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Birgit Gerstorfer, Landesgeschäftsführerin des AMS OÖ Säule A in unserem Programm "Arbeitsmarkt Oberösterreich 2020" ist die Ausbildungsgarantie für die jungen Menschen und Säule B ist das Fachkräfteprogramm.

Die Jugend ansprechen

Interview

Die Landesgeschäftsführerin des AMS OÖ, Birgit Gerstorfer, über Arbeitsmarktprobleme im Lehrlings-, Produktions- und Export-Bundesland Oberösterreich.

Zur Person
Birgit Gerstorfer
verheiratet, zwei Töchter
Seit 1. August 2010 Landesgeschäftsführerin AMS OÖ
2006–2010 stellvertretende Landesgeschäftsführerin AMS OÖ
1999–2006 Leiterin AMS Wels
1995–1999 Leiterin AMS Eferding
1990–1995 Beraterin im AMS (Erwachsenenberatung und Ausländerbeschäftigung)
Februar bis September 1990 Sekretärin des Leiters AMS Eferding
1988–1990 Kindererziehung, Haushaltsmanagement
1986–1988 Karenzurlaub
1983–1986 Büroangestellte im Schulbuchverlag Quirin Haslinger in Pasching
1978–1983 Handelsakademie Eferding mit Matura
1974–1978 Bundesrealgymnasium Linz

Arbeit&Wirtschaft: Birgit Gerstorfer, Sie sind seit fast drei Jahren Leiterin des AMS Oberösterreich und haben die Funktion in schwierigen Zeiten übernommen. Ihre persönliche Bilanz?

Birgit Gerstorfer: Die schwierigste Zeit war in Oberösterreich von Frühling 2009 bis Herbst 2010, großteils noch zu Zeiten meines Vorgängers. Ganz sind wir aus der Krise noch nicht herausgekommen. Es war jedoch eine massive Überraschung, von Herbst 2008 bis Frühling 2009 hat sich die Lage dramatisch zugespitzt. So ist es jetzt nicht mehr.
Ich habe hier die Arbeitsmarktzahlen für März 2013. Wir verzeichnen in Oberösterreich einen Zuwachs an Arbeitslosen von 16,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr – das ist durchaus bedenklich. Im Vergleich zu den Österreich-Zahlen sind wir überproportional stark betroffen. Das ist nur bedingt verwunderlich. Wir waren ja auch auf dem Höhepunkt der Krise eines der am stärksten betroffenen Bundesländer, nicht zuletzt, weil wir Produktions- und Exportbundesland Nummer eins sind neben der Steiermark. Aber auch der lange Winter setzt uns zu und da natürlich am stärksten der Baubranche.
Der Umgang damit ist jetzt leichter. Wir haben erstens nicht diesen massiven Überraschungseffekt und damit verbunden eine mehr oder weniger große Überforderung, raschest ausreichende Bildungsangebote für Arbeitsuchende zu organisieren, damit sie die Zeit der Arbeitslosigkeit für Qualifizierung und Bildung nutzen. Die Budgetmittel sind leichter handhabbar, weil wir das besser planen konnten. Die Dynamik am Arbeitsmarkt ist weiterhin relativ groß, da wir immer noch Teilarbeitsmärkte haben, denen spezielle qualifizierte Fachkräfte fehlen. Und Oberösterreich ist auch Lehrlingsbundesland Nummer eins.

Womit wir beim Thema Ausbildung wären ...

Wir haben in Oberösterreich einen relativ hohen Anteil von jungen Menschen zwischen 20 und 25, die keine Ausbildung haben. Dazu gibt es auch im Dialog mit den Sozialpartnern und dem Land Oberösterreich das Programm „Arbeitsplatz Oberösterreich 2020“. Mit diesem sollen vor allem Jugendliche, aber auch andere Zielgruppen angesprochen werden, ihre Qualifikationen zu verbessern und möglichst lange im Arbeitsmarkt zu verbleiben. Ziel ist es, den Anteil der Jungen zwischen 20 und 25 Jahren ohne Qualifikation bis 2015, spätestens aber bis 2020, unter zehn Prozent zu bringen – ein sehr ambitioniertes Ziel.

Wir haben ja dank der Sozialpartner in Österreich die Ausbildungsgarantie ...

