topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Bad Ischler Dialog 2012: "Zukunft Europa" Ein Auseinanderbrechen der Eurozone (z. B. Teilung in einen "Nord-" und einen "Südeuro" oder Rückkehr zum "Schilling") hätte massive wirtschaftliche und soziale Nachteile für Österreich als exportorientiertes Land.

Bad Ischler Dialog 2012: "Zukunft Europa"

Aus AK und Gewerkschaften

Österreichische Sozialpartner fordern Kurswechsel in der europäischen Politik.

Der Bad Ischler Dialog 2012 stand im Zeichen der europäischen Integration und ihrer gegenwärtigen Krise. Vom 15. bis 16. Oktober diskutierten hochkarätige VertreterInnen der österreichischen und europäischen Politik, der Sozialpartnerverbände, der Wissenschaft und der Medien über die großen Herausforderungen Europas und darüber, wie sie zu bewältigen sind. Vor diesem Hintergrund präsentierten die österreichischen Sozialpartner ein umfassendes Positionspapier. Darin halten sie ungebrochen an der europäischen Integration als Leitidee für Österreich fest, erachten jedoch einen grundlegenden Kurswechsel der europäischen Politik in vielen Punkten für dringend geboten. 

Enorme Herausforderungen

Die EU ist seit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise mit enormen Herausforderungen konfrontiert: Rekordarbeitslosigkeit und erneuter Wachstumseinbruch, wachstumsfreundlicher Abbau der Staatsschulden und Stabilisierung der Eurozone, generelle Bedrohung des Europäischen Sozialmodells und Bekämpfung der Armut, Sicherung des sozialen Zusammenhalts und gerechte Einkommensverteilung, demokratische Legitimation und Transparenz der europäischen Entscheidungen sowie das allgemein schwindende Vertrauen der Menschen in die EU-Lösungskompetenz. In Reaktion darauf präsentierten die Sozialpartner eine Reihe von Lösungsvorschlägen, mit denen Europa wieder in eine Vorwärtsbewegung gelangen kann. Einigkeit besteht darin, dass die Entschärfung der gegenwärtigen Krise eine Übertragung bislang nationaler Befugnisse auf die europäische Ebene erfordern wird. Die allmählich in die Gänge kommende Debatte zur Reform der Europäischen Verträge sollte nicht nur die Mängel der einseitigen Ausrichtung der Wirtschafts- und Währungsunion beheben, sondern – etwa durch konsequente Aufwertung des Europäischen Parlaments – auch die demokratische Legitimität der EU stärken. Ein weiterer wichtiger Punkt wird in der (Wieder-)Herstellung des rechten Gleichgewichts zwischen Marktfreiheiten und kollektiven ArbeitnehmerInnenrechten liegen. Dieses Gleichgewicht ist zuletzt durch einige Urteile des EuGH zuungunsten der ArbeitnehmerInnen verschoben worden.
Vehement weisen die Sozialpartner indessen alle Untergangsszenarien zurück, mit denen ein – zumindest teilweiser – Zerfall der Eurozone herbeigesehnt wird. Der Euro hat als gemeinsame Währung eindeutigen Nutzen für Österreich gebracht. Ähnlich wie das WIFO gelangen auch die Sozialpartner zum Schluss, dass ein Zerfall der Eurozone letztlich mit äußerst negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung verbunden wäre. Schon allein aus österreichischem Eigeninteresse muss Vorstößen in Richtung einer geldpolitischen Renationalisierung oder eines Hinausdrängens einzelner Länder aus der Eurozone entschlossen entgegengewirkt werden. Ein Auseinanderbrechen der Eurozone (z. B. Teilung in einen „Nord-“ und einen „Südeuro“ oder Rückkehr zum „Schilling“) hätte massive wirtschaftliche und soziale Nachteile für Österreich als exportorientiertes Land.
Unbeschadet dessen erachten die österreichischen Sozialpartner eine intensive Debatte über die systemischen Defizite der Ausgestaltung der Wirtschafts- und Währungsunion als vordringliches Ziel. So sind wirksame Mechanismen zum Abbau makroökonomischer Ungleichgewichte sowie zur Stabilisierung der öffentlichen Haushalte für eine stabile Entwicklung der Eurozone ebenso unerlässlich wie ein entschiedenes Auftreten aller europäischen Institutionen – einschließlich der EZB –, um den Zusammenhalt der Eurozone nachhaltig zu sichern.

