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Automatisierung geistiger Arbeit Algorithmen müssen komplexe Kombinationen von technischen Regeln berücksichtigen (Fahrgeschwindigkeiten, Abstände zwischen Zügen, Umsteigezeiten, Arbeitszeiten der FahrerInnen) ...

Automatisierung geistiger Arbeit

Schwerpunkt

Die digitale Revolution frisst ihre Schöpfer: Computerprogramme und ihre Algorithmen erledigen zunehmend unsere Arbeit. Und was werden wir dann tun?

Sind Sie sich sicher, dass die nächsten Zeilen in dieser Ausgabe der „Arbeit&Wirtschaft“ von einem Menschen stammen? Ich kann Ihnen versichern, dass hier ein Journalist aus Fleisch und Blut in die Tasten haut, aber es müsste nicht sein. Denn inzwischen können Computerprogramme auch Artikel verfassen – wenn man ihnen sagt wie. 2009 wurde in den USA das Computerprogramm Stats Monkey präsentiert. Es wurde entwickelt, um zur Entlastung von JournalistInnen beizutragen. Es erstellt eigenständig Berichte über die Baseball-Regionalliga und soll so den JournalistInnen mehr Zeit für die Recherche wichtigerer Themen freiräumen. Ein utopischer Gedanke – für die Arbeitswelt, nicht für die Computertechnologie. Das Programm schafft es, einen brauchbaren Artikel zu produzieren, indem es aus verschiedenen Suchresultaten im Internet, wie Ergebnissen und Statistiken, anhand einer Handlungsvorschrift – eines Algorithmus – einen neuen Text zusammenbaut. Dass jedoch JournalistInnen freigespielt wären, darf man ruhig infrage stellen. Leistet sich ein Medienunternehmen weiterhin eine Arbeitskraft, deren eigentliche Aufgabe von einem Computer und seinen Algorithmen erledigt werden kann?
Ein Algorithmus ist ein Berechnungsverfahren. Definiert werden Algorithmen als „eindeutige und ausführbare Handlungsvorschriften zur Lösung eines Problems“. Sie sind also nichts anderes, als eine von Menschen beauftragte Vermengung von Regeln, die man einhalten muss, um ein optimales Ziel zu erreichen. Wie ein Kochrezept: Ziel und Zutaten werden bestimmt und dann gibt man klare Handlungsanweisungen, was wann wie in welcher Reihenfolge geschehen soll.

Algorithmen im Alltag

Mit Algorithmen kamen wir schon in der Volksschule in Verbindung, als wir lernten zu multiplizieren oder zu dividieren. Wir lernten damals noch nicht, dass es sich um ein automatisierbares Berechnungsverfahren handelt, jedoch gab es schon Maschinen, die diese Operationen anhand einer Handlungsausführung durchzuführen verstanden, schneller und sicherer. Als Computer wurden früher Menschen bezeichnet, die Berechnungen nach Algorithmen durchführten. Da die menschlichen Kapazitäten in Sachen Rechenkraft weit von Maschinen überholt wurden, überlässt man diese Arbeit gerne den „Rechnern“, den Computern in der heutigen Bedeutung.
Im Grunde sind wir auch in unserem nichttechnischen Alltag von solchen Handlungsanweisungen umgeben, wie etwa Bastel- oder Strickanleitungen, wir nehmen sie nur nicht als Algorithmen wahr. Doch schon beim Weg in die Arbeit kommen komplexe Algorithmen zum Zuge – optimal getaktete Züge zum Beispiel sind ein hochkomplexes Problem, die möglichen Fahrplanvarianten sind unüberblickbar. Algorithmen müssen komplexe Kombinationen von technischen Regeln berücksichtigen (Fahrgeschwindigkeiten, Abstände zwischen Zügen, Umsteigezeiten, Arbeitszeiten der FahrerInnen), sollen Fahrgastwünsche erfüllen (kundenfreundlicher und kostengünstiger Fahrplan) und Störungen abfangen. Dabei müssen riesige Datenmengen verarbeitet werden. Viele technische Systeme werden heutzutage ohne menschlichen Eingriff allein durch Algorithmen gesteuert. Telefonnetzwerke und das Internet sind dafür die besten Beispiele. Suchen Sie noch in den 13 Bänden des Brockhaus und rufen Sie ExpertInnen an, die Sie sich aus dem Telefonbuch herausgesucht haben – oder fragen Sie lieber Google? Google findet übrigens 2,410.000 Ergebnisse zu der Suchanfrage „Algorithmus“ in 0,27 Sekunden UND sortiert diese nach Relevanz – kein Mensch kann dies leisten.

Billiger Ersatz

Um denkende ArbeiterInnen zu ersetzen, bedarf es keiner teuren Investitionen in Maschinen oder Roboter. Ein kleines und vergleichsweise billiges Programm kann den Menschen an der Tastatur ersetzen. War es früher „notwendig“ bzw. gang und gäbe, sein Callcenter aus Kostengründen ins Ausland zu verlegen, so können heute bereits große Teile vollautomatisiert und somit noch mehr Arbeitskräfte eingespart werden. Nach und nach übernimmt Software den größten Teil des Kundendialogs im Chat, weil der Großteil der Anfragen ohnehin immer gleich ist und geschriebenes Wort bereits sehr gut automatisch verarbeitet werden kann. Wird die Erkennung, Verarbeitung und Generierung des gesprochenen Wortes noch verbessert, kann man die Mannschaft des Callcenters auf die SupervisorInnen zurückstutzen, die sich um nicht vorhersehbare Probleme kümmern. Den Rest des Kundendialogs erledigt dann ein Software-System. Wird es so weit kommen? Ja.