Das alles war so lange kein Thema, wie wir mehr Lehrstellensuchende als Lehrstellen hatten. Diese Waage verschiebt sich aus demografischen Gründen. Wir verlieren sehr stark bei der Zahl der Geburten und haben Rückgänge bei den 15-jährigen Schulabgängern. 2011 hatten wir noch 17.200, jetzt sind es knapp über 16.000, ab 2016 werden es nur mehr 15.000 sein. Das wird die Wirtschaft spüren, auch weil nicht anzunehmen ist, dass die Zahl jener, die weiterführende Schulen besuchen, aliquot sinkt. Die Einstiegsbarrieren an den Schulen werden meiner Meinung nach niedriger werden. Das heißt, dass sich das Reservoir an Lehrstellensuchenden, auf das Betriebe zugreifen können, reduzieren wird.
Wir wollen junge Menschen ansprechen, die ihren Platz am Arbeitsmarkt noch nicht gefunden haben, und sie entsprechend unterstützen. Bisher haben wir nicht aktiv um diese jungen Menschen geworben, weil wir ohnehin nicht ausreichend Lehrstellen hatten. Früher, ab Mitte der 1990er, haben wir um Lehrplätze geworben, jetzt werben wir um die Lehrstellensuchenden. Wir schauen auch auf die Zielgruppe jener, die gar nicht so erfolgreich aus der Schule ausgestiegen sind und überlegen, wie wir diese jungen Menschen in bestimmten Berufen zu einer Lehrabschlussprüfung führen können: Einerseits durch Angebote der Ausbildungsgarantie, andererseits durch entsprechende auch finanzielle Unterstützung für Betriebe, die sich für Jugendliche mit schwierigen Rahmenbedingungen engagieren.

Die demografischen Verschiebungen machen es auch notwendig, dass Menschen länger in Arbeit bleiben. Stichwort: ältere ArbeitnehmerInnen.

Säule A in unserem Programm „Arbeitsmarkt Oberösterreich 2020“ ist die Ausbildungsgarantie für die jungen Menschen und Säule B ist das Fachkräfteprogramm. In diesem stehen im Wesentlichen vier Zielgruppen im Fokus: Ältere, Frauen, Migrantinnen und Migranten sowie gesundheitlich benachteiligte Menschen. Ziel ist es, das Erwerbspotenzial dieser vier Gruppen zu heben. Da geht es auch um Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei den Frauen. Migrantinnen und Migranten brauchen Sprachschulungen, Ältere z. B. gesundheitsfördernde Aktivitäten. Dieses Programm ist langfristig und gehört zum Territorialen Beschäftigungspakt. Das Programm ist eine strategische Ausrichtung für den oberösterreichischen Arbeitsmarkt: Es geht darum, in Zeiten des Fachkräftemangels in den Zielgruppen, die im Land leben, zu fischen und nicht auf Anwerbung aus dem Ausland zu hoffen.

Wie es aktuell versucht wird … 

Ja, aber mit bescheidenem Erfolg, wenngleich wir die Anwerbung ja nur in qualifizierten Bereichen aktiv betreiben. Die Quantitäten, die wir bräuchten, schaffen wir nicht. Da gibt es die verschiedensten Barrieren wie Sprache, unterschiedliche Qualifikationslevels etc.
Im Bereich der Anwerbung von technischen Hochschulabsolventinnen und -absolventen aus Spanien für die Region Ried waren die Erfolge anfangs sehr bescheiden. Jetzt tritt dort die Mundpropaganda in Kraft und langsam entwickelt es sich sehr gut.

Sie sprachen von verschiedenen Qualifikationen – da gibt es ja den viel diskutierten Bereich der Nostrifizierung.

