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Big Player - nicht nur in Wahlzeiten Die Bindungskraft der Parteien wurde in den vergangenen Jahren immer kleiner, entlang neuer politischer Spannungslinien haben sich Parteien gebildet, die oft nicht mehr den alten Rechts-Links-Ideologien entsprechen.

Big Player - nicht nur in Wahlzeiten

Schwerpunkt

In Zeiten des Web 2.0 geht die Meinungsforschung neue Wege. Erstmals sind Trends in Echtzeit beobachtbar - auch wenn es um Politik geht.

In der Politik – und besonders im Wahlkampf – spielt die Meinungsforschung eine bedeutende Rolle. Selbst kurz vor dem Urnengang können Umfrageergebnisse und Wahlprognosen sowohl PolitikerInnen als auch WählerInnen noch entscheidend beeinflussen.

Opinion Mining heißt der neueste Trend der Meinungs- und MarktforscherInnen. Dabei werden mittels Online-Analyse-Tool (Facebook-)Postings und Tweets nach bestimmten Inhalten durchsucht. So erfährt man theoretisch schon kurz nach einer TV-Diskussion, welchen Eindruck ein/eine SpitzenkandidatIn hinterlassen hat. Die Vision: Allmorgendlich zeigt der Blick auf den sogenannten Campaign Alert die neuesten Trends der vergangenen 24 Stunden im Web und in den Social-Media-Streams. Mit dem EU-finanzierten Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Trendminer“, an dem unter anderem das sozialwissenschaftliche Institut SORA beteiligt ist, sollen diese Tools bis 2014 die wichtigsten Sprachen, inklusive der etwa bei Twitter gebräuchlichen Abkürzungen und Akronyme, gelernt haben. Schon im Wahljahr 2013 sind erste Praxistests geplant.

Fehlprognosen als „part of the game“
Von derart raschen Ergebnissen in Echtzeit konnte George Gallup, der Pionier der Marktforschung, nicht einmal träumen. Ihm gelang 1936 sein erster großer Erfolg, als er nach der Befragung von lediglich ein paar Tausend nach bestimmten Kriterien ausgesuchten Wahlberechtigten prognostizierte, dass Franklin D. Roosevelt die Präsidentschaftswahlen gewinnen würde. Bis dahin waren vor Wahlen Millionen Fragebögen verschickt worden. Es galt die Devise: Je mehr Menschen befragt werden, desto besser das Ergebnis. Zwölf Jahre später erstellte Gallup allerdings eine Fehlprognose, die das Ansehen der Meinungsforscher empfindlich schmälerte. Sein „Favorit“ unterlag dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten Harry S. Truman.
„Ich denke, dass es einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer gibt“, schätzte IBM-Boss Thomas Watson 1940. Ob diese Prognose mithilfe von MeinungsforscherInnen damals anders ausgefallen wäre, darf bezweifelt werden. Aber auch im Computerzeitalter gehören Fehlprognosen zum Alltag der DemoskopInnen. So kam beispielsweise 2009 der deutliche Wahlsieg des BZÖ in Kärnten für fast alle sehr überraschend. Beinahe sämtliche Meinungsforschungsinstitute hatten ein Kopf-an-Kopf-Rennen von SPÖ und ÖVP prognostiziert.

Last-Minute-Swing
Nicht nur der „Sonderfall Kärnten“ macht den Expertinnen und Experten Probleme. Die anhaltende Tendenz, sich erst kurz vor dem Wahlgang für eine Partei zu entscheiden, sorgt für Unwägbarkeiten. Der Anteil all jener, die sich in der letzten Phase, also während des Intensivwahlkampfs entscheiden, ist von neun Prozent im Jahr 1979 kontinuierlich auf 33 Prozent bei den Nationalratswahlen 2008 angewachsen. Die Bindungskraft der Parteien wurde in den vergangenen Jahren immer kleiner, entlang neuer politischer Spannungslinien haben sich Parteien gebildet, die oft nicht mehr den alten Rechts-Links-Ideologien entsprechen. Ein weiterer Trend ist die höhere Wählermobilität: 2008 haben laut GfK-Exit-Poll 28 Prozent der WählerInnen eine andere Partei gewählt als 2006. Das macht Prognosen nicht leichter. Die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre (2007) hat die Wählermobilität und den Trend zum Last-Minute-Swing noch weiter verstärkt. Dementsprechend liefert auch die Sonntagsfrage oft trügerische Ergebnisse. „Die Zahl jener, die sich als ‚unentschlossen‘ deklarieren, ist seit Jahren relativ konstant, obwohl die klassischen Parteienbindungen deutlich zurückgegangen sind“, so Dipl.-Ing. Paul Unterhuber, GfK Austria. Soll heißen, in letzter Minute ist noch alles drin: Wer vier Monate vor einer Wahl noch für die SPÖ war, macht am Ende vielleicht sein Kreuz bei einer anderen Partei.
Während eines Wahlkampfs werden die WahlkampfmanagerInnen mindestens einmal pro Woche mit Umfrageergebnissen konfrontiert. Nicht selten richten sich die Aussagen der PolitikerInnen hauptsächlich nach diesen Zahlen. Das muss nicht unbedingt negativ sein, sofern es etwa die Themenschwerpunkte betrifft, birgt aber auch die Gefahr, letztendlich an Profil und Authentizität zu verlieren – sowohl als Partei als auch als einzelner/einzelne PolitikerIn.

