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Symbolbild zum Bericht Abgabenquote ist nicht gleich Abgabenquote: In der Schweiz etwa sind die Pensionsbeiträge sowie private Gesundheitsausgaben nicht darin enthalten. Rechnet man sie dazu, steigt die Abgabenquote plötzlich auf 40,8 Prozent.

Mythos der hohen Abgabenquote

Schwerpunkt

Warum Länder mit unterschiedlichen Sozialsystemen auch hinsichtlich ihrer Abgaben schwer vergleichbar sind.

Im Zuge der aktuellen Steuerdebatte fordern AK und Gewerkschaften vehement eine Senkung der Lohnsteuer. Allerdings soll es sich nicht um eine generelle Senkung der Steuereinnahmen handeln. Mit öffentlichen Abgaben werden schließlich wichtige sozialpolitische Errungenschaften wie freie Bildung und Krankenversorgung für alle sowie die öffentliche Infrastruktur (z. B. Straßen, öffentliche Sicherheit) finanziert. Institutionen und Personen, die sich für eine Senkung der Gesamtabgabenbelastung einsetzen, halten dem entgegen, dass andere wirtschaftlich hoch entwickelte Staaten derartige Aufgaben mit geringeren Abgabenquoten (Summe der Steuern und Abgaben im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung) erfüllen.

Quote ist nicht gleich Abgabenquote
Tatsächlich wies Österreich für das Kalenderjahr 2012 eine Abgabenquote von 43,2 Prozent aus, wohingegen der Durchschnitt für alle Länder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) lediglich 34,5 Prozent betrug. Diese Diskrepanz scheint auf den ersten Blick das Argument der BefürworterInnen einer Steuersenkung zu untermauern. Allerdings wird hierbei übersehen, dass ein länderübergreifender Vergleich von Abgabenquoten nur bedingt zulässig ist, da Staaten ihre Sozialsysteme unterschiedlich organisieren. Um dies zu verstehen, muss man wissen, wie die Abgabenquote errechnet wird.
Laut Definition der OECD umfasst die Abgabenquote sämtliche Steuern und Abgaben, die an den Staat oder an eine seiner Körperschaften geleistet werden. Zahlungen für einen konkreten Leistungsaustausch (z. B. Abwassergebühr) sind nicht darin enthalten. Dies scheint zunächst klar zu sein, doch treten in vielen Fällen auch Abgrenzungsschwierigkeiten auf. Besonders im Bereich der Transfers und der Sozialversicherungsbeiträge tritt dieses Problem ganz offenkundig zutage.

Verzerrtes Bild
Werden die staatlichen Förderungen in Form von direkten Zahlungen, d. h. Transfers, gewährt, wie etwa die Familienbeihilfe in Österreich, dann sind zunächst Steuern und Abgaben vom Staat zu erheben, um diese dann wieder an die Haushalte weiterzugeben. Andererseits können solche Unterstützungen auch in Form von Steuerermäßigungen gewährt werden, wie es beispielsweise Frankreich mit seinem Familiensplitting oder Deutschland mit dem Ehegattensplitting und dem Kinderfreibetrag in der Einkommensteuer macht. Im ersten Fall steigen zunächst die Steuereinnahmen und folglich auch die Abgabenquote, wohingegen Steuerermäßigungen die Abgabenquote niedrig halten.
In beiden Fällen kommt den Personen aber eine staatliche Förderung zugute, weshalb der Unterschied der Abgabenquote bei differenzierter Ausgestaltung von Förderungen keine Aussage über die effektive Belastung der Haushalte zulässt.
Auch im Bereich der sozialen Absicherung gibt es gravierende Unterschiede. Viele Staaten setzen hierbei auf die Einhebung von Sozialversicherungsbeiträgen, welche grundsätzlich in der Abgabenquote enthalten sind. Allerdings werden nur solche Beiträge erfasst, welche sowohl verpflichtend als auch direkt an den Staat oder eine seiner Körperschaften bezahlt werden müssen. Nicht umfasst sind daher alle freiwilligen Zahlungen, unabhängig davon, ob sie an öffentliche oder private Institutionen gezahlt werden. Aber es sind auch verpflichtende Beiträge ausgeschlossen, wenn diese an privatrechtliche Organisationen zu leisten sind. Besonders im Bereich der Pensionsvorsorge haben solche Beiträge aber teils ein beträchtliches Ausmaß, da viele Länder die Beitragseinhebung und -verwaltung an private Versicherungen oder Pensionskassen ausgegliedert haben (beispielsweise Dänemark, Finnland, die Niederlande, die Schweiz oder Schweden). Das Außerachtlassen der freiwilligen oder verpflichtenden Zahlungen an private Institutionen bringt folglich große Verwerfungen in der Aussagekraft der offiziellen Abgabenquote. Auch die nicht berücksichtigten Zahlungen stellen Belastungen für die Personen dar und werden aus denselben sozialpolitischen Überlegungen heraus geleistet.

