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Berufskrankheiten Die Nummer 20 der Anlage 1 § 177 ASVG wird nunmehr mit der Bezeichnung "Vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen sowie andere Erkrankungen durch Erschütterung bei der Arbeit mit Pressluftwerkzeugen und gleichartig wirkenden Werkzeugen...

Berufskrankheiten

Schwerpunkt

Immer öfter werden MitarbeiterInnen in den öffentlichen Verkehrsmitteln Opfer von verbalen oder sogar körperlichen Attacken.

Ende Dezember wurden mit dem Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2012 (SVÄG 2012) überraschend Änderungen bei vier der 53 österreichischen Berufskrankheiten (BK) durchgeführt. Nummer 20 der Anlage 1 § 177 ASVG wird nunmehr mit der Bezeichnung „Vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen sowie andere Erkrankungen durch Erschütterung bei der Arbeit mit Pressluftwerkzeugen und gleichartig wirkenden Werkzeugen und Maschinen (wie z. B. Motorsägen) sowie durch Arbeit an Anklopfmaschinen“ angegeben. Damit sind nicht nur Erkrankungen des Skelettsystems erfasst, die durch Erschütterungen, Stöße oder Vibrationen ausgelöst werden, sondern zudem eine Gefäßerkrankung, die unter dem Trivialnamen „Weißfingererkrankung“ bei KettensägenarbeiterInnen bekannt geworden ist. Waren es 2001 noch acht anerkannte Fälle, bestand 2011 bei zwölf AUVA-unfallversicherten ArbeitnehmerInnen eine BK-Anerkennung.

„Druckschädigung der Nerven“

Nummer 22 lautet nunmehr „Druckschädigung der Nerven“ und erlaubt die Anerkennung eines Nervenschadens durch Druck bevor eine Lähmung aufgetreten ist. Gefährdend sind vor allem Tätigkeiten mit körperlichen Zwangshaltungen, Haltungskonstanz, einseitigen Belastungen oder Arbeiten mit hohen Repetitionsraten. Nervenschäden aufgrund physikalischer Schädigungsfaktoren, wie durch Tätigkeiten mit hohen Wiederholungsraten (z. B. bei Arbeiten mit einer PC-Tastatur, ungünstigen Körperhaltungen und Vibrationen), sind häufig zusätzlich mit muskuloskelettalen Beschwerden verbunden. Dies kann eine direkte Kausalitätsbeurteilung im Einzelfall schwierig machen, zudem wird die Einflussnahme durch ergonomische Gestaltungsmaßnahmen relativiert.
Nummer 23 wird jetzt mit „Chronische Erkrankungen der Schleimbeutel, der Sehnenscheiden und des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- und Muskelansätze durch ständigen Druck oder ständige Erschütterung“ beschrieben. Die Anerkennung der BK wird nicht mehr auf Knie- und Ellenbogengelenk begrenzt. So sind auch Sehnenscheidenerkrankungen erfasst – unter dem arbeitsmedizinischen Begriff „RSI-Syndrom“ („Syndrom der wiederkehrenden Verletzungen“).
Quarzstaubexposition kann zur Staublungenkrankheit (Silikose) führen. In den letzten zehn Jahren konnte nun der Nachweis erbracht werden, dass Quarzstaub eine krebsauslösende Eigenschaft aufweist, wenn die eingeatmete Staubmenge so hoch ist, dass auch eine Silikose ausgelöst werden kann. Daher wurde nun Nummer 26 ergänzt: Mit der Erweiterung „c) Bösartige Neubildungen der Lunge durch die Einwirkung von kristallinem Siliziumdioxid bei Silikose“ ist die Lungenkrebserkrankung bei Quarzstaubexposition inkludiert worden. Zentral für die Anerkennung war bisher, ob eine objektivierbare Leistungsminderung von Atmung und Kreislauf feststellbar war. Durch die Erweiterung der Nummer 26 sind ArbeitgeberInnen und Präventivkräfte quarzstaubverarbeitender Betriebe aufgerufen, ihr Präventionskonzept bei Quarzstaubexposition auf Wirksamkeit zu überprüfen und gegebenenfalls Maßnahmen umzusetzen.

„Bäckerasthma“

„Bäckerasthma“ ist eine spezifische Erkrankung der Atemwege in einer mehlstaubexponierten Berufsgruppe. Asthma bronchiale war bereits unter der Nummer 30 als BK angeführt. Neu ist jetzt die Erweiterung auch auf die Rhinopathie (allergischer Schnupfen), wenn und solange sie zur Aufgabe schädigender Tätigkeit zwingt. Damit ist die Vorstufe zum allergischen Asthma bronchiale bereits als BK erfasst. Durch diese Anerkennung ist ein Berufswechsel und somit ein Expositionsstopp leichter geworden. 2010 waren davon noch 63 Personen betroffen, ihr Leiden wurde als Berufskrankheit im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannt.
Nicht berücksichtig wurden jedoch bandscheibenbedingte Erkrankungen verursacht durch langjähriges Hantieren mit schweren Lasten, oder Arthrosen, hervorgerufen durch eine die Gelenke belastende Tätigkeit mit kumulativer Einwirkungsdauer. Psychische oder psychosomatische Erkrankungen durch Schicht- oder Wechseldienste bzw. organisationsbedingte Ursachen wie chronischer Stress oder Mobbing finden weiterhin keine Anerkennung als BK. Argumentiert wurde, dass hiebei nicht monokausale, objektivierbare Einzelursachen festgemacht werden können.

