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Dr. Erhard Busek Erhard Busek: "Ich glaube, wir brauchen diese europäische Erzählung, damit wir wissen, wer wir sind, was wir beitragen."

Die soziale Frage ist die Herausforderung

Interview

Erhard Busek über den Donauraum, Mitteleuropa, Österreich und die EU.

Zur Person - Dr. Erhard Busek

Geb. am 25. März 1941 in Wien, verheiratet
1959–1963 Studium an der Universität Wien, Juridische Fakultät, Abschluss mit Doktorat, gleichzeitig Werkstudent
1966–1969 Vorsitzender des Österr. Bundesjugendringes
1964–1968 Parlamentssekretär im Nationalrat
1972–1976 Generalsekretär des Österr. Wirtschaftsbundes
1975–1976 Generalsekretär der ÖVP
1976–1978 Stadtrat in Wien
1976–1989 Landesparteiobmann der Wiener Volkspartei
1978–1987 Landeshauptmann-Stellvertreter und Vizebürgermeister von Wien
1989–1994 Minister für Wissenschaft und Forschung
1994–1995 Bundesminister für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten
1991–1995 Vizekanzler der Republik Österreich und ÖVP-Bundesparteiobmann
Seit 1995 Vorsitzender des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM)
Seit November 1996 Koordinator der Southeast European Cooperative Initiative (SECI)
2000–2001 Regierungsbeauftragter der österreichischen Bundesregierung für EU-Erweiterungsfragen
Seit April 2000 Präsident des Europäischen Forums Alpbach
Seit 1. Jänner 2002 Sonderkoordinator des Stabilitätspaktes für Südosteuropa

Arbeit&Wirtschaft: Dr. Erhard Busek, Sie sind seit fast 20 Jahren Vorsitzender des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM). Sie sind überzeugter Europäer, Sie haben unsere Geschichte miterlebt und mitgeprägt.

Erhard Busek: An dieser Stelle muss ich ein Geständnis ablegen: In meiner Schulzeit war für unsere Lehrer diese Integration von Europa bereits eine Perspektive. Damals war ich unter den Skeptikern. Ich kann mich an eine interessante Diskussion mit meiner Deutschprofessorin erinnern, die phantastisch für Europa Stellung bezogen hat. Ich habe ihr damals erklärt: „Das wird nie funktionieren.“ Von ihr kam dann die Frage: „Na, wenn du so gescheit bist, was würdest du anders machen?“ Meine Antwort war: „Typisch österreichisch weiterwursteln.“ Ich erwähne das deswegen, weil ich heute wirklich ein überzeugter Europäer bin. Europa ist für uns ohne Alternative. Wenn die Europäer als Gesamtes im Rahmen des Global Village, des  Weltdorfs, irgendeine Rolle spielen wollen, dann müssen sie das  gemeinsam tun, denn wir sind nur mehr sieben Prozent der Weltbevölkerung. Noch geht es uns wirtschaftlich ganz gut, aber Sie können sich ausrechnen, wann uns China, Indien und andere überholen werden. Daher müssen wir unsere Rolle als Europäer definieren. Denn wir sind nicht mehr der Kontinent, auf dem Kolonialmächte zuhause sind. Es ist die offene Frage, ob wir die starke intellektuelle Rolle und die Position in der Forschung aufrechterhalten können – auf Seite der Innovation. Das verlangt gemeinsame Anstrengungen.

Seit 1. Jänner haben wir die Arbeitsmarktöffnung für Rumänien und Bulgarien. Hätten Sie sich diese Entwicklung wirklich damals vorstellen können?

Klare Antwort: Nein. Ich habe mich sehr engagiert, um auf der anderen Seite des eisernen Vorhanges Gruppen zu unterstützen, die in Richtung Demokratie wollten. Ich habe aber eigentlich nicht mehr damit gerechnet, dass all das zu meinen Lebzeiten Wirklichkeit wird. 1989 war nicht nur ein „Annus mirabilis“ – ein wunderbares Jahr –, sondern hat den Kontinent verändert. Vor allem auch die Position Österreichs. Wir sind aus einer Randlage vom östlichen Rand der westlichen Welt in die Mitte des Kontinents gewandert. Das allein bedeutet schon eine gewisse europäische Verantwortung. Im Wirtschaftsbereich ist diese Verantwortung meines Erachtens wahrgenommen worden. Bei der Politik bin ich etwas kritischer. 

