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Symbolbild zum Bericht "Schöne neue Arbeitswelt" In Österreich machte zuletzt Microsoft mit seinem Konzept des "neuen Arbeitens" von sich reden.
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Schöne neue Arbeitswelt

Schwerpunkt

Neue Technologien verändern die Arbeitswelt und den Arbeitsplatz. Nicht immer zum Vorteil der Beschäftigten.

Die Arbeitswelt verändert sich. Belege für diese These sind zahlreich: Das Strukturwandelbarometer 2013 zeigt auf, dass eine überwiegende Mehrheit der Betriebsräte und Betriebsrätinnen eine Zunahme von Flexibilitätsanforderungen und Zeitdruck wahrnimmt. Wie aus Zahlen der Statistik Austria hervorgeht, nehmen atypische Arbeitsformen, wie Teilzeit – inklusive geringfügiger Beschäftigung – und Befristungen, stark zu. Smartphones und Co erleichtern eine neue Form der Flexibilität und Erreichbarkeit, für die es bisher noch kaum spezifische rechtliche Regelungen gibt.

Die Perspektiven, aus denen diese Veränderungen wahrgenommen werden, unterscheiden sich zum Teil jedoch erheblich voneinander. Einige große Unternehmen sehen sich in einer Vorreiterrolle und zeichnen eine neue Arbeitswelt, die uns von vielen Problemen – wie Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie – befreien soll. Feste Arbeitsplätze, vorgegebene Abläufe, traditionelle hierarchische Führung und geregelte Arbeitszeiten erscheinen in dieser neuen Arbeitswelt wie Relikte aus alten Zeiten. Doch was bringt die „neue Arbeitswelt“, und können die neuen Möglichkeiten für ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen positiv gestaltet werden?

Informatikunternehmen als Vorreiter

Vorreiter bei Visionen zur neuen Arbeitswelt sind seit vielen Jahren große Unternehmen – vornehmlich aus dem Informatikbereich. Vor bereits fast 20 Jahren sorgte Desksharing als Idee dieses Sektors für großes Aufsehen. Was hat sich seitdem getan?

In Österreich machte zuletzt Microsoft mit seinem Konzept des „neuen Arbeitens“ von sich reden. Im neuen Microsoft-Büro in Wien wird auf aktuellste technologische Ausstattung, freie Arbeitsplatzwahl, Vertrauensarbeitszeit, zahlreiche durchdesignte Meetingräume und eine Rutsche gesetzt. Mit Erfolg, denn Microsoft wurde bereits als „Great Place to Work“ und „Frauenfreundlichster Betrieb“ ausgezeichnet. Auch Google ist schon mehrfach zum beliebtesten Arbeitgeber gewählt worden: freie Snacks und Getränke, farbenfrohe Büros, Tischfußball, Lounge, Spielekonsolen und Heimarbeit nach Belieben. Vor einer vorschnellen Stilisierung zum Vorbild für die zukünftige Arbeitswelt sollte man jedoch einige Implikationen dieser Arbeitskonzepte kritisch hinterfragen.

My office is where I am!

Durch neue Kommunikationsmittel wie Smartphones verliert die physische Anwesenheit zunehmend an Bedeutung, denn Arbeit kann immer und überall erledigt werden. So beginnt die Arbeit vielfach schon vor dem regulären Arbeitsbeginn mit der Beantwortung von E-Mails auf der Zugfahrt ins Büro oder mit dem Conference Call am Weg zum Kindergarten. Der Arbeitstag endet dann mit dem letzten Abruf der dienstlichen E-Mails im Bett. Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmt dadurch zusehends. Dass diese Entwicklung der permanenten Erreichbarkeit und zeitlichen Flexibilität zu psychischen Belastungen führen und schlussendlich auch krank machen kann, wird klar, wenn man bedenkt, dass die Regeneration der eigenen Ressourcen dabei vielfach zu kurz kommt. Im Gegensatz zu den technischen Gadgets lässt sich das Gehirn nicht abschalten, sondern macht als Arbeitsmittel Wissen und Inhalte durchgehend abrufbar. Die neuen Technologien verstärken diesen Zusammenhang, weil sie das Arbeitsmittel Gehirn einer permanenten Abrufbarkeit auch praktisch zugänglich machen.

