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Lettland: Unterwegs zum Euro

Wir sind Europa

SOZAK-Teilnehmer Georg Steinbock absolvierte sein Europapraktikum in einem der jüngeren EU-Länder.

Das Europapraktikum der SOZAK bot mir eine einmalige Chance, Einblick in eines der jüngeren EU-Länder zu gewinnen: Lettland. Wie arbeiten Gewerkschaften dort? Welchen Einfluss hat die Vergangenheit als Teil der Sowjetunion darauf? Was hat sich durch den EU-Beitritt verändert?
Ähnlich dem ÖGB gibt es in Lettland einen Dachverband der Gewerkschaften namens LBAS, dem 20 Gewerkschaften mit insgesamt 100.000 Mitgliedern (etwa elf Prozent der ArbeitnehmerInnen) angeschlossen sind. Eine gesetzliche Interessenvertretung gibt es nicht. Da die ArbeitgeberInnen nur selten freiwillig eine Interessenvertretung gründen, fehlt den Gewerkschaften ein sozialpartnerschaftliches Gegenüber, das die Kompetenzen hätte, Kollektivverträge abzuschließen. Deshalb existieren – wenn überhaupt – in den meisten Bereichen nur betriebliche Vereinbarungen. Um Löhne und Gehälter nach unten zu begrenzen, gibt es einen gesetzlichen Mindestlohn, der seit der Wirtschaftskrise bei 200 Lats (280 Euro) stagniert.

Kündigungsschutz per Gesetz
Die Gewerkschaften sind mit deutlich weniger Rechten ausgestattet als in Österreich. Die gesetzlich vorgesehenen Vertrauenspersonen sind mit Betriebsräten nicht zu vergleichen und werden meistens von den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern eingesetzt. ArbeitnehmerInnenvertretung geschieht über betriebliche Gewerkschaftsgruppen, die ihre Rechte in Vereinbarungen mit den jeweiligen Betriebsinhaberinnen und -inhabern aushandeln. Von diesen Vereinbarungen hängt es ab, ob GewerkschafterInnen ihre Aufgaben in der Arbeitszeit erfüllen können, ob sie an Schulungen teilnehmen können usw. Per Gesetz werden die GewerkschafterInnen jedoch vor Kündigungen geschützt.
Das Bild der Gewerkschaften in der Öffentlichkeit ist noch stark durch die Erfahrungen der Bevölkerung mit Gewerkschaften in der Sowjetunion geprägt. In der Lettischen SSR dienten sie der Regierung bzw. der kommunistischen Partei als Sprachrohr. Sie waren Befehlsempfänger und erledigten zum Teil administrative Aufgaben des Sozialsystems. Seit der Unabhängigkeit 1991 sieht die Bevölkerung die Notwendigkeit der Gewerkschaften nicht mehr. Da sie Teil des Systems waren, denken viele, dass sie in der Marktwirtschaft nicht mehr gebraucht werden.
Die Unabhängigkeit änderte auch Lettlands Arbeitslandschaft. Während zuvor Rohstoffe der Sowjetunion in Fabriken in Lettland verarbeitet wurden, führte ein Abzug russischen Kapitals nach 1991 zu einem starken Rückgang der Industrie. Neben zunehmender Arbeitslosigkeit und dem Abrutschen der ländlichen Bevölkerung in die Schattenwirtschaft bedeutete dies auch für die Gewerkschaften einen Rückgang der Organisationsstärke von über 50 Prozent auf etwa elf Prozent. Seither beziehen sie ihre Stärke vor allem aus dem öffentlichen Dienst. Die Gewerkschaften engagieren sich intensiv im Sozialen Dialog, einer sozialpartnerschaftlichen Einrichtung der Regierung, wo z. B. die Mindestlöhne festgelegt werden. Doch sie fühlen sich dabei immer mehr von ihren Sozialpartnern und der Regierung überfahren. Der Mindestlohn stagniert. Sozialleistungen wurden gekürzt oder hinken immer mehr der Inflation nach.