Europäische Berufskrankheitenliste

Mit September 2003 wurde den Mitgliedsstaaten seitens der europäischen Kommission empfohlen, die Europäische Liste in Anhang I möglichst unverzüglich in ihre Rechts- oder Verwaltungsvorschriften zu übernehmen. Im Anhang II findet sich weiters die Liste von Krankheiten, deren berufliche Verursachung vermutet wird. Erkrankungsfälle aus dieser Liste sollten gemeldet werden, damit deren spätere Aufnahme in Anhang I ins Auge gefasst werden kann. Hier sind z. B. „Bandscheibenschäden der Lendenwirbelsäule durch wiederholte vertikal wirkende Ganzkörper-Schwingungsbelastung“ oder „Stimmbandknötchen durch anhaltende berufsbedingte Beanspruchung der Stimme“ angeführt.
Unter Beteiligung aller betroffenen AkteurInnen sind wirksame Präventivmaßnahmen zu den angeführten Krankheiten zu entwickeln. Die Mitgliedsstaaten werden angehalten, jene  ArbeitnehmerInnen, die an Krankheiten leiden, die nicht in der Liste angeführt sind, deren berufliche Verursachung und Berufsbezogenheit jedoch nachgewiesen werden können, zu entschädigen. Weiters fordert die Europäische Kommission die Mitgliedsländer auf, die Forschung im Bereich berufsbedingter Erkrankungen zu fördern, insbesondere der in Anhang II genannten sowie der berufsbedingten Gesundheitsstörungen psychosozialer Art. Die in innerstaatlichen Listen enthaltenen Diagnosehilfen für BK sollen verbreitet und die aktive Beteiligung der einzelstaatlichen Gesundheitssysteme an der Prävention von BK durch die Mitgliedsstaaten soll gefördert werden.

ILO-Berufskrankheitenliste (2010)

Laut ILO müssen zwei Hauptkriterien für eine BK erfüllt sein:
1. ein kausales Verhältnis zwischen Exposition in einem spezifischen Arbeitsumfeld oder einer spezifischen Tätigkeit und der spezifischen Erkrankung und
2. das Vorliegen der Tatsache, dass die Erkrankung in der Gruppe der exponierten Personen häufiger vorkommt, als sie in der restlichen Bevölkerung im Durchschnitt auftritt.
Weitere Kriterien für die Identifikation und Festlegung von BK laut ILO sind Stärke der Assoziation, Konsistenz, Spezifität, Zeitbezug, Dosis-Wirkungsabhängigkeit, biologische Plausibilität, Kohärenz und Nachweis der Zusammenhänge durch Interventionsstudien.
Morbiditätsbestimmende Erkrankungen in Berufsfeldern mit hoher Krankheitslast sind meist arbeitsbedingte Erkrankungen. Beispiele sind chronische degenerative Muskel- und Skeletterkrankungen, Hypertonie, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronische Bronchitis, psychosomatische Störungen, manifeste Depression. Bei gezielter Forschung wird meist eine wissenschaftliche Evidenz gefunden, definiert durch Einwirkungen bezogen auf Arbeitsbedingungen, Dosis-Wirkungsbeziehung, Latenzzeiten und Häufung pro Berufsjahre. In Deutschland konnten diese sowohl für Erkrankungen der Bandscheiben nach schwerer körperlicher Arbeit, die Gonarthrose (Kniegelenksschädigung) als auch bei der Siderose („Schweißerlunge“) bewiesen werden. Daher mussten die arbeitsbedingten Erkrankungen als BK in das Berufskrankheitsrecht aufgenommen werden.
Überlegungen zur Verbesserung der Prävention und zur Reduktion der Krankheitslast wären sowohl in den Ansätzen der EU-Berufskrankheitenliste als auch der ILO-Liste gegeben, diese wären aber rasch umzusetzen, um den geänderten Arbeitsbedingungen Rechnung zu tragen. Die Forschung und das Gesundheitssystem sind aufgefordert ihre Beiträge zu leisten.

Berufskrankheitenliste ASVG § 177 Anlage 1:
tinyurl.com/ccyynd9
EU-Berufskrankheitenliste (2003):
tinyurl.com/cchs33s
ILO-Berufskrankheitenliste (überarbeitete Ausgabe 2010):
tinyurl.com/ccezbt7

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor erich.pospischil@amz.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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