Taktisches Wählen
Wie weit Umfragen und Prognosen tatsächlich die Wahlbeteiligung und -ergebnisse beeinflussen, darüber lässt sich lange diskutieren. Expertinnen und Experten haben dazu einige Theorien entwickelt, können sich aber nicht auf gemeinsame Antworten einigen. Taktisches Wählen jedenfalls ist fast nur mit Hilfe von Wahlprognosen möglich: Soll man eine kleine Partei wählen, deren Einzug ins Parlament unsicher ist und damit quasi seine Stimme „verschenken“? Soll man nicht lieber doch den Wochenend-Trip nach Paris buchen, weil der/die GewinnerIn einer Wahl ohnehin schon feststeht? In Deutschland und Österreich gibt es übrigens – im Gegensatz zu anderen Staaten – kein Verbot zur Veröffentlichung von Meinungsumfragen kurz vor Wahlen.
Hochrechnungen der Wahlergebnisse dürfen am Wahltag allerdings erst publiziert werden, wenn das letzte Wahllokal geschlossen hat. Die Computer arbeiten allerdings schon lange davor, nämlich sobald die Auszählungsergebnisse der ersten Wahllokale im Laufe des Vormittags feststehen.
Wie liest man Umfrageergebnisse richtig bzw. woran erkennt man seriöse Umfragen? Folgende Angaben sollten keinesfalls fehlen: Stichprobengröße und Befragungsart (zum Beispiel: 500 Telefon-Interviews), Grundgesamtheit (zum Beispiel: WienerInnen ab 16 Jahren), Erhebungszeitraum/Zeitpunkt der Umfrage, Institut bzw. AuftraggeberIn. Außerdem ist es hilfreich, Fragen und Antwortmöglichkeiten genauer unter die Lupe zu nehmen.
Die Formulierung „In Österreich leben zu viele AusländerInnen“ wird vermutlich andere Ergebnisse liefern als „Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die hier lebenden AusländerInnen in ihre Heimat schicken“. Interessant sind oft auch die Antwortmöglichkeiten. Häufig werden die Ergebnisse in den und für die Medien grob zusammengefasst.
Bei der Zusammenfassung mehrerer Attribute (immer, häufig, regelmäßig etc.) in einer Zahl ist prinzipiell Vorsicht geboten. Nicht selten werden in solchen Fällen zwei Wahlmöglichkeiten zusammengezogen, um das Ergebnis im Sinne der AuftraggeberInnen zu schönen.

Internet:
Mehr Infos unter:
tinyurl.com/8pvrddx

Schreiben Sie Ihre Meinungan die Autorin afadler@aon.at
oder die Redaktion aw@oegb.at

Info&News
Schnelle Ergebnisse mit CATI – kleines Demoskopie-Lexikon
CAPI:
Die Buchstaben CA bedeuten hier „computer assisted“ (computerunterstützt), zum Beispiel CAPI: computerunterstützte persönliche Interviews; außerdem möglich: Befragungen per SMS (CAMI – „mobile interviewing“), CATI – Telefonumfragen, CAWI – online etc.
Exit Poll:
Befragung von WählerInnen direkt nach der Wahl; die unterschiedlich umfangreichen Ergebnisse dienen vor allem der Wählerstromanalyse, aber etwa auch der Motivforschung.
Qualitatives Interview:
Fragen sind kaum oder nur wenige vorgegeben, ein Leitfaden enthält die wichtigsten Punkte, die angesprochen werden müssen. Die Interviewten können weitgehend frei sprechen. Repräsentativ ist eine Umfrage nur dann, wenn die Stichproben (das Sample) die Grundgesamtheit in allen Merkmalen möglichst gut widerspiegeln. Entscheidend dabei ist vor allem das Auswahlverfahren und weniger die Anzahl der Stichproben.
Standardisiertes Interview:
Vorgegebene Antworten können angekreuzt werden. Diese Einschränkung ist für manche Fragestellungen wichtig, weil es sonst zu einer unübersehbaren Fülle von Antworten kommen würde.
Wahlbeteiligung:
Diese betrug bei den Nationalratswahlen 2008 knapp 79 Prozent. Laut aktueller Sonntagsfrage würden derzeit nur 53 Prozent wählen gehen. In Österreich ist die Wahlbeteiligung zwar – dem internationalen Trend folgend – rückläufig, allerdings immer noch höher als in Deutschland oder der Schweiz.

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