Elemente eines Kurswechsels

Die Positionierung der Sozialpartner kann in weiteren zentralen Punkten als wegweisend für die anstehende Debatte zur Ausrichtung Europas dienen. Sie macht deutlich, wie sehr sich die EU-Politik in einigen Fragen in den vergangenen Jahren auf den falschen Weg einer primär neoliberalen Wirtschaftsentwicklung begeben hat.
Im Hinblick auf die Finanzmarktregulierung bekennen sich die Sozialpartner zum Leitprinzip, wonach die Finanzmärkte der Realwirtschaft dienen müssen und nicht als Konkurrenz zu dieser aufzutreten hätten. Erforderlich sind u. a. Maßnahmen zur Reduktion spekulativer Transaktionen und einmal mehr die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Wichtig ist auch, die Abhängigkeit von Urteilen der Ratingagenturen generell zu reduzieren. Ferner gilt es, eine neuerliche Belastung aller SteuerzahlerInnen durch einen unsoliden Bankensektor zu vermeiden.

Sozialen Ausgleich verbessern

Klar ist zudem, dass die EU – anstatt durch gleichzeitiges Sparen in allen Mitgliedsstaaten eine ruinöse Abwärtsspirale zu bewirken – aus der Krise herauswachsen muss. Dazu muss auch der soziale Ausgleich verbessert und die Schwäche der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage behoben werden. Damit wird ein weiterer zentraler Punkt in der europäischen Politik angesprochen, der im Zusammenhang mit der einseitigen Orientierung der europäischen Politik am Prinzip der globalen Wettbewerbsfähigkeit oftmals übersehen wird: Nach wie vor kommen mehr als 80 Prozent der Gesamtnachfrage in der EU aus den EU-Mitgliedsstaaten selbst!
Die EU ist mithin aufgerufen, das Potenzial eines Binnenmarktes von 500 Mio. zu erschließen. Der Schlüssel dazu liegt weniger in einer abermaligen Fixierung auf angebotsseitige, in erster Linie unternehmensorientierte Maßnahmen, sondern – namentlich in den Ländern mit Leistungsbilanzüberschüssen – in der Stärkung der Binnennachfrage. Das erfordert nicht zuletzt eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik.
In engem Zusammenhang damit steht das Anliegen der Sozialpartner, die Stärken des Europäischen Sozialmodells entsprechend als Produktivkraft zu nützen. Ein Erfolgsrezept der nordischen Länder und auch Österreichs liegt darin, dass wirtschaftlicher Erfolg und internationale Wettbewerbsfähigkeit einerseits und sozialer Ausgleich andererseits nicht als Gegensätze gesehen werden, sondern großteils so ausgestaltet sind, dass sie einander unterstützen.
Die österreichischen Sozialpartner sprechen sich konsequent neben Maßnahmen zur Sicherung der Beschäftigung älterer Personen und zur Gleichstellung von Frauen und Männern insbesondere für eine rigorose Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit aus. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt in manchen Ländern (Spanien und Griechenland) bereits mehr als 50 Prozent. Es droht eine verlorene Generation. Jedem/Jeder Jugendlichen muss deshalb wie in Österreich die Möglichkeit gegeben werden, eine Erstausbildung abzuschließen und damit die Grundlage für einen dauerhaften Einstieg in den Arbeitsmarkt zu schaffen. Keine/Kein Jugendliche/r soll am Ende der Schulpflicht ohne individuelle Perspektive für den weiteren Bildungsweg oder gar außerhalb des Systems Arbeitsmarkt, Ausbildung oder Schule stehen. Gerade das System der dualen Berufsausbildung erweist sich als attraktives Ausbildungsmodell sowohl für Jugendliche als auch für Betriebe und als Best-Practice-Modell für die gesamte EU.

Standortoptimierung

Weitere vorgeschlagene Maßnahmen der Sozialpartner betreffen die Optimierung des Wirtschaftsstandorts im Sinne von Wachstum und Beschäftigung, eine stärker auf dem Prinzip der Nachhaltigkeit beruhende Weiterentwicklung des Binnenmarktes sowie der Außenhandelspolitik Europas, die Schaffung wachstums- und beschäftigungsfreundlicher Steuersysteme einschließlich der Harmonisierung der Körperschaftssteuer und der stärkeren Bekämpfung von Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und Steueroasen sowie eine zukunftsorientierten Ausgestaltung des EU-Haushaltes. Das Papier enthält aber auch einige Vorschläge, die zu einer Stärkung von Transparenz, Demokratie und europaweiter Partizipation beitragen würden. Die Sozialpartner erklären sich schließlich bereit und willens, entschlossen für jenes Europa einzutreten, das ihrem Leitbild gerecht werden soll: ein Europa für die Menschen.

Für eine Umkehr

Resümierend sprechen sich die österreichischen Sozialpartner – jedenfalls implizit – für eine Abkehr von den marktideologischen Irrwegen aus, denen die europäische Integration in den vergangenen rund 15 Jahren zunehmend verfallen ist. Ihre Steilvorlage zur Zukunft Europas ist damit Auftrag an eine mutige Politik, die richtigen Schlüsse aus dem Scheitern des Neoliberalismus zu ziehen.

Das Positionspapier ist im Volltext unter: www.sozialpartner.at beziehbar.

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor valentin.wedl@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum