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Symbolbild zum Bericht ... das Kapital kann nicht mehr alle Waren verkaufen, da ArbeitnehmerInnen eine zu geringe Kaufkraft haben, um die Waren zu kaufen.

Karl Marx und die kritische politische Ökonomie

Schwerpunkt

Von Kapitalismus und Krisen.

Bereits vor rund 150 Jahren hat Karl Marx die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus analysiert. Auch heute noch verhelfen auf ihn zurückgehende Erklärungen im Rahmen der kritischen politischen Ökonomie zu hilfreichen Einsichten1. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lieferte er mit seiner auf Adam Smith und David Ricardo aufbauenden Analyse im politischen Diskurs wichtige Argumente für die aufstrebende ArbeiterInnenklasse und deren Forderungen. Dies galt sowohl für diejenigen ArbeiterInnen, die an die Reformierbarkeit des Kapitalismus glaubten, als auch für andere, die einen radikalen Bruch mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem für nötig hielten.

Krisen sind Teil des Kapitalismus

Marx erklärt die Existenz von Krisen mit dem Vorhandensein innerer Widersprüche im Kapitalismus. Dabei werden sowohl „kleine“ Krisen, wie etwa konjunkturelle Auf- und Abschwünge, als auch „große“ bzw. strukturelle Krisen analysiert. Das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit wird als zentraler Widerspruch im Kapitalismus erachtet. Es gibt verschiedene Krisenursachen, z. B. versuchen UnternehmerInnen in ihrem Profitstreben Löhne gering zu halten. Dies kann zu Realisierungskrisen führen. Das bedeutet, das Kapital kann nicht mehr alle Waren verkaufen, da ArbeitnehmerInnen eine zu geringe Kaufkraft haben. Diese Argumentation ähnelt derjenigen keynesianisch orientierter Ökonominnen und Ökonomen. Darüber hinaus hat Marx noch eine Reihe von weiteren Ursachen für Krisen im Produktionsprozess selbst ausgemacht. Dazu zählen fallende Profitraten aufgrund höherer Kapitalintensität oder der Verknappung natürlicher Ressourcen. Aber auch Krisen im Geld- und Finanzsektor selbst können zu wirtschaftlichen Krisen führen. Nichtsdestotrotz gilt die Herausbildung eines modernen Finanz- und Bankensektors und damit einer modernen Geldwirtschaft als zentraler Bestandteil kapitalistischer Entwicklung. Kapitalismus entwickelt sich in Schüben und über Krisen weiter. Eines Tages wird jedoch auch dieses System von einem anderen abgelöst werden.

Was die Beherrschbarkeit des Kapitalismus im Sinne einer Vermeidung von Krisen angeht, war Marx daher skeptisch. Er betrachtet die kapitalistische Wirtschaftsweise in ihrer Komplexität als ein sich „hinter dem Rücken der Akteure“ ständig veränderndes und nicht gänzlich beherrschbares System. Wirtschaft wird als Teil der Gesellschaft gesehen. Unterschiedliche ökonomische Interessen bedingen unterschiedliche politische Interessen. So stehen sich einander entgegenwirkende Klassen gegenüber. Dies ist sowohl in einer Sklavenökonomie, in der Feudalwirtschaft, aber auch im kapitalistischen Wirtschaftssystem der Fall. Dominante Klassen sind nicht nur ökonomisch privilegiert, sie haben dank ihrer Verfügungsgewalt über wirtschaftliche Prozesse auch große politische Macht. Moderne politökonomische Zugänge zeigen auf, wie es den Kapitalistinnen und Kapitalisten auch im Rahmen liberaler demokratischer Systeme gelingt, ihre Interessen überproportional durchzusetzen – auch wenn es sich bei ihnen um weniger als ein Prozent der Bevölkerung handelt. Auch im Kapitalismus überwiegt das Interesse an der Aufrechterhaltung eines Wirtschafts- und Gesellschaftssystems und damit der Klassenherrschaft in der Regel das Interesse an der Steigerung des Gewinns. Damit lässt sich erklären, warum vonseiten des Kapitals oft Widerstand gegen keynesianische Vollbeschäftigungspolitik und gegen effektive Krisenvermeidungs- und Krisenlösungsstrategien geleistet wird. Diese würden die gesellschaftliche Position der ArbeitnehmerInnen stärken und dadurch Kapitalinteressen schwächen.

Europa und die Krise

In jüngerer politökonomischer Tradition hat vor allem die Regulationstheorie wichtige Beiträge zu Fragen von Wachstum und Krise geleistet. Im Kern steht dabei die Frage, wie es im Kapitalismus trotz der inneren Widersprüche und Krisentendenzen zu längerfristig stabilem Wirtschaftswachstum kommen kann. Dabei stellte sich heraus, dass eine lange stabile Wachstumsphase – wie zwischen dem Ersten Weltkrieg und den 1970er-Jahren in Europa – auf einem für die ArbeitnehmerInnen vorteilhaften Klassenkompromiss beruhte. Entsprechend konnten sie ein effektives System der KV-Löhne, einen Ausbau des Sozialstaates, Arbeitszeitverkürzung etc. durchsetzen. Damit gelang es, das Realisierungsproblem im Kapitalismus zumindest temporär aufzuheben. Dieser Klassenkompromiss wurde seit den 1980er-Jahren jedoch zunehmend vonseiten des Kapitals infrage gestellt und teilweise aufgekündigt. Entsprechend zeigt sich seither instabileres und niedrigeres Wachstum.

Teilweise konnten über Exportüberschüsse einerseits (Deutschland, Österreich) und Verschuldungsprozesse andererseits (Griechenland, Spanien etc.) in der Zeit vor der großen Krise 2008 Realisierungsprobleme noch hinausgeschoben werden. Aber auf rasant steigender (Privat-)Verschuldung basierendes Wachstum konnte nicht dauerhaft anhalten. Die Krise musste deshalb zwangsläufig offen ausbrechen.

Umverteilung nach oben

Bereits vorher war das Wachstum in Europa also relativ gering. Die Unternehmen sahen darin aber weniger ein Problem, da die Gewinne einfach deshalb wuchsen, weil die Reallöhne kaum stiegen und somit Umverteilung nach „oben“ erfolgte. Aktuell steht in Europa anti-keynesianische Sparpolitik im Vordergrund und sie wird auch auf europäischer Ebene institutionalisiert. Aus der Sicht Marx’ und der kritischen politischen Ökonomie kann dies damit erklärt werden, dass dominante Kapitalinteressen darauf hinwirken, die Krise „künstlich“ zu verlängern und zu vertiefen. So gelingt es, ArbeitnehmerInnen und ihre Vertretungsorganisationen durch Arbeitslosigkeit, Druck auf Löhne und Abbau des Wohlfahrtsstaates zu schwächen. Außerdem können große Unternehmen in Krisenzeiten kleinere und weniger profitable Unternehmen leichter „schlucken“. Damit wird ein Prozess der Konzentration des Kapitals vorangetrieben und der Monopolisierungsgrad erhöht. Mittelfristig scheint diese Strategie die Macht der ArbeitnehmerInnen zurückzudrängen und höhere Gewinne zu versprechen. Der Druck auf direkte Arbeitseinkommen und indirekte über den Sozialstaat vermittelte Einkommen (wie etwa Pensionen) führt jedoch in der Folge zu einer Verschärfung des Realisierungsproblems.

Machtfrage Wirtschaftspolitik

Aus der Perspektive Marx’ und der politischen Ökonomie ist daher weniger eine „neoliberale Verblendung“ oder das Fehlen der richtigen (z. B. keynesianischen) Theorie bei den wirtschaftspolitischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern das Problem. Aus ArbeitnehmerInnensicht wird die „falsche“ Politik umgesetzt, weil sich derzeit dominante Kapitalgruppen in der Auseinandersetzung um Wirtschaftspolitik gegenüber ArbeitnehmerInneninteressen häufig besser durchsetzen. Grund dafür könnte ein zum Teil fehlendes oder zu schwach ausgeprägtes Klassenbewusstsein aufseiten der Beschäftigten sein. Das schwächt traditionelle Vertretungen und macht die Durchsetzungsfähigkeit von ArbeitnehmerInneninteressen im Betrieb schwieriger. Es gilt daher, Klasseninteressen wieder stärker im Bewusstsein der Beschäftigten zu verankern.

Karl Marx und die moderne kritische politische Ökonomie bieten einen Ansatzpunkt zum Verständnis der Krise, der über herkömmliche Herangehensweisen hinausgeht. Die Betrachtung unterschiedlicher Interessen und die gemeinsame Analyse von Wirtschaft und Gesellschaft erlauben einen erweiterten Blick auf Wirtschaftspolitik und Krisenbekämpfung. So reicht es nicht, die „richtigen“ wirtschaftspolitischen Maßnahmen zu kennen. Vielmehr ist es notwendig, die gesellschaftspolitischen Machtverhältnisse so zu verändern, dass diese durchgesetzt werden können. In den eng vernetzten europäischen Ökonomien wären die stärkere Durchsetzung von ArbeitnehmerInneninteressen und eine entsprechende progressive Lösung der Krise auf EU-Ebene wünschenswert. In der modernen politischen Ökonomie ist man sich jedoch weitgehend einig, dass in der EU die Krise anstatt zu einer Stärkung bislang eher zu einer systematischen Zurückdrängung der ArbeitnehmerInneninteressen geführt hat. Diese Entwicklungen sind jedoch umkehrbar – wenn ArbeitnehmerInnen gemeinsam für ihre Interessen eintreten.

1 Für einen Überblick zu aktuellen politökonomischen Perspektiven auf wirtschaftspolitische Fragen siehe: Jäger/Springler (2012): Ökonomie der internationalen Entwicklung. Eine kritische Einführung in die Volkswirtschaftslehre. Wien: Mandelbaum.

Biografie von Karl Marx

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