Woran mangelt es bei der Politik? 

An Konzepten. Es wäre dringend notwendig, dass wir in der regionalen Kooperation innerhalb der EU stärker agieren. Dass wir z. B. nicht bei der Visegrád-Gruppe mit Polen, der Tschechischen Republik, der Slowakei und Ungarn sind, halte ich für einen großen Fehler. Wir sind hier gemeinsam zuhause. Ich hoffe, dass uns die Donauregionalinitiative EUSDR zusammenführt. Da sind wir zum Teil ganz gute Spieler, weniger politisch als in den Sachbereichen. Das geht von der Schifffahrt über Fragen der Wirtschaft, des Verkehrs, der Ökologie und vieles mehr. Aber das lässt sich politisch noch ausbauen. 

Werden wir dieses Potenzial nutzen können, mit einem sehr jungen Außenminister Kurz?

Ich würde sagen, Sebastian Kurz hat Chancen, weil sich niemand von ihm etwas erwartet. Da kann er nur noch angenehm überraschen. In einem Telefonat hat er mir gegenüber betont, wie wichtig die Rolle Österreichs gegenüber dem Westbalkan und Donauraum ist. Das kann natürlich auch Marketing gewesen sein, das weiß ich nicht. Hoffentlich unternimmt er auch etwas. Allein die Feststellungen – und im Moment macht er ein bisschen viele Feststellungen – genügen nicht, sondern man muss dazu auch Konzepte haben.

Derzeit geistert anlässlich der Arbeitsmarktöffnung für Rumänen und Bulgaren der Begriff „Sozialtourismus“ durch die Medien. Ängste werden geschürt.

Das ist immer wieder der Fall. Das liegt daran, dass die Politik teilweise von der Artikulation von Befürchtungen lebt. Sie versucht, ihre Bedeutung dadurch zu unterstreichen, dass sie den Mitbürgerinnen und Mitbürgern Angst macht. Das ist eigentlich falsch. Sie müsste sagen, wie sie das Problem selber bewältigt. Mit der Wiedereinführung der Visapflicht etwa, wie die Frau Innenministerin sich hie und da vernehmen lässt, können wir in Wirklichkeit gar nichts lösen. Zum Argument, dass das der Bekämpfung der Kriminalität dienen würde, kann ich nur sagen: Jeder Kriminelle beschafft sich immer noch ein Visum. Die einschlägigen Gerichtsverfahren sind bekannt. Ich glaube, dass wir einiges dazu tun müssen, dass die wirtschaftliche und soziale Situation in diesen Ländern besser wird, so dass die Sehnsucht auszuwandern nicht mehr existiert. Diese entscheidende Frage ist verschärft worden durch die Situation in Südeuropa – also Griechenland, Italien, Portugal, Spanien. Und das, was in Lampedusa und bei den spanischen Enklaven wie in Marokko passiert, sollte klar machen, dass wir dringend ein Konzept brauchen.

Wir haben im aktuellen Heft auch eine Geschichte über Lampedusa. Wie bekommt man das alles in Griff?

In Griff kriegt man das nur, indem wir uns in Afrika oder im Nahen Osten, wo die meisten dieser armen Menschen herkommen, engagieren. Die Chinesen tun das. Ich höre manchmal kritische Töne, dass sie sich wie Kolonialherren aufführen, kann das aber selbst nicht beurteilen, weil mir hier die Kenntnisse fehlen. Wir müssen uns in diesen Ländern engagieren, um zur Stabilität beizutragen. Die berühmten Militärinterventionen unserer französischen Freunde sind dabei nicht das Engagement, das ich meine.

Viele Menschen kommen ja nicht mit dem Ziel Europa, sondern sind auf der Flucht.

Ja, sind auf der Flucht, suchen Arbeit oder überhaupt ein menschenwürdiges Leben. Diese Verantwortung existiert. Wir können als Europäer nicht ständig predigen, dass wir für die Menschenrechte sind und die Menschenwürde und dann entsprechende Maßnahmen unterlassen. Ich sage gleich dazu, da geht es nicht um Finanzierung. Das wird dann immer gleich so ausgelegt. Mit den Mitteln für die Entwicklungshilfe, die natürlich aufgestellt gehören, ist es allein nicht getan. Man braucht hier Bildungsmaßnahmen, die richtigen Bahnen für Investitionen, Infrastruktur, Entwicklungen usw. Der Katalog ist hinreichend bekannt.

