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Herabgestuft Die Zahl der Menschen, die in den Arbeitsmarkt eintreten - das Arbeitskräftepotenzial - steigt kontinuierlich an.

Ein Jahrzehnt der Atypisierung

Schwerpunkt

Die Beschäftigungsentwicklung in Österreich seit 2000 weist einen eindeutigen Trend auf: Unbefristete, unselbstständige Vollzeitbeschäftigung wird seltener.

In den Jahren 2000 bis 2011 stieg die Anzahl der Beschäftigten (unselbstständig und selbstständig zusammen) in Österreich laut Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung (VGR) um etwa 400.000 oder elf Prozent an. Der Anstieg der Beschäftigungsverhältnisse war sogar etwas höher. Grund dafür ist, dass ein verhältnismäßig kleiner Teil der Erwerbstätigen mehr als einer Beschäftigung nachgeht. Dabei fiel der Anstieg der insgesamt geleisteten Arbeitsstunden mit 2,2 Prozent oder etwa 155 Mio. zusätzlichen Stunden seit 2000 vergleichsweise gering aus. Verwunderlich ist das nicht. Zeigt sich doch schon seit Jahren, dass der Beschäftigungszuwachs in Österreich praktisch ausschließlich auf eine Zunahme sogenannter atypischer Arbeitsverhältnisse zurückgeht, vor allem der Teilzeitbeschäftigung. Betroffen davon sind in erster Linie Frauen.

Mehr Beschäftigte durch Teilzeit

Eine langfristige Analyse der Beschäftigung in Österreich ist schwierig. Aufgrund einer Erhebungsumstellung zwischen 2003 und 2004 in der sogenannten Arbeitskräfteerhebung der Statistik Austria sind Vergleiche, die sich über diesen Zeitraum ziehen, ungenau. Trotzdem ist die Aussage zulässig, dass es seit 2000 zu keinem wesentlichen Anstieg der Zahl von Vollzeitarbeitsplätzen gekommen ist, weder bei Frauen noch bei Männern. Laut Arbeitskräfteerhebung sind fast drei Viertel aller seit 2000 zusätzlich beschäftigten Personen Frauen. Das ist wenig überraschend, da der Frauenanteil bei den Beschäftigten unter jenem der Männer liegt, jedoch seit Jahrzehnten kontinuierlich wächst. Als problematisch einzustufen ist dabei, dass dieser Anstieg fast ausschließlich auf Beschäftigungsverhältnisse mit weniger als 36 Stunden Arbeitszeit pro Woche zurückgeht. 36 Wochenstunden sind die in der Statistik verwendete Grenze einer Vollzeitbeschäftigung. Beschäftigungsverhältnisse mit einer Normalarbeitszeit zwischen null und elf Stunden pro Woche werden – möglicherweise ungerechtfertigt vereinfacht – mit geringfügiger Beschäftigung gleichgesetzt, solche mit einer Normalarbeitszeit zwischen zwölf und 35 Stunden als Teilzeit.
Die Zahl der erwerbstätigen Frauen ist seit 2000 um mehr als ein Viertel gewachsen, fast 98 Prozent (!) des Beschäftigungszuwachses sind jedoch auf Teilzeit und geringfügige Beschäftigung zurückzuführen. Bei den Männern ist die Situation ähnlich, dort sind es rund 93 Prozent.

Verlaufende Grenzen

Neben Teilzeit und Geringfügigkeit gelten Leih- bzw. Zeitarbeit (Arbeitskräfteüberlassung) sowie befristete Beschäftigung als unselbstständige atypische Beschäftigungsformen. Sie sind als Gegenstück zur unbefristeten unselbstständigen Vollzeitbeschäftigung, ohne Leih- und Zeitarbeit, zu verstehen. Die Abgrenzung zur selbstständigen Beschäftigung ist schwieriger. Freie Dienstverträge, die sogenannten neuen FreiberuflerInnen und ein (unbestimmbarer) Teil der Selbstständigen können dieser Gruppe zugerechnet werden. Zusammen ergibt das, je nach Lesart, zumindest 1,1 Mio. betroffene Personen in Österreich.
Die Entwicklung der (unselbstständigen) atypischen Beschäftigung in Österreich wird seit 2004 eigens ausgewertet. Trotzdem ist eine eindeutige Entwicklung sichtbar. Waren 2004 etwa 850.000 Personen betroffen, ein Anteil von 26 Prozent an allen unselbstständig Beschäftigten, so stieg er bis 2011 auf 1,1 Mio. oder fast 31 Prozent. Nach Statistik-Austria-Definition ist mittlerweile fast die Hälfte aller unselbstständig erwerbstätigen Frauen atypisch beschäftigt.

Mehr Ältere am Arbeitsmarkt

Gestiegen ist auch die Zahl der älteren ArbeitnehmerInnen. Personen zwischen 55 und 64 Jahren waren und sind in Österreich verhältnismäßig schlecht in den Arbeitsmarkt integriert. Trotzdem ist seit 2000 ein relativ starker Beschäftigungsanstieg in dieser Gruppe bemerkbar. Das betrifft nicht nur Frauen, diese aber besonders stark. In der Altersgruppe der 55- bis 59-Jährigen hat sich die Frauenbeschäftigung mehr als verdoppelt. Bei den Männern war der relative Anstieg bei den 60- bis 64-Jährigen größer.
Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise kam es ab 2008 zu einem Rückgang der Beschäftigung, die erst 2010 wieder das Vorkrisenniveau erreichte. Besonders betroffen waren unter anderem LeiharbeiterInnen, da ihre Arbeitsverträge, anders als jene der Stammbelegschaften, vergleichsweise leicht zu beenden sind. Arbeitsmarktexpertinnen und -experten gehen davon aus, dass aus diesem Grund Unternehmen zukünftig verstärkt auf Leiharbeit zurückgreifen werden. Um die negativen Effekte der Krise auf die Beschäftigung abzuschwächen, wurde in österreichischen Betrieben in großem Ausmaß Kurzarbeit eingesetzt, eine zeitlich begrenzte Reduktion der Arbeitszeit.
Während sich die Beschäftigung also bald stabilisierte, stieg die Zahl der arbeitslos gemeldeten Personen, inklusive SchulungsteilnehmerInnen, zwischen 2008 und 2009 um über 60.000 Personen an. Beschäftigung und Arbeitslosigkeit stehen nicht in direktem Zusammenhang. Die Zahl der Menschen, die in den Arbeitsmarkt eintreten – das Arbeitskräftepotenzial – steigt kontinuierlich an. Grund dafür ist einerseits der wachsende Anteil von Frauen und älteren Personen, die einer Erwerbsarbeit nachgehen, andererseits das große Erwerbspotenzial von Migrantinnen und Migranten, die vermehrt auf den Arbeitsmarkt drängen. Gleichzeitig verlässt nur ein kleiner Teil der arbeitslos gemeldeten Personen den Arbeitsmarkt. Als Konsequenz kann es, so wie im Jahr 2010, zu einem Anstieg der Beschäftigung bei gleichzeitig konstant hoher Arbeitslosigkeit kommen.

Die Folgen der Atypisierung

Atypische Beschäftigung hat für manche der Betroffenen Vorteile, wie beispielsweise eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder eine höhere Unabhängigkeit. Für viele allerdings bringt sie vor allem Nachteile: geringe Arbeitsplatzsicherheit von befristet Beschäftigten oder Leiharbeitskräften, kein Urlaubs- und Weihnachtsgeld für freie DienstnehmerInnen, oftmals keine soziale Absicherung von geringfügig Beschäftigten und in der Folge keine oder nur eine niedrige Pension im Alter.
Die Beiträge atypisch Beschäftigter in die Sozialversicherungstöpfe sind langfristig vielfach geringer als jene der Normalbeschäftigten. Da der österreichische Staat in erheblichem Ausmaß auf die Beträge der arbeitenden Menschen zurückgreift, um sozial umzuverteilen, hat diese Entwicklung zusätzliche, gesamtgesellschaftlich gesehen negative Konsequenzen.
Die Entwicklungen der vergangenen Jahre lassen wenig Zweifel an der Richtung, in die es gehen wird. Ein relevanter Anstieg von Vollzeitarbeitsplätzen erscheint unwahrscheinlich. Die Zahl der geringfügig und der teilzeitbeschäftigten Frauen wird mittelfristig das Niveau der vollzeitbeschäftigten erreichen. Auch mit einer weiteren Zunahme von Leiharbeit und Formen selbstständiger atypischer Beschäftigung ist zu rechnen. Eine Ausweitung des Arbeitskräftepotenzials ist ebenfalls zu erwarten, wodurch eine Reduktion der arbeitslos gemeldeten Personen schwieriger wird.

Rückgang freier Dienstverträge

Doch nicht alle Entwicklungen sind negativ. Höhere Sozialversicherungsabgaben und eine striktere Auslegung des ArbeitnehmerInnenbegriffs durch die Sozialgerichte haben in den vergangenen Jahren zu einem Rückgang der freien Dienstverträge und damit zu einer besseren sozialen Absicherung vieler Betroffener geführt.
Die Novelle zum Arbeitskräfteüberlassungsgesetz in Umsetzung der EU-Leiharbeiterrichtlinie hat die Benachteiligungen für diese Gruppe reduziert und das Beschäftigungsniveau in Österreich konnte während der Wirtschaftskrise einigermaßen stabilisiert werden – im Gegensatz zu jenem in vielen anderen europäischen Staaten. In jedem Fall wird es auch zukünftig überaus wichtig sein, Arbeitsplätze zu schaffen, die eine finanzielle und soziale Absicherung der Erwerbstätigen gewährleisten.

Webtipp: Wo bleibt die Verteilungsgerechtigkeit:
tinyurl.com/ce3w6kx

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor norman.wagner@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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