Freie Platzwahl bitte

Ein weiterer Bereich, in dem sich Trends in Richtung „neues Arbeiten“ erkennen lassen, ist die Arbeitsstättengestaltung. Unternehmen versuchen durch architektonische und funktionelle Maßnahmen den Erlebnis-, Wohlfühl- und Kommunikationsfaktor am Arbeitsplatz zu erhöhen. Dazu gehört auch eine offene Arbeitsplatzgestaltung bzw. in weiterer Folge die Abschaffung fester Arbeitsplätze. Dem Mitarbeiter sollen je nach Art der Arbeit und nach Stimmung verschiedene Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, wie Meetingräume, Großraumbüros oder die Cafeteria. Diese Maßnahme soll die Kommunikation vor allem zwischen verschiedenen Unternehmensbereichen erhöhen – im besten Fall sitzt man jeden Tag neben anderen Kollegen und Kolleginnen. Schon der bisherige Arbeitsalltag vieler ArbeitnehmerInnen ist vor allem durch Projekt- und Teamarbeit und durch Arbeit in unterschiedlichen kulturellen und sprachlichen Kontexten geprägt. Dies erfordert eine große emotionale und soziale Flexibilität – nicht nur weil unterschiedliche Arbeitsziele, sondern auch ganz verschiedene Persönlichkeiten aufeinandertreffen. Insbesondere das Konzept des freien Arbeitsplatzes stellt eine Verschärfung dieser Situation dar, denn es gibt für die Beschäftigten keinen Rückzug mehr aus der Kommunikation und die mitunter notwendige Ruhe und Zurückgezogenheit beim Arbeiten fehlt.

Mehr Autonomie – mehr Druck?

Eng mit der Freiheit der Arbeitsplatzwahl und dem Verschwimmen der zeitlichen Grenzen hängt die Entwicklung neuer Managementformen zusammen, die von einer direkten Befehlsstruktur abgehen und sich stattdessen stark an Ergebnissen orientieren. Wie man eine Aufgabe erledigt und wie lange man benötigt, tritt dabei in den Hintergrund. MitarbeiterInnen und Vorgesetzte vereinbaren vielmehr spezifische Ergebnisse und Ziele, die in einem bestimmten Zeithorizont zu erreichen sind. Dabei wird dem/der ArbeitnehmerIn eine größere Selbstständigkeit inklusive erweiterten Handlungs- und Entscheidungsspielräumen zugestanden. Der direkte Zwang im Alltag fällt zwar weg, aber es entsteht für viele Betroffene eine paradoxe Situation, nämlich „mehr Druck durch mehr Freiheit“1. Es obliegt nicht mehr der Führungskraft den Rahmen abzustecken, sondern Selbstverantwortung steht im Vordergrund. Der/die ArbeitnehmerIn muss selbst entscheiden, wann er oder sie die Kommunikationsmittel ausschaltet, wann er oder sie arbeitet und wann die Erreichbarkeit für Kollegen, Kolleginnen und Vorgesetzte notwendig ist. Der positive Zuwachs an Freiheit und Selbstbestimmung kann daher auch in Überforderung und Selbstausbeutung münden.

Im Interesse der ArbeitnehmerInnen?

Die Aufgabe der Arbeitnehmerinteressenvertretungen in den nächsten Jahren wird sein, auf die neuen Herausforderungen zu reagieren und die Weichen für ein gesundes Arbeitsleben zu stellen. Es muss einen Ausgleich von ArbeitnehmerInnen- und ArbeitgeberInnenflexibilität geben und ebenso Maßnahmen zur Erhaltung der psychischen und physischen Gesundheit.

Diese Aufgabe wird angesichts der beschriebenen Herausforderungen keine leichte sein. Viele der vorgeschlagenen neuen Arbeitsformen vereinen nämlich sowohl positive als auch negative Aspekte, wenn es um die Bestimmung von „guter Arbeit“ geht. Die Abwägung lässt sich oft nur für den Einzelfall vornehmen, denn dazu sind viele Parameter wichtig, wie Branche, tatsächliche Tätigkeit, private Lebensumstände. Anzumerken ist auch, dass die bisher gelebten Konzepte zwar medial großes Aufsehen erregt haben, aber fraglich ist, ob sie sich tatsächlich für eine breite Umsetzung in der gesamten Arbeitswelt eignen. Denn erstens handelt es sich bei den Vorreitern um Unternehmen, die Experimente auch aufgrund großer finanzieller Ressourcen wagen können. Zweitens bieten sich auch die Tätigkeitsfelder dieser Unternehmen für das „neue Arbeiten“ an. Eine sehr hohe Technikaffinität und überwiegend projektbezogenes Arbeiten in verschieden zusammengesetzten Gruppen lässt sich aber nicht auf die Mehrheit der Arbeitsverhältnisse übertragen.

Die Conclusio für die Arbeitnehmerinteressenvertretungen bleibt daher ambivalent: Monitoring der neuen Entwicklungen und Aufklärung über die Gefahren. Auf der anderen Seite: Die Herausforderung neuer Konzepte annehmen und aus den zum Teil auch positiven Erfahrungen der schon jetzt betroffenen ArbeitnehmerInnen lernen.

1 S. dazu schon Glißmann/Peters: Mehr Druck durch mehr Freiheit. Die neue Autonomie in der Arbeit und ihre paradoxen Folgen (2001)

Mehr Infos: Strukturwandelbarometer AK: tinyurl.com/orw3osq

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin charlotte.reiff@akwien.at  oder die Redaktion aw@oegb.at

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