In dem Zusammenhang möchte ich auch dafür plädieren, dass die EU mehr Talent in der Krisenintervention entwickelt. Es ist so wichtig, Instrumente dafür zu haben. Ich habe ja die Krisenintervention der Europäer am Balkan erlebt – und ich muss sagen, die Erinnerungen sind gemischt: Einerseits gab es richtige Hilfe, andererseits musste ich feststellen, dass Regierungen Leute dorthin entsandt haben, die einfach irgendeine schöne Funktion haben wollten, gut bezahlt sein, aber von der Gegend, in die sie gegangen sind, nicht die leiseste Ahnung hatten. Das heißt, wer dorthin geht, muss auch entsprechend ausgebildet werden. Ich habe mit meinem Institut hier die Konsequenzen gezogen. Wir haben einen Balkan-Lehrgang, der von den Unternehmen, die dorthin gehen, gerne genutzt wird.

Wünschen Sie sich, dass dieser gesamte mitteleuropäische Donauraum, mit dem sich ihr Institut befasst, Teil der EU wird?

Selbstverständlich. Das hat ja auch die EU schon beschlossen und zwar 2003 im Vertrag von Thessaloniki – nur manchmal vergessen wir das. Natürlich müssen wir einiges dazu tun, dass Probleme gelöst werden. Bosnien-Herzegowina ist da z. B. ein schwarzer Fleck auf der Landkarte.

Die wollen ja auch nicht, oder?

Ach, die wollen, die wollen. Das wirkliche Problem stellen natürlich Blödheiten europäischer Regierungen dar, wie z. B. die Frage des Staatsnamens von Mazedonien. Griechenland blockiert daher alles. Aber auch die Kosovo-Frage, den fünf Mitgliedsstaaten der EU noch immer nicht anerkannt haben. Aber nicht wegen dem Kosovo, sondern wegen ihrer eigenen internen Probleme. Etwa, dass Katalonien selbständig werden will oder was mit der ungarischen Minderheit in Slowenien und der Slowakei passiert.

Aber wie soll das weitergehen? Gleichzeitig muss man ja auch die Situation in Griechenland und Spanien bewältigen. 

Eine berechtigte Frage. Ich glaube, dass das Entsenden von Troikas allein nicht genügt. Hier muss man Assistenzen entwickeln, die im Bildungsbereich, auch in der Strukturentwicklung, liegen. Ich wiederhole: Nicht mit Geld, sondern in einer entsprechenden Ausbildung. Die Bildungsfrage halte ich überhaupt für die Schlüsselfrage in allen diesen Entwicklungen.

Vor allem auf die Jugend angewendet oder unter dem Aspekt des lebenslangen Lernens? 

Auf jeden Fall lebenslanges Lernen. Aber es ist empfehlenswert, mit der Jugend zu beginnen. Wir haben mit der dualen Berufsausbildung in Österreich ein sehr praktikables Modell. Ich erlebe immer wieder sehr großes Interesse daran, das zu übertragen.

Länder wie Rumänien und Bulgarien leiden unter einem so genannten Braindrain, also darunter, dass viele gut ausgebildete, vor allem jüngere Menschen ihr Glück im Ausland suchen – z. B. aus dem Gesundheitswesen.

Nicht nur – auch aus der Wissenschaft. Ich bin Vorsitzender des Universitätsrates der Medizinuni Wien und wir profitieren bei den Oberärztinnen und -ärzten – also auch im akademischen Bereich, nicht nur beim Pflegepersonal – sehr stark von den jungen Menschen, die aus diesen Ländern kommen, bei uns die Ausbildung bekommen und dann hierbleiben. Das kann man ihnen nicht verübeln, aber wir entziehen diesen Ländern ein bisschen die Substanz. Dafür gibt es aber keine koordinierte Strategie.

Sie sprechen gerne von „Europa als Friedensprojekt mit ungeheurem Erfolg“. Vor 100 Jahren ist der 1. Weltkrieg ausgebrochen – kann so ein Krieg nicht mehr ausbrechen?