Teilweise bereinigt
Um die Tragweite der Problematik sichtbar zu machen, wurde versucht, die Abgabenquote zumindest hinsichtlich nicht erfasster Beiträge zur sozialen Sicherung zu adaptieren. Hierfür wurden die öffentlichen Abgaben laut Definition der OECD um freiwillige Sozialversicherungsbeiträge und von privaten Haushalten geleistete Beiträge an Pensionskassen und -versicherungen sowie private Gesundheitsausgaben ergänzt.
Somit wird weitgehend der Tatsache Rechnung getragen, dass unterschiedliche Staaten die soziale Absicherung anders organisieren.
Schweiz: Überdurchschnittlich hoch
Insgesamt weist Österreich zwar weiterhin eine überdurchschnittlich hohe adaptierte Abgabenquote auf, doch der Abstand zum Durchschnitt ist deutlich geringer als bei Betrachtung der offiziellen Quote. Aber viel bedeutender ist die Erkenntnis, dass vermeintliche Niedrigsteuerländer ihre BürgerInnen nicht minder belasten als andere. Besonders eklatant ist dies in der Schweiz sichtbar. Die offizielle Abgabenquote betrug hier im Jahr 2012 zwar nur 28,2 Prozent, weshalb die Schweiz im internationalen Vergleich im unteren Drittel lag. Allerdings müssen Schweizer ArbeitnehmerInnen keine Pensionsversicherungsbeiträge im Sinne der OECD-Definition bezahlen, sondern sind gesetzlich dazu verpflichtet, Beiträge an private Pensionskassen zu leisten. Rechnet man dies und private Gesundheitsausgaben ebenfalls in die Abgabenquote ein, so steigt diese plötzlich auf 40,8 Prozent. Somit liegt auch die Schweiz über dem Durchschnitt und sogar im oberen Mittelfeld.
Für die USA liegen zwar keine Daten hinsichtlich des Ausmaßes der privaten Beiträge zu Pensionskassen und -versicherungen vor, doch laut OECD sorgt nahezu die Hälfte der Erwerbsbevölkerung privat für die Pension vor. Dies legt den Schluss nahe, dass auch hier die Beiträge ein beträchtliches Ausmaß annehmen, weshalb die effektive adaptierte Abgabenquote der USA zumindest den OECD-Durchschnitt erreichen wird.
Weiters ist zu bedenken, dass die Bereinigung der Abgabenquote nur hinsichtlich der Finanzierungsquellen für soziale Sicherungssysteme vorgenommen wurde. Unterschiedliche Gestaltungen von Sozialleistungen, d. h. ob diese in Form von Transfers oder Steuererleichterungen gewährt werden, wurden nicht berücksichtigt. Würde auch hier eine Bereinigung vorgenommen werden, dann würden sich die Abstände noch weiter verkleinern. So ist ein Teil der verbleibenden Diskrepanz zwischen der österreichischen und deutschen Abgabenquote dadurch zu erklären, dass Deutschland z. B. bei Familienleistungen einen stärkeren Fokus auf steuerliche Begünstigungen legt. Würde der Anteil der steuerlichen Förderung in beiden Ländern gleich sein, dann hätte Deutschland eine um einen Prozentpunkt höhere Abgabenquote.

Kein Widerspruch zu Prosperität
Abschließend ist festzuhalten, dass die Forderung nach einer allgemeinen Steuersenkung mit Verweis auf die vergleichsweise hohe Abgabenquote zu kurz greift. Ein Blick auf die adaptierte Abgabenquote zeigt, dass sieben von zehn der wirtschaftlich erfolgreichsten OECD-Staaten (gemessen in BIP pro Kopf) eine überdurchschnittliche Abgabenquote aufweisen. Eine höhere Abgabenquote ist also kein Widerspruch zu wirtschaftlicher Prosperität. Vielmehr ist zur Kenntnis zu nehmen, dass Steuern und Abgaben zur Finanzierung des Sozialstaates in einem bestimmten Ausmaß notwendig sind. Diese Prämisse wird wohl für alle Staaten mit einem vergleichbar ausgebauten Wohlfahrtsstaat gelten, was die Betrachtung der adaptierten Abgabenquote untermauert. Somit kann man nur zur Schlussfolgerung kommen, dass die Forderung nach der Senkung der Abgabenquote eigentlich eine Forderung nach dem Abbau des Wohlfahrtsstaates ist.

Webtipps:
Aspekte der Steuerbelastung und Steuergerechtigkeit in Österreich:
tinyurl.com/kkeklkj
Umverteilung durch den Staat Österreich:
tinyurl.com/kuoulnu

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin vanessa.muehlboeck@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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