworfen werden. Doch andererseits sind es die zahlreichen Frauenorganisationen, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Gruppen, die in jedem noch so kleinen Fortschritt für Frauen einen gesellschaftlichen Fortschritt sehen; die progressive Frauenpolitik auch als Entwicklungspolitik betrachten und sich in diesem Sinne engagieren.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin muna.duzdar@gmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum