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Budget ist ein Fass mit Löchern "Wir sind keine Radikalen, keine Anarchisten, keine Linken, keine Rechten, keine Armen: Wir sind die Mittelschicht. Also jene, die durch ihre Arbeit, die leider sehr selten unsere Berufung ist, ..."
Buchtipp

Budget ist ein Fass mit Löchern

Schwerpunkt

Wie viel Prozent sind wütend und wie viele davon auf wen? Ein Beitrag zur allgemeinen Verwirrung um Steuern, Finanzen und Werte überhaupt.

In jeder Familie existieren Geschichten, von denen man durch das häufige Wiedererzählen später nicht mehr weiß, was stimmt. Es gibt aber auch urbane Legenden mit Folgewirkung, an denen vielleicht etwas Wahres dran ist.
Etwa die von den Steuerfahndern des Finanzamts Frankfurt V., die in der Fahnderszene als Stars galten. Bis sie in einem Verfahren gegen eine Großbank wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zur Vorstandsetage gelangten. Das ging offenbar zu weit: Die Beamten erhielten eine Amtsverfügung, die sie Strafvereitelung im Amt befürchten ließ. Nach ihren Protesten wurden sie strafversetzt bzw. zum Facharzt geschickt. All dies berichtete der Stern im Dezember 2008.

Steuerfahnder Siegmund von Treiber

Der deutsche Finanzkabarettist und „spirituelle Komiker“ Chin Mayer las den Artikel. Mit Hilfe seines kabarettistischen Alter Egos, des Steuerfahnders Siegmund von Treiber, den er auch seine kreativ genutzte Persönlichkeitsstörung nennt, erstellte er den Finanzratgeber „Ohne Miese durch die Krise“.
Ein Vorschlag: Steuereintreiber brächten dem Staat Zusatzeinnahmen von einer Million Euro. 1,7 Mio. neue Steuerfahnder einstellen, Staatsverschuldung vorbei, Arbeitslosigkeit halbiert, komplette Wählerschaft der FDP im Knast. Habe ich die Zahlen verwechselt? Egal, das ist ja nur Spaß. Oft muten kabarettistische Beiträge plausibler bzw. zumindest sympathischer an als Wortspenden oder gar Vorträge so mancher PolitikerIn. Hier aus dem Vortrag bei einer Podiumsdiskussion zum Thema „Was bringt eine Schuldenbremse in der Verfassung? Ist die Bundesregierung auch ohne sie zum Sparen verpflichtet?“, die im November des Vorjahrs auf Einladung der Presse an der Wirtschaftsuniversität Wien stattfand.

Stargast Maria Fekter

Stargast Maria Fekter legte dem zahlreich erschienenen Publikum die Eckpunkte ihres Sparprogramms vor: „Das Budget ist wie ein Fass mit vielen Löchern, egal, wie viel man hineinschüttet ... Die Löcher sind die Strukturprobleme. Dieses unsägliche, volkswirtschaftlich völlig falsche System der ,golden handshakes‘. Es geht nicht an, dass die Pensionszeit immer länger wird und die Zeit in der Arbeit immer kürzer – damit der Durchschnitt mit 58 geht. Wissen Sie, wie viel da mit 52, 53 pumperlg’sund in Pension gehen? Obwohl wir in einem lebenswerten Land leben, haben wir lauter invalide Pensionisten! Und die Bundesdienste! Wo es angeblich keine Abfertigung gibt. Das heißt dort Jubiläumsgeld!!! Vier Monatsgagen, für die sie nach 35 Jahren in die Frühpension gehen. Also das stelle ich auch ab.“
Inzwischen ist ein Video legendär auf YouTube: „Ich werde Ihnen erklären, wer wir eigentlich sind“, sagt Roland Düringer in der Abschiedssendung von Dorfers Donnerstalk Ende 2011 zum Thema Wutbürger. „Wir sind keine Radikalen, keine Anarchisten, keine Linken, keine Rechten, keine Armen: Wir sind die Mittelschicht. Also jene, die durch ihre Arbeit, die leider sehr selten unsere Berufung ist, und unseren Konsumwahn das System sehr lange am Leben erhalten haben und dabei gar nicht so glücklich sind.“

Wutbürger Roland Düringer

Düringer spielte einen Durchschnittsbürger, der sich vor seinem Auftritt hinter der Bühne ein wenig Mut angetrunken hat.
Als dieser merkt, dass ihm im Licht der Kameras, in das er zunächst zaghaft hineingewunken hat, nichts geschehen kann, redet er sich heiß. „Wir Systemtrotteln haben es langsam satt, all jenen den Deppen zu machen, die vom System fest profitieren. Wir wollen nicht mehr ausschließlich dem BIP dienen. Wir werden angelogen.“
Der Auftritt als Wutbürger bescherte Düringer einen Anklick- und Kommentarrekord auf YouTube und Facebook. Die Protestgruppierung Occupy Vienna lud ihn ein, bei ihrer Kundgebung eine Rede zu halten. Im ersten Moment sei er beeindruckt gewesen von der Vielzahl an Reaktionen, versuchte sich der Kabarettist als ungewolltes Sprachrohr von einer Bewegung zu distanzieren, deren Demonstrationszweck „empört euch“ ihm nicht ausreichend schien. Man hat ihn einfach verwechselt: Er ist Schauspieler, kein Spießbürger, aber auch nicht ständig wütend und vor allem nicht generell.

