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Symbolfoto zum Beitrag: Vom Binnen-I zur Mann Sprache bildet die Wirklichkeit nicht nur ab, sie konstruiert sie auch mit, das ist mittlerweile nicht nur in der Sprachwissenschaft bekannt.
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Vom Binnen-I zur Mann

Schwerpunkt

Das maskuline Geschlecht wird durch die deutsche Sprache gewohnheitsmäßig verwöhnt. Dem muss nicht so sein, meinen Linguistinnen.

Eine davon ist Horst Simon, Professor für historische Sprachwissenschaft an der freien Universität Berlin. Vor seinen Studierenden bezeichnet er sich gerne als Linguistin. Eine allgemeine Bezeichnung, die im Vorjahr für Aufsehen sorgte. Hatte doch die Universität Leipzig (ebenso wie die Uni Potsdam zuvor) im Sommer 2013 das „generische Femininum“ in ihrer Verfassung verankert. In allen offiziellen Schreiben der beiden Bildungseinrichtungen wird nunmehr ausschließlich die weibliche Form verwendet, um Personen zu benennen. Frauen seien an dieser Einrichtung schließlich in der Mehrheit, lautete die Begründung. Doch dürften sich Männer durchaus mitgemeint fühlen. „Irrsinn an der Universität“, betitelte Bild-Online den ketzerischen Schritt.

Das amüsiere ihn, kommentierte Horst Simon. Beim feministischen Sprachgebrauch zeigten vor allem Männer immer wieder Furcht, ihre Pfründe zu verlieren. „Wenn man nicht glaubt, dass Männer die Normalos unter den Menschen sind und Frauen nur Sonderfälle, muss man dies auch sprachlich sichtbar machen.“ Schließlich zeigen Studien, vor allem bei Kindern, dass nicht alle sich angesprochen fühlen, wenn etwa von „fünf Professoren“ die Rede ist.

Sprachliche Burka

Sprache bildet die Wirklichkeit nicht nur ab, sie konstruiert sie auch mit, das ist mittlerweile nicht nur in der Sprachwissenschaft bekannt. Im Deutschen vermag es das „generische Maskulinum“ (d. h. ein grammatikalisch männliches Substantiv bezeichnet beide Geschlechter) Frauen sprachlich zum Verschwinden zu bringen. „Es macht jede Frau besser als jede Burka unsichtbar, nämlich scharenweise“, schrieb die Sprachwissenschafterin Luise F. Pusch in ihrem Pionierwerk (1984) „Das Deutsch als Männersprache: Aufsätze und Glossen zur feministischen Linguistik“.

Seit dem von Pusch zum Klassiker gemachten Satz „Die Menstruation ist bei jedem anders“ weist die Emanzipation der deutschen Sprache durchaus Erfolge auf. In Österreich sind geschlechtsspezifische Stellenausschreibungen seit 1985 verboten, 1990 wurde die sprachliche Gleichbehandlung im Bundesrecht verabschiedet, seit 2001 wird geschlechtergerechter Sprachgebrauch in der gesamten Bundesverwaltung angeordnet. Der ÖGB hatte im Jahr 2004 beschlossen, Gender Mainstreaming auch sprachlich umzusetzen. „Die deutsche Sprache bietet genug Möglichkeiten, um auszudrücken, dass es zwei Geschlechter gibt“, heißt es dazu etwa in der Broschüre „Ich Tarzan – Du Jane: Anleitung zur gendergerechten Mediengestaltung“.

Binnen-I

In der feministischen Linguistik ist das Binnen-I eine der am weitest verbreiteten Methoden zur Demokratisierung der deutschen Sprache. 1984 eingeführt von der Zürcher Wochenzeitung WoZ, fand es über die deutsche Tageszeitung taz Eingang in die offiziellen Leitfäden zu geschlechtergerechter Sprache. 

Nach neutralen Umschreibungen als zweitbeste aller Lösungen bezeichnete die deutsche Journalistin Ute Scheub die Binnen-Majuskel bereits 1983 in einem Vortrag über den Marsch des „I“s durch (alternative) Medien und Institutionen. Mittlerweile wird es aber auch von Frauen kaum noch in der taz verwendet. „Entweder, um nicht als ‚Feministin‘ zu gelten“, meint Scheub. „Oder, falls es sich um eine Feministin handelt, um nicht als ‚altbacken‘ zu erscheinen.“

Seit den „linguistischen Empfehlungen zur sprachlichen Gleichbehandlung von Mann und Frau im öffentlichen Raum“, 1988 vom damaligen Arbeitsministerium in Österreich herausgegeben, wurde gendergerechte Sprache stets weiterentwickelt. Die Generalklausel „personenbezogene Ausdrücke erfassen Frauen und Männer gleichermaßen“ sind (eigentlich) von gestern. Grauenhafte Ableitungen und Aufzählungen oder die „Holzfällermethode“ durch Schrägstriche, die jede/n Sprachempfindliche/n schmerzen und bei ihm/ihr das Gegenteil zu bewirken imstande sind, gehören eher den Anfängen bzw. dem sprachlichen Instrumentarium von behäbigen Behörden an. Ute Scheub etwa hat das Wort „jede/r“ aus ihrem Wortschatz gestrichen und es durch „alle“ ersetzt.

Künstliche Konstruktion

In seinem Aufsatz „Wort und Wirklichkeit: Kann Sprache diskriminieren?“, stellt der Sprachwissenschafter Anatol Stefanowitsch die grundsätzliche Frage nach der Bedeutung der Differenzierung der Geschlechter in Texten. „Diese Unterscheidungen kommen uns natürlich vor, aber sie haben tatsächlich nichts mit objektiver Realität zu tun, sondern werden durch die Sprache überhaupt erst konstruiert.“ Ungeachtet dessen muss weiterhin daran gearbeitet werden, die gesellschaftliche Realität auch in der Sprache abzubilden. Denn, so etwa die Literaturwissenschafterin Anna Babka: „Es geht immer um Sichtbarmachen und um Symmetrie. Indem man Frauen über die Sprache sichtbar macht, verändert man ihre Realität. Weil Sprache performativ ist und das, was sie beschreibt, auch hervorbringt.“

Die Idee, in geschlechtsabstrahierenden Zusammenhängen oder bei gemischtgeschlechtlichen Personengruppen das Femininum zu verwenden, stammt, ebenso wie der Fachbegriff „generisches Femininum“, aus Luise F. Puschs 1988 erschienenem Aufsatz „Totale Feminisierung: Überlegungen zum umfassenden Femininum“. „Dass diese Idee und die Bezeichnung dafür es in nur fünfundzwanzig Jahren in die Satzung einer großen deutschen Universität und in Deutschlands auflagenstärkste Zeitung geschafft haben, ist ein beeindruckendes Zeugnis für Puschs Reichweite. Und für die Unaufhaltsamkeit ihrer Ideen“, schreibt Anatol Stefanowitsch in seinem Aufsatz zum „Maskulinum, Femininum und darüber hinaus“, der in der Festschrift „Die Sprachwandlerin – Luise F. Pusch. Zurufe und Einwürfe von Freundinnen und Weggefährtinnen“ heuer erschienen ist.

Nicht das Gelbe vom Ei

Das Aufleben der Bewegung gegen Sexismus in der Sprache, die Emma-Kampagne gegen Prostitution bis hin zur institutionellen Verwendung der weiblichen Form in offiziellen Schreiben: 2013 gilt unter den Pionierinnen und emanzipatorischen Linguistinnen als Jahr der Erfolge.

„Mir war, als würde plötzlich eine Ernte eingefahren nach Jahrzehnten des Ackerns“, schreibt Luise F. Pusch im Vorwort ihres 2014 erschienenen Buches „Gerecht und Geschlecht: Neue sprachkritische Glossen“. Das Resultat unserer Bemühungen, meint Ilse F. Pusch, die in den 70er-Jahren gemeinsam mit Senta Trömel-Plötz die feministische Linguistik begründet hatte, „wird zusammengefasst in dem Slogan: Das Maskulinum ist nicht mehr das, was es einmal war“. Es habe seine Unmarkiertheit verloren, die Möglichkeit, per se für beide Geschlechter stehen zu können.

Gerne erinnert die streitbare 70-Jährige in diesem Zusammenhang auch an ihren Vorschlag, den sie vor rund 30 Jahren erstmals zur Sprache brachte: „Was wäre“, sagte sie damals, „für all jene Mitteilungszusammenhänge, in denen das Geschlecht keine Rolle spielt, das Neutrum zu verwenden? Gesucht würde demnach ein Professor, das sich in feministischer Theorie auskennt.“ Zwar ist es schon einige Jahrtausende her, dass sich das männliche Geschlecht asymmetrisch in der Sprache niedergelassen hat und rein nach dem Rotationsprinzip wäre es an der Zeit für eine kleine Übung in Empathie. Doch ist das irgendwie Mitgemeint-sein vielleicht auch nicht ganz das Gelbe vom Ei?

Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit trat Ende 2013 das Tiroler Kinder- und Jugendwohlfahrtsgesetz in weiblicher Form in Kraft. Zu vermuten ist, dass Ähnliches im Falle der sprachlichen Gleichbehandlung etwa von Aufsichtsrätinnen Aufruhr verursachen würde.

Webtipp: Leitfaden für geschlechtergerechtes Formulieren und eine diskriminierungsfreie Bildsprache: tinyurl.com/nc8tjwh

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin gabriele.mueller@utanet.at  oder die Redaktion aw@oegb.at

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