Es ist eine Art Teufelskreis: Menschen, die nach Österreich kommen, kommen häufig mit nicht ausreichenden Deutschkenntnissen. Um ihre Existenz abzusichern, nehmen sie eine Beschäftigung im schlecht qualifizierten Niedriglohnbereich an. Wir würden das genauso machen. Das sind fleißige Menschen, die selbstbestimmt leben wollen. Und dann fahren Diplomingenieure Taxi oder eine Bilanzbuchhalterin aus Ex-Jugoslawien arbeitet als Reinigungskraft. Aus solchen Jobs wieder weg zu kommen ist sehr schwierig. Die Qualifikationen veralten bis verkümmern. Zeit, Geld, Information für Weiterbildung fehlen.
Der österreichische Arbeitsmarkt orientiert sich sehr stark am Beleg von Qualifikationen. Daher ist es hier sehr wichtig, dass diese Menschen diese Belege bekommen. Wir alle wissen, es gibt überall Menschen, die irgendwann einmal in ihrem Leben einen Beruf erlernt haben, und 20 Jahre später können sie davon vielleicht nichts mehr – auch wenn sie einen entsprechenden Lehrabschluss haben. Dennoch ist der Beleg hierzulande im Bewerbungsprozess mehr wert als 20 Jahre Berufspraxis ohne Zertifikat. Da müssen wir umdenken und dazulernen in unserer Wissensgesellschaft. In Zukunft werden informelle Kenntnisse und Fähigkeiten eher eine Rolle spielen und wir müssen uns stärker an den Kompetenzen der Menschen orientieren. Diese Fragen der Anerkennung werden uns in Zukunft viel stärker beschäftigen. Wir nutzen bisher Potenziale zu wenig, die vorhanden wären.

Heftig diskutiert werden derzeit auch Arbeitsgenehmigungen für AsylwerberInnen. Was halten Sie davon?

Mein erstes Tätigkeitsfeld im AMS war die Ausländerbeschäftigung und ich habe Zeiten erlebt, in denen AsylwerberInnen verhältnismäßig einfach zu legalen Beschäftigungsverhältnissen in Österreich gekommen sind. Ich erinnere mich da an die 1990er-Jahre. Es gab damals schon Missbrauchsfälle und nicht zuletzt war dies mit ein Grund, warum man den Zugang von Asylwerberinnen und Asylwerbern zum Arbeitsmarkt sehr stark eingeschränkt hat und sich jetzt die Beschäftigung auf die Saisonbereiche reduziert. Das ist eine sehr bedauerliche Entwicklung. Natürlich braucht es Mechanismen, die Missbrauch ausschließen. Aber für mich stellt sich auch die Frage, ob es gescheit ist, eine doch erkleckliche Zahl von Menschen finanziell – wenngleich auf niedrigem Niveau – zu unterstützen, die arbeiten wollen, und sie quasi zum Nichtstun zu verpflichten, obwohl sie Talente und Potenziale für den Arbeitsmarkt haben. Meines Erachtens ist das eine Frage der Gesetzgebung, die es möglich machen sollte, während des Asylverfahrens auch arbeiten zu können, ohne dass sich daraus im Falle der Ablehnung des Asylantrages ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht entwickelt.

Themenwechsel: Atypische Beschäftigungsverhältnisse nehmen in den letzten Jahren zu – wie stehen Sie dazu?

Wir sind beide aus der Babyboomer-Generation. In unserer Jugend und jungen Erwachsenenzeit gab es vorrangig Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse. Damals wurden Teilzeitbeschäftigungen massiv gefordert. Es ging da speziell um die Erwerbstätigkeit der Frauen. Ich glaube, dass unsere Arbeitswelt insgesamt so im Wandel ist, dass es eine schöne Illusion ist, zu glauben, das ginge noch einmal. Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre war eine aufstrebende Zeit mit ganz, ganz niedriger Arbeitslosigkeit. Der typische Arbeitstag ging von sieben bis 16 Uhr bzw. von acht bis 17 Uhr. Dann war Feierabend. Das ist heute nicht mehr so – die Generation meiner Kinder und Nichten wächst mit Computer und Smartphone auf. Das ist selbstverständlich Teil des Lebens und des Alltags und bleibt nicht auf den Arbeitsplatz beschränkt. Wenn wir Babyboomer in zehn bis zwanzig Jahren das Pensionsantrittsalter erreichen, glaube ich, ist auch die Generation verschwunden, die auf die alten Traditionen pocht. Dann werden wohl eher die Arbeitsverhältnisse von acht bis 17 Uhr atypisch sein. Die jungen Menschen wollen arbeiten, wann das für sie gut passt. Sie haben ein anderes Verhältnis zur Vereinbarkeit von Freizeit, Familie und Arbeitsplatz. Sicher, es gibt Nachteile durch diese Entwicklung, aber sie bringt auch Chancen. Und ganz ehrlich, mir hat es auch gut ins Lebenskonzept gepasst, dass Teilzeit Thema war – und das ist ja auch atypisch. 