Drastisches Sparpaket
Die Krise sehen viele hier als überwunden. Lettland griff mit einem drastischen Sparpaket härter durch als die Troika empfahl und konnte so das Staatsdefizit in Grenzen halten. Die Schattenseiten dieser Sparpolitik – Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst, Stellenabbau im Bildungs- und Gesundheitsbereich u. v. m. – nahm die Bevölkerung bislang geduldig hin. Die Hoffnung, dass der EU-Beitritt ihr Leben verbessert, ist verblasst.
Doch die Gewerkschaften sehen nun die Zeit gekommen, um diesen Kurs wieder zu ändern, und fordern Ausbau und Anstieg der Sozialleistungen, Mindestlöhne und Gehälter. Kurz vor meiner Abreise konnte ich einen für Lettland ungewöhnlichen Moment erleben. Angesichts eines internationalen Staatsbesuchs organisierten die Gewerkschaften eine Demonstration mit mehreren Hundert Leuten, um ihren Anliegen öffentlich Gehör zu verschaffen.

INTERVIEW:
Zur Person - Inga Ozola
Wohnort: Riga
Firma: Brauerei Aldaris, gehört zu Carlsberg
Firmenstandort: Riga
Gewerkschaft: LINA (Industrie-Gewerkschaft)
Dachverband: LBAS umfasst 20 Gewerkschaften und hat 109.000 Mitglieder, darunter 100.000 Erwerbstätige

Inga Ozola ist Betriebsrätin in der Brauerei Aldaris in Riga und seit vier Jahren Euro-Betriebsrätin bei Carlsberg. Neben ihrer gewerkschaftlichen Tätigkeit arbeitet Inga weiterhin in der Verwaltung der Brauerei mit.

Was bedeutet Ihnen Gewerkschaft?

Durch Gewerkschaften haben ArbeitnehmerInnen die Möglichkeit, ihre Situation zu verbessern. Unsere MitarbeiterInnen kommen mit allen möglichen Problemen zu mir und ich helfe ihnen dann auch gerne so gut ich kann. Die Gewerkschaft ist aber auch eine Brücke zwischen den ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen. Ich arbeite intensiv mit der Geschäftsleitung zusammen, weil es uns beiden wichtig ist, möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten und zu schaffen. Auch bei der Arbeitssicherheit können wir viel gemeinsam erreichen.

Was bedeutet Ihnen die EU?

Ich bin eine EU-Befürworterin, es gibt aber auch einige Kritikpunkte. Die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den EU-Ländern sind zum Teil sehr groß und die Probleme dadurch sind nur langfristig und schwer überwindbar. Die EU legt sehr viel Wert auf Landwirtschaft und zu wenig auf Soziales. Ich genieße die Reisefreiheit und hoffe, dass es auch bald zu einem Abkommen mit Russland kommen wird, das uns auch dort die Einreise erleichtert.

Welches ist Ihr Lieblingsland in Europa? Warum?

Ich mag Länder wie Belgien oder Österreich, die eine starke Sozialpartnerschaft pflegen und lösungsorientiert im Sinne der ArbeitnehmerInnen handeln. Länder wie Spanien oder Italien sind zwar bei Diskussionen emotionaler und hauen schneller einmal auf den Tisch, doch es kommt dann am Ende des Tages eher wenig raus. Ich mag es auch nicht, wenn wegen allem sofort gestreikt wird.

Wie sehen Sie die Euro-Einführung?

Ich persönlich glaube, dass sich nicht viel ändern wird. Unsere Währung ist ja jetzt auch schon an den Euro gekoppelt. Viele Leute hier fürchten aber, dass es zu einem starken Preisanstieg kommen wird. Die Regierung verspricht, dass dies nicht so sein wird. Doch die lettische Bevölkerung wird zu wenig informiert und dadurch steigt die Angst auch an.

Was bringt der Euro-Betriebsrat?

Ich erhalte schneller und mehr Neuigkeiten vom Topmanagement. Dadurch bin ich besser über wichtige Projekte informiert und Strukturänderungen sind früher ersichtlich.
Wir vergleichen unsere Arbeitsbedingungen und arbeiten mit Best-Practice-Beispielen, um so alles auf ein höheres Level zu heben. Wenn jemand beim lokalen Management mit Vorschlägen abblitzt, können wir durch den Euro-Betriebsrat auch eine Stufe höher gehen.
Wir wollen die Ausbildung der Betriebsrätinnen und Betriebsräte verbessern. Demnächst sollen Sprach- und Verhandlungstrainings und andere nützliche Ausbildungen über den Euro-Betriebsrat angeboten werden.

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor georg.steinbock@vida.at  oder die Redaktion aw@oegb.at

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