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Ich bin doch nicht besteuert! Wir betreiben Steuerrecht nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch, und wir betreuen in etwa 20.000 ArbeitnehmerInnen im Jahr, wenn ich die telefonischen Auskünfte dazuzähle.
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Ich bin doch nicht besteuert!

Schwerpunkt

Das schlechte Beispiel prominenter Entscheidungstragender lässt bei manchen den lockeren Umgang mit der Abgabenpflicht als gerechtfertigte Reaktion erscheinen.

Mitte der Nuller-Jahre habe sie eine Nachzahlung gehabt, die sie finanziell fast ruiniert hätte, erzählt die Freiberuflerin. Es habe damals eine Gesetzesänderung gegeben, von der sie nichts erfahren hatte. Sie habe leider noch ihrem Finanzberater vertraut. Schließlich kam eine Rechnung, von der sie dachte, hier wäre eine Null zu viel. Die Null stimme, habe die Dame von der Sozialversicherung gesagt und sie habe entgegnet, dies sei aber nicht gerecht. „Gerechtigkeit“, habe die freundliche Frau am Schalter gesagt, „ist leider nicht das einzige Kriterium.“ Sie habe den Verlust mit der Zeit durch Steuerumgehung wettgemacht. „Umgehung, wohlgemerkt“, sagt sie und lächelt. „Hinterzogen habe ich nichts.“

Dilemma

„Ökonomisch gesehen stellt das Steuerzahlen den Bürger vor ein soziales Dilemma“, meinte der Wirtschaftspsychologe Erich Kirchler in einem Gespräch mit science.orf im März des Jahres. Ein Dilemma zumindest, mit dem unselbstständige NettolohnempfängerInnen kaum zu kämpfen haben. Individuell Steuerzahlende, die Bruttoeinkommen beziehen, leisten ihre Beiträge – subjektiv gesehen – aus der eigenen Tasche. „Sie nehmen Steuern als Verlust wahr“, meint der Psychologe. Und: In Verlustsituationen finde man höhere Neigung zu Risikoakzeptanz, also auch zu illegalen Handlungen. Dazu komme, dass Verluste in etwa doppelt so schlimm empfunden werden wie entgangene Gewinne. Eine Studie des Wirtschaftspsychologen Kirchler (2007) besagt des Weiteren, dass verlässlich Zahlende als fleißig eingestuft werden, Hinterziehende als besonders intelligent.
Eine Aussage, die ein 50-jähriger Einmannunternehmer aus Niederösterreich bezweifelt. Der Grund, warum aus ihm, der streng zwischen privaten und beruflichen Rechnungen getrennt hatte, eine Zeit lang ein eher draufgängerisches Steuerindividuum geworden war, klingt paradox, wie vieles in der Wirtschaft. Er habe, sagt er, das Gesicht des Finanzministers nicht ertragen, an dem es nach der Jahrtausendwende bei FinanzOnline kein Vorbeikommen gegeben hätte. Zunächst habe er überlegt, die umständliche Papierform beizubehalten. Doch dann habe er begonnen, sozusagen aus Rache, weil ohnmächtiger Ärger ein schlechtes Gefühl ist, alle Tricks zu nutzen, die einem so zugetragen werden in der Welt der Selbstständigen und Kleinbetriebe. „Und das sind nicht wenige: Kennen Sie den? ...“

Betrug und Selbstbetrug

„Es liegt nahe, diese Schadenfreude am Betrug der öffentlichen Hand mit der Qualität unseres demokratischen Systems und der Wertschätzung der politisch Verantwortlichen zu verbinden,“ meinte die Politologin Margit Appel in ihrem Referat „Märchen aus Österreich – übers Steuerzahlen“ bei einem Diskussionsabend zum Thema „Steuer- und Verteilungspolitik“ des Sozialreferats der Diözese Linz. Das Dilemma der BürgerInnen sei, „dass für sie kaum unterscheidbar ist, was im politischen System selbst schiefläuft und was durch die Quasi-Allmacht der ökonomischen Eliten, ihre Interessen durchzusetzen, schiefläuft.“
Um politische Maßnahmen durchsetzen zu können, die zugunsten der Vermögenden wirken, müsste der Mittelschicht vermittelt werden, selbst zu den Einkommensstarken zu gehören. „Wenn Lobbyisten Steuersenkungen für die Reichen durchbringen wollen, dann müssen sie der Mittelschicht das Gefühl geben, dass sie ebenfalls zur Elite gehört. Man muss die Mittelschicht zum Selbstbetrug animieren“, schreibt Ulrike Herrmann in ihrem Buch „Hurra, wir dürfen zahlen“. Begütert ist die Mittelschicht nicht: Zu ihr zählt, wer zwischen 1.000 und 2.200 Euro netto im Monat als Single bzw. 2.100 bis 4.600 Euro als Ehepaar mit zwei Kindern monatlich verdient. „Die fatale Allianz zwischen Mittelschicht und Eliten hat zur Folge, dass erstere am Abstieg aktiv mitwirkt. Sie selbst stimmt für eine Steuer- und Sozialpolitik, die ihren Interessen völlig entgegengesetzt ist.“ Denn schließlich ist Steuerpolitik ein wesentliches Element für gerechte Verteilung.

Komplex, aber nicht undurchschaubar

„Die Behörden wissen seit Langem, dass die Steuergesetze nicht nur komplex sind, sondern die Grenze zwischen legalem und illegalem Handeln mitunter unklar ist“, meint der Wirtschaftspsychologe Erich Kirchler. „Manche Fälle bleiben Auslegungssache und das Ergebnis einer Prüfung bleibt letztlich das Ergebnis mehr oder minder geschickten Verhandelns. Die Möglichkeit der Behörde besteht in erster Linie darin, Maßnahmen zu setzen, die soziale Normen, Gerechtigkeitsüberlegungen und positive Einstellungen fördern.“
„80 Prozent“, schätzt eine Finanzbeamtin aus Wien, „machen ihre Buchhaltung sehr sorgfältig. Für viele ist natürlich der Anfang schwer. Jeder ist ein bisschen anders, jeder handelt nach eigenen Kriterien. Manche bekommen Probleme und manche kommen damit zu uns.“ Nicht wenige seien aufgeregt, wenn sie das Finanzamt betreten. Es seien aber meist einfach zu lösende Fragen. Oft würden Halbwahrheiten weitergegeben, die sie dann klären könne. Wer brüstet sich in der freien Wildbahn nicht manchmal mit einem guten Tipp? Die Kundinnen und Kunden müssten nach ihrer Beratung im Folgejahr keine Zeit mehr unnötig opfern. „Sie sind ja eh ganz nett“, habe sie bisweilen auch schon gehört.
Und die übrigen 20 Prozent? „Zehn Prozent“, korrigiert sie. Denn 90 Prozent seien brav Zahlende. Logisch: Eine schlampige Buchführung impliziert noch keine steuerumgehenden Energien. Es gebe einige Berufsgruppen, die, nun ja, sehr erfinderisch sind, stellt die vorsichtige Beamtin fest. Sie würde sagen, es seien solche, die etwas zu tun haben mit Behörden, egal welcher Art. „Insider, die holen viel mehr raus.“
„Steuerhinterziehung ist als Akt des zivilen Ungehorsams ungeeignet“, räumt der niederösterreichische Kleinunternehmer schließlich ein. Er verwende jetzt, wo er schon mehr Routine habe, seine Energien nicht mehr dafür, das System zumindest auszureizen.
Es lägen keine Hinweise vor, dass Krisenzeiten zu mehr illegalen Handlungen in steuerlicher Hinsicht verleiten, meint der Experte Kirchler. Er fände es jedoch sinnvoller, statt in den Medien vorwiegend die Hinterziehenden zu beleuchten, auch darüber zu informieren, wie hoch die Steuerehrlichkeit ist und was mit den Steuergeldern an öffentlichen Gütern bereitgestellt wird.
Laut einer Studie der Wissenschafter Lars P. Feld und Friedrich Schneider (Jänner 2011) über „Steuerunehrlichkeit, Abschreckung und soziale Normen“ würden die Menschen ihre Zahlungsbereitschaft deutlich nach dem Verwendungszweck differenzieren. So seien 90 Prozent bereit, für öffentliche Leistungen entsprechende Steuern zu zahlen. Auch für Soziales sei die Zahlungsbereitschaft kaum geringer.

„Kronzeugen braucht das Land“

Genaue Beträge, die dem Staat durch „steuerschonendes“ Verhalten der BürgerInnen entgehen, lassen sich in diesem Graubereich nicht ermitteln. Das durchschnittliche Ausmaß des Schadens durch die Schattenwirtschaft für 2012 schätzt Friedrich Schneider auf bis zu 3,5 Mrd. Euro. Mit rund 17 Mrd. wird der Verlust, der dem Land rein finanziell durch Korruption entsteht, vom Wissenschafter hochgerechnet.
Da Korruption in geschlossenen Systemen erfolgt, ist die Aufklärung äußerst schwierig. Die über den reuigen Dietrich Birnbacher wegen Untreue verhängte teilbedingte Freiheitsstrafe sei ein deutliches Signal, urteilt Anwalt Alfred J. Noll in seinem Standard-Artikel „Mehr Kronzeugen braucht das Land“. Es könnten (leider) nur solche Leute die verschwiegenen Strukturen, in denen Kuverts überreicht werden, tatsächlich aufdecken.

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