Maria Fekter definiert Pleite

Angst vor Konkretem schweißt zusammen, Angst vor Unkonkretem gibt Raum für Manipulation. „Kann mir jemand genau erklären, was eigentlich los ist?“, fragt er von der Rednertribüne aus die in der Mehrheit jungen Leute.
Hätte er die Rede von Maria Fekter im Hohen Haus vom 7. November 2011 gehört, hätte er sagen können: Kein Grund zur Panik. Österreich ist nicht pleite, ganz im Gegenteil. Unsere Finanzministerin im Parlament: „Pleite definiert man – sollten Sie das nicht wissen! – entweder durch Überschuldung, also mehr Schulden als Vermögen vorhanden ist. Das ist nicht der Fall.  Das haben wir schon gehört, dass in Österreich fünfmal so viel Vermögen vorhanden ist, als der Staat Schulden hat. Oder man kann Pleite definieren durch Illiquidität. Und: Nein, wir sind nicht illiquid! ...“
Auch in Deutschland ist es um Sachwissen bei PolitikerInnen nicht optimal bestellt. Am 29. September 2011 stimmte der deutsche Bundestag nach mehrmonatiger intensiver Diskussion über die Erweiterung der „Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität“ (EFSF), vulgo Euro-Rettungsfonds, ab. Mehrere Abgeordnete wurden von einem TV-Team nach ihrem Faktenwissen gefragt. Schaut schlecht aus. Immerhin: Einer wusste genau, dass es um die Aufstockung der deutschen Kreditbürgschaften am EFSF von 123 auf 211 Mrd. Euro ging. „Nun machen Sie mal ein Cut“, sagte einer. „Also. Dazu möchte ich mich jetzt nicht äußern“, eine andere Volksvertreterin.
„Es ist alles verdreht, es ist alles verkehrt“, sagt Frank Stronach zur entsetzten ZIB-Journalistin, die er keine Fragen stellen lässt. „Ich möchte den Bürgern erklären, wie das ist. Ich nehme mein eigenes Geld, um die Wahrheit zu erklären. Die Politiker nehmen das Geld der Bürger, um ihre Stimmen zu kaufen. Wenn sich die richtigen Leute finden, die guten Charakter haben und beschließen, eine Partei zu machen und sie würden meine Werte übernehmen, das würde ich unterstützen, geldlich und auch mit Zeit.“ Lieber doch mehr Zeit für sinnvolle Diskussionen. Das machen die AktivistInnen und UnterstützerInnen der Gemeinwohl-Ökonomie schon länger. In das vom Gründer des Netzwerks attac 2010 initiierte Projekt ist Bewegung gekommen. Bisher zählen 852 Unternehmen, 147 Organisationen bzw. Vereine und 2.872 Privatpersonen zu den UnterstützerInnen. Weil die Welt kein Kabarett ist und die Gestaltung nicht allein dieser Politik überlassen werden sollte. In dem zwanzig Eckpunkte umfassenden Gemeinwohl-Modell wird der rechtliche Anreizrahmen neu orientiert: Von Gewinnstreben und Konkurrenz auf Gemeinwohlstreben und Kooperation.

Gemeinwohl-Ökonomie

Auf Makroebene, der Volkswirtschaft etwa, wird der bisherige Erfolgsindikator BIP von einer Gemeinwohl-Bilanz abgelöst. Hier wird etwa das Nichtoffenlegen von Finanzflüssen an Lobbies negativ bewertet, ebenso wie die Verhinderung eines Betriebsrates, Arbeitsplatzabbau oder Standortverlagerung im Fall von Gewinn. Mit Pluspunkten bedacht werden gerechte Einkommensverteilung, die innerbetriebliche Transparenz, die Sinnhaftigkeit der Produkte und vor allem ethisches Finanzmanagement. „Man fragt sich, wann die Leute den Wohlstand der ‚Gemeinwohl-Ökonomie‘ produzieren sollen, wenn sie ihre demokratischen Rechte in den wie Schwammerln aus dem Boden schießenden Einrichtungen ausüben wollen“, kritisiert die Presse.

Mehr Infos unter: www.gemeinwohl-oekonomie.org

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin gabriele.mueller@utanet.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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