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Hinter den Kulissen der Verlagsindustrie Die Erfindungen von Apple, das iPhone und das iPad, waren DIE "Game Changer" in der Transformation der Medienbranche.

Hinter den Kulissen der Verlagsindustrie

Schwerpunkt

Neue Technologien, neue Mitbewerber, neue Regeln ...

Jö, muss das schön sein, wenn man in einem Verlag arbeiten darf. Am Ende des Tages zu sehen und in der Hand zu haben, was man Schönes produziert hat an Büchern und Zeitschriften“, so lautet vielfach die Antwort, wenn man sagt, dass man in einem Verlag arbeitet. Und es folgt ein gezwungenes Lächeln von dem/der VerlagsmitarbeiterIn …
Die Schlagzeilen innerhalb der Branche: „Massensterben von Tageszeitungs-Verlagen weltweit. In den USA wurden innerhalb eines Jahrzehnts 20 Prozent aller Tageszeitungen geschlossen“, „Firmenübernahmen und Fusionen stehen auf der Tagesordnung bei den großen Buch- und Zeitschriften-Verlagen, um kritische Massen zu erreichen“, „Große Verlags-Flaggschiffe der deutschsprachigen Medienlandschaft wie Gruner & Jahr wanken und kämpfen mit multiplen Problemen“, „Reorganisation und Restrukturierung der Verlagsbranche“, „Der klassische Buchhandel verliert massiv an die großen Internet-Händler, vor allem Amazon. Innerhalb von 15 Jahren mussten 30 Prozent der Buchhandlungen in Deutschland schließen“.

Bullshit-Bingo

Reorganisation, Restrukturierung, Prozessoptimierung, Strategiefindung, neue Geschäftsmodelle, Marken-Relaunches, Change-Management, Cross-Media-Publishing, medienneutrale Datenhaltung, Content-Management u. v. m. sind zu den Bullshit-Bingo-Wörtern der Medienbranche geworden. Niemand kann sie mehr hören und jeder muss sich tagtäglich damit beschäftigen. Aber was ist nur los in der Verlagsbranche? Seit 1445, als Johannes Gutenberg den Buchdruck erfand, bis vor Kurzem – also bis ca. vor 15 Jahren – waren die Prinzipien des Buchmachens über Jahrhunderte ungefähr gleich geblieben. Vom Autor zum Verlag zum Setzer zum Drucker zum Buchhändler. Auch Zeitschriftenverlage agierten über viele Jahrzehnte nach gleichbleibenden Grundregeln. „The internet did not kill the publishing houses, but mobile probably will“, fasst Dave Morgan, einer der Visionäre im amerikanischen Medienbusiness, die aktuelle Situation treffend zusammen. Die Entwicklungen der Mobilkommunikation machten eine Sieben-Tage-die-Woche- und 24-Stunden-Internetnutzung und dadurch auch kontinuierliche Medienkonsumation möglich bzw. fast zur Regel. Und die daraus resultierenden Anpassungsprozesse machen den Medienunternehmen weltweit zu schaffen.
Die derzeitigen Veränderungen am Medien- und Technologiemarkt sind keine kurzfristigen Trends. Es sind fundamentale Neustrukturierungen und unumkehrbare Entwicklungen für die gesamte Medienindustrie. Schon seit ca. 2005 – nach der Ernüchterung durch das Platzen der Dotcom-Blase und einer realistischeren Einschätzung, was die New Economy versus die Old Economy wirklich leisten wird – waren die strukturellen Probleme der Branche bekannt und auch wissenschaftlich benannt. Diese problematischen Entwicklungen wurden durch die schwache konjunkturelle Entwicklung und die damit auch schwächelnde Werbewirtschaft  von 2008 bis 2010 nur verschärft und beschleunigt. Weitere Treiber dieser Veränderungen – wenn nicht sogar die zentralen „Game Changer“ – waren die Entwicklungen im Mobil-Sektor. Die Erfindungen von Apple, das iPhone und das iPad, waren DIE Meilensteine in der Transformation der Medienbranche. Alle relevanten Marktplayer im Bereich der Consumer Electronics (besonders erfolgreich Samsung) setzten als Nachahmer und Weiterentwickler von Smartphones und Tablets auf diesen Trend und erzeugten damit die enorme Marktdurchdringung mit diesen Endgeräten.

Medientheoretische Erklärung

Im Zentrum der jetzigen Entwicklungen steht eine dramatische Veränderung bzw. sogar Neudefinition der Wertschöpfungsketten innerhalb der Medienbranche. Bei diesem technologiegetriebenen Marktwandel entstehen

  • ausgehend von neuen Technologien neue Produktionsverfahren und Distributionsmöglichkeiten durch neue Endgeräte,
  • neue Kundenbedürfnisse hinsichtlich erweiterter Produkte und besserer Produktnutzung,
  • die wiederum neue brancheninterne, aber vor allem auch branchenfremde Unternehmen (globale Player im Bereich Internet und Hardware, wie Google, Apple, Amazon u. v. m.) in den Markt bringen, und
  • diese neuen Player führen neue bisher in der Branche unbekannte Nutzungs- und Geschäftsmodelle ein.