Sie haben vor 20 Jahren beim AMS in Eferding als Teilzeitkraft begonnen, sie waren damals junge Mutter und haben trotzdem Karriere gemacht ...

Das AMS Österreich legt schon lange einen Fokus auf die Gleichstellungsorientierung in der Arbeitswelt, sowohl nach außen als auch nach innen. Es gibt seit Mitte der 1990er intern einen Frauenförderplan. Wir unterliegen dem Bundesgleichbehandlungsgesetz und das nimmt man in unserer Organisation sehr ernst. Wir haben eine gesetzliche, verbindliche Quote. Sinn ist die Förderung von Frauen mit Potenzial, und das hat auch meinen beruflichen Werdegang geprägt.
Ich habe in Eferding, der  kleinsten AMS-Geschäftsstelle in Oberösterreich, 1990 als Teilzeitkraft angefangen, habe dann relativ rasch auf Vollzeit gewechselt und als Beraterin gearbeitet. 1995 wurde ich dort Leiterin. Nachdem ich mit der kleinen Geschäftsstelle sehr erfolgreich war, wurde ich Leiterin einer größeren. 2006 habe ich mich für die stellvertretende Landesgeschäftsführung beworben. Nach einem langen Entscheidungsprozess habe ich – auch dank Gleichstellung – den Job bekommen. Der nächste Karriereschritt war dann die Stelle der Landesgeschäftsführerin.  
Ich persönlich habe mit der „Quote“, wenn man die Regelungen im Bundesgleichbehandlungsgesetz so nennen will, sehr gute Erfahrungen gemacht, sowohl als Führungskraft als auch als karriereorientierte Frau. Wenn man als ArbeitgeberIn eine Zielvorgabe hat, stellt man auch Rahmenbedingungen her, um diese erreichen zu können. Sind diese Vorgaben und Ziele nicht vorhanden, kümmert man sich nicht überall um die Rahmenbedingungen. Und es gibt viele Belege, dass Unternehmen mit Männern und Frauen in der Führungsetage erfolgreicher sind.   
Ihre Karriere war möglich dank zweier rühriger Großmütter.

Was wünschen Sie sich für Ihre Töchter? 

Es hat sich schon viel geändert. Als ich zu arbeiten begonnen habe, gab es in meinem Wohnort einen Kindergarten, der von sieben bis 16 Uhr geöffnet war, ich hatte ein Jahr Karenzurlaub und nur eine Karenzurlaubsgeldhöhe. Meine Töchter finden heute eine Kinderkrippe, einen Kindergarten und einen Hort im Ort vor. Sie können wählen zwischen drei oder vier Varianten Kinderbetreuungsgeld in unterschiedlichen Höhen und mit verschiedener Dauer. Und die Einstellung der Gesellschaft zur Berufstätigkeit von Müttern hat sich verändert. Nicht so sehr, wie man es sich vielleicht wünscht. Es ist individuell, wann eine Frau wieder einsteigt – der Wiedereinstieg ist aber logisch. 
Es hat sich also schon einiges zum Positiven verändert, wenngleich ich mir noch immer wünsche, dass sich die Rahmenbedingungen für Frauen weiter verbessern. Meine Vision ist ein Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung. Das würde vielleicht die Geburtenraten erhöhen. Dafür gibt es ja auch einige Vergleichsländer vor allem in Skandinavien, die uns das sehr positiv vorleben. Ich wünsche mir, dass die Berufstätigkeit von Frauen gesellschaftlich mehr anerkannt wird, eine bessere Unterstützung  der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, eine stärkere Beteiligung der Väter an der Familienarbeit und ein höheres Bewusstsein der Frauen, wie stark sich Teilzeitbeschäftigung auf die Pensionshöhe im Alter auswirkt.

Wir danken für das Gespräch.

AMS Oberösterreich:
www.ams.at/ooe
Initiative „Arbeitsplatz Oberösterreich 2020“:
www.arbeitsplatz-oberoesterreich.at

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