In der gegenwärtigen Situation kann man wohl sagen: Nein. Wir haben ja 1991 erlebt, dass es wie beim Zerfall von Jugoslawien natürlich wieder Krieg geben kann. Das muss man immer im Gedächtnis behalten. Der Frieden kommt nicht von allein, sondern gehört täglich gesichert.

Dazu bedarf es entsprechender Maßnahmen im Sozialbereich, im wirtschaftlichen Bereich. Die Migrationsfrage hat Sprengkraft. Ich weise immer darauf hin, verzeihen Sie den historischen Vergleich, dass der Zerfall des Imperium Romanum durch die Völkerwanderung geschehen ist. Die Völkerwanderung, die wir heute haben, ist mindestens damit vergleichbar. Ich kann aber auch ein Beispiel aus der näheren Geschichte wählen. Wien war um 1900 die zweitgrößte tschechische Stadt. Wien ist heute, 2014, die zweitgrößte serbische Stadt.

Große Unterschiede?

Eigentlich nein. Im Klima der Stadt hört man natürlich in der Straßenbahn, der U-Bahn, wo auch immer man hinkommt, alle möglichen Sprachen, aber bislang sind eigentlich nur minimale Konflikte entstanden. Das ist, glaube ich, eine sehr positive Entwicklung. Mag sein, dass wir durch die Vergangenheit und die Durchmischung im Donauraum es ein bisschen in den Genen haben, leichter damit umzugehen.

Sie glauben also, dass wir mit dem „Fremden“ besser umgehen können?

Ich glaube, dass wir geschickter sind, wenn ich an die Kopftuchfrage in Frankreich denke und die Art und Weise, wie sie bei uns gelöst wurde – indem sie eigentlich kein Problem darstellt – ist das ein sehr gutes Zeichen. Auch die Deutschen leisten sich sozusagen bewusste Konflikte vor allem mit der türkischen Minderheit, die allerdings erheblich größer ist als bei uns. Wir lösen die Dinge eher pragmatisch.

Soll die Türkei zu Europa?

Ich glaube, dass die Türkei derzeit in einem gigantischen Umbruch ist und man noch nicht voraussagen kann, was dabei herauskommt. Nur danach kann die europäische Frage entschieden werden. Ich möchte aber klarstellen: Im Moment sehe ich das nicht, weil wir uns mit der Türkei als EU-Mitglied Grenzen zu den Kaukasusstaaten, zum Irak, Iran, zu Syrien einhandeln würden, die wir als Europäer gar nicht bewältigen können.

The Soul of Europe beschwören Sie immer wieder – existiert die europäische Seele?

Im Bereich der Kultur, ja. Wenn Sie die kulturellen Leistungen dieses Kontinents anschauen, sind das gemeinsame. Konzertprogramme, Theaterprogramme sind eine Mischung quer durch die Länder. „A Soul for Europe“ verlangt natürlich auch Übereinstimmung. Man spricht hier gerne vom „narrativen Europa“, das wir brauchen. Ich glaube, wir brauchen diese europäische Erzählung, damit wir wissen, wer wir sind, was wir beitragen. Das ist aber eine Aufgabe von Kunst und Kultur, aber auch der Leistung von Wissenschaft, Forschung, von begabten Menschen, von Medien und jenen, die in der Lage sind, sich überhaupt über Europa zu artikulieren.

Was für eine Rolle spielen denn die Gewerkschaften in diesem zusammenwachsenden Europa?

Nach wie vor eine große. Ich bin Anhänger der Wirtschafts- und Sozialpartnerschaft. Das Modell ist auf europäischer Ebene auch irgendwie übernommen worden, ist aber meines Erachtens in der Artikulation auf beiden Seiten – von ArbeitnehmerInnenvertretung und von der Wirtschaftsseite – nicht so entwickelt. Ich würde mir wünschen, dass sich der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) stärker ins Spiel bringt. Das ist meines Erachtens dringend notwendig. Die soziale Frage ist neben der Frage der Bildung die eigentliche Herausforderung für Europa.

Wir danken für das Gespräch.

Institut für den Donauraum und Mitteleuropa:
www.idm.at

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