Die Komplexität der technischen Umsetzung der neuen Anforderungen bringt auch weitere – vielfach neue und bisher unbekannte – Dienstleistungen in den klassischen Wertschöpfungsprozess der Medienbetriebe. Content-Management-Systemanbieter, Softwareentwickler, Cross-Media-Producer, Multimedia-Agenturen, Content-Vermarkter, Selfpublishing-Platt-formen, Online-Tauschbörsen, Publishing-Unternehmen, XML-Setzer, ePub-Konvertierer, Suchmaschinen-Optimierer, E-Book-Plattformen, E-Commerce-Shops, Content-Syndikatoren, On-Demand-Digitaldrucker u. v. m. ergänzen bzw. substituieren Verlage.
Die Autoren des Buches „Ökonomie der Buchindustrie“ Clement/Blömeke/Sambeth schreiben in ihrer Einleitung in Richtung Verlage und Buchhandel sehr treffend: „Das gedruckte Buch wird noch sehr lange im Zentrum der Wertschöpfung bleiben – die Frage ist aber nur, wer es erstellt, produziert und vermarktet. Neue Wettbewerber sind dabei, sich am Markt zu positionieren, und die Buchbranche ist noch lange nicht aufgewacht.“

Verlag 3.0

Die Entwicklung vom klassischen Print-Verlag zum cross-medialen Medienbetrieb ist langwierig und beschwerlich. Unter dem Schlagwort „Verlag 3.0“ werden in der Branchen-Community jene Anforderungen und Schwerpunkte diskutiert, wo sich die Verlage hinbewegen werden, und wie sie sich verändern müssen. Diese sind im Wesentlichen (vgl. Ehrhardt F. Heinold):

  • die optimale Struktur für größtmögliche Kundennähe,
  • Business-Development nahe am Kunden,
  • detaillierte Kundengruppenanalysen und CRM-Einsatz,
  • cross-mediale Neuorganisation der Prozesse,
  • Innovationsmanagement und neue Methoden der Produktentwicklung.

Für eine Neupositionierung der Verlage innerhalb der Wertschöpfungskette werden neue Produkte und Services notwendig sein, wie z. B.:

  • neben Print-Kernprodukten weitere angereicherte Produkte offline, online, E-Books, E-Magazines, Mobil-Lösungen;
  • Entwicklung weiterer Services, wie z. B. Beratungs-Produkte, Infobroking, Newsletter, Premium-Produkte;
  • Übernahme der Rolle als Community-Enabler zur Vernetzung der eigenen Zielgruppen;
  • Entwicklung von Anwendungssoftware/Arbeitsplatzlösungen rund um die Content-Produkte;
  • Übernahme zusätzlicher Publishing-, Media- und Agenturleistungen für die Kundinnen und Kunden;
  • Strategien für Content-Syndication bzw. -Aggregation für den Austausch und die Mehrfachverwendung medialer Inhalte gemeinsam mit anderen PartnerInnen;
  • Einsatz von Zielgruppen- und Fach-Know-how bei der Organisation von persönlichen Begegnungen, wie z. B. kostenpflichtige Kongresse, Messen und Weiterbildungsveranstaltungen.

Früher waren es Projekte, die nach mehreren Jahren Stabilität wieder in einem Schub größere Veränderung in Unternehmen brachten. Mittlerweile sind diese Zyklen aber so kurz, dass von kontinuierlicher Veränderung aller relevanten Dimensionen in einem Unternehmen – wie Strategie, Strukturen, Systeme, Prozesse und Verhaltensweisen – gesprochen werden muss.

Change-Management

Die zwei zentralen Fragen für den Erfolg oder Misserfolg der Veränderung von Medienbetrieben sind: „Wie werden Führungskräfte und MitarbeiterInnen den kontinuierlichen Veränderungsdruck, den die beschriebenen Entwicklungen erzwingen, aushalten?“ und „Wie können die enormen Technologie-Investitionen für die neuen digitalen Produkte bei gleichzeitig sehr geringer Zahlungsbereitschaft der EndkonsumentInnen für Informationsprodukte im Internet amortisiert werden?“ Strukturiertes Handeln und mutiges Entscheiden ist gefordert!

Börsenverein des Buchhandels:
www.boersenverein.de
Akademie des deutschen Buchhandels:
www.buchakademie.de
Verband deutscher Zeitschriftenverleger:
www.vdz.de

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor gerhard.broethaler@oegbverlag.at oder die Redaktion aw@oegb.at 

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