Digitale Revolution

Historisch sind die Ausmaße der Digitalisierung mit jenen der industriellen Revolution vergleichbar. Doch während die Industrialisierung die Kraft der ArbeiterInnen durch die Maschine ersetzt und bestehende Arbeitsabläufe automatisiert hat, automatisiert die Digitalisierung das Wissen. Und das in einem rasanten Tempo. Die Mechanisierung der Landwirtschaft zog sich über viele Jahrzehnte hin, und auch die Automatisierung in der industriellen Fertigung schreitet im Zeitraum von Jahren und Jahrzehnten voran. Für die Automatisierung geistiger Tätigkeiten gibt es keine Hindernisse für eine umsturzartige Veränderung.
1950 waren noch 12 Prozent im primären, 49,5 Prozent im sekundären und 38,5 Prozent im tertiären Sektor beschäftigt. 1973 zog der tertiäre Sektor mit dem sekundären gleich. 2012 waren in der Land- und Forstwirtschaft nur noch 0,6 Prozent tätig, 26 Prozent im Produktionsbereich, und 73,4 Prozent waren bereits im Bereich der Dienstleistungen beschäftigt (Quelle: HVSV, Statistik Austria, April 2013). Tendenz weiterhin stark steigend. Oder?
Die durch technische Erneuerungen erzwungenen Anpassungen sind in der Regel hart und ungerecht. Jeder Traktor, jeder Mähdrescher machte ArbeiterInnen in der Landwirtschaft arbeitslos. Jeder automatische Webstuhl stürzte Familien in die Armut. Vielen blieb nur die Möglichkeit, in die Stadt zur Industrie abzuwandern. Auch jede mechanische Rechenmaschine, jeder Computer macht Menschen überflüssig. Dabei sorgt jede Technologiewelle für einen Produktivitätsüberschuss. Der Mensch wurde durch die Maschinen nicht einfach ersetzt, er wurde übertroffen. Und die Maschinen lernen, sie können menschliche Denkleistungen und Verhaltensweisen so intensiv studieren, dass sie besser werden als wir, die ursprünglichen Datenzulieferer. Es sind nicht länger nur die FließbandarbeiterInnen, deren Job durch einen Roboter ersetzt werden kann. Bald sind auch Anwältinnen und Anwälte, Marketingpersonal, die erwähnten JournalistInnen und auch LehrerInnen betroffen. Diese Veränderungen sind nicht rein technischer Natur, die Kombination von Vernetzung, Computerleistung und einer Umgewöhnung der Kundinnen und Kunden kann sehr schnell dramatische Auswirkungen haben – wann waren Sie zuletzt in einem Reisebüro?

Keine Teufelei

Es hilft nichts, über „die Algorithmen“ zu jammern, die immer mehr Bereiche des menschlichen Geistes ersetzen können. Nicht die Algorithmen und Maschinen sind die Bedrohung. Sie sind eine neue Kulturtechnik, das Ergebnis eines Strebens der Menschen nach Fortschritt, Effizienz und Optimierung. Und sind sie nicht unsere Maschinen? Maschinen haben kein Bewusstsein, keinen Willen zur Macht, keine Absichten, sie werden von Menschen gebaut und eingesetzt. Und ihr Einsatz ist erst am Beginn der Möglichkeiten. Wir brauchen jedoch Lösungen, denn schon jetzt konkurrieren zu viele Menschen für zu geringen Lohn um zu wenige Arbeitsplätze und zu wenig Arbeitszeit. Allerdings: Wenn immer mehr Arbeit von den Maschinen übernommen wird, müssen andere Arbeitsbereiche für die Menschen gefunden werden, denn wenn wir keinen Lohn bekommen,  wer wird dann die Steuern, Pensions- und Sozialversicherungsbeiträge einzahlen, wer wird konsumieren, um die Wirtschaft am Laufen zu halten? Es müsste zu einem gesamtgesellschaftlichen Umdenken kommen – wenn zu wenig humane Arbeit vorhanden ist, sollte man nicht die Arbeitszeit gerechter verteilen, vielleicht den abgelegten Gedanken einer Wertschöpfungsabgabe wieder aufnehmen, maschinelle Produktion verstärkt besteuern? Können wir die durch Maschinen ersparte Zeit nutzen und stattdessen die verbleibende Humanarbeitszeit gerechter verteilen? Algorithmen werden unser Leben weiter verändern, und darauf müssen wir uns einstellen. Wie sie unser Leben verändern, das befehlen wir ihnen.

„Algorithmic Ideology: How Capitalist Society Shapes Search Engines“ – von Astrid Mager:
tinyurl.com/bpy6fhk

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor martin.haiden@tele.at
oder die Redaktion aw@oegb.at

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