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Der freie Wille und die Wahl Es ist nämlich schier unmöglich, die Welt so zu sehen, wie sie tatsächlich ist. Denn schon rein anatomisch haben wir ein eingeschränktes Wahrnehmungspotenzial.

Der freie Wille und die Wahl

Schwerpunkt

Die Verwunderung über so manche (auch politische) Einstellung und ein Erklärungsversuch dazu.

Am Beginn der Artikelrecherche stand ein Experiment: Eine Umfrage unter Bekannten, ob sie meinen, dass sie freie Entscheidungen treffen. In den Antworten schwang Verwunderung darüber mit, dass diese seltsame Frage ernsthaft an sie gerichtet werde. Alle Befragten betonten ihre Entscheidungsfreiheit. Setzt man sich aber mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Thema Entscheidungs- und Willensfreiheit auseinander, findet man eine kontroversielle Diskussion darüber, ob es so etwas wie einen „freien Willen“ geben kann. Gleichzeitig scheint der Gedanke unerträglich, die eigenen Entscheidungen seien nicht durch diesen geprägt.
„Lasst jene, die sich selbst Philosophen nennen, das Risiko für ihre geistige Gesundheit auf sich nehmen, das zu intensives Nachdenken über den freien Willen mit sich bringt“, meint der Philosoph John Earman – und fasst damit treffend zusammen, dass bei genauerer Betrachtung dieses Themenfeldes innere Konflikte vorprogrammiert sind. Wie treffen wir nun aber unsere Entscheidungen und wie frei sind diese wirklich? Welche Kriterien ziehen wir – bewusst oder unbewusst – heran? Wie nehmen wir unsere Umwelt wahr und verarbeiten die sich uns präsentierenden Informationen?

Das Wunder „Freier Wille“

In unserem Körper ist kein Organ namens „freier Wille“ zu finden. Vielmehr denkt und fühlt der Mensch mit schätzungsweise 100 Milliarden bis zu einer Billion Nervenzellen. Neben der Aufgabe, die Körperfunktionen zu regeln, passiert im Zentralnervensystem Folgendes: Erinnerungen werden abgespeichert und bei Bedarf abgerufen, mit anderen Erfahrungen verglichen und daraus werden wiederum Schlüsse gezogen bzw. Entscheidungen getroffen. So werden Gedanken geformt, die zu Handlungen motivieren oder die bestimmtes Handeln vermeiden.
Vereinfacht dargestellt funktioniert das Gehirn so: Die Synapsen (Kontaktstellen) zwischen den Nervenzellen werden durch Signale verschaltet und dienen der Speicherung von Informationen. Je nachdem, welche Informationen zur Verfügung stehen, werden entsprechende Handlungen und Entscheidungen gesetzt. Ein Beispiel: Ein Kleinkind, das noch nie die schmerzvolle Erfahrung mit extremer Hitze gemacht hat, kann in seinem Forscherdrang, Neues zu erlernen, der Versuchung nicht widerstehen, auf eine heiße Herdplatte zu greifen. Nach der eindrücklichen Erfahrung einer Brandblase wird es diese Handlung künftig vermeiden.

Freier Wille und Verantwortung

Das Prinzip ist einfach: Ursache – Wirkung. Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz nannte diese Kausalitätserwartung einen „angeborenen Lehrmeister“. Für den Menschen ist dies überlebenswichtig. Allerdings wird dieser Entscheidungsprozess durch die Vielzahl an Erfahrungen im Laufe eines Lebens immer undurchschaubarer. Dennoch können wir bei sehr engen FreundInnen oder LebenspartnerInnen häufig voraussehen, wie diese handeln werden. Nicht etwa, weil wir hellseherische Fähigkeiten haben, sondern aus dem einfachen Grund, dass wir viele ihrer Erfahrungen teilen.
Zudem konnten wir beobachten, wie sie in der Vergangenheit gehandelt haben und können so ihre bevorstehenden Entscheidungen einschätzen. Diese Beispiele machen deutlich, dass streng betrachtet dieses Kausalitätsprinzip bedeutet, dass jede Entscheidung bereits im Vorhinein determiniert ist.
Der Gedanke könnte auch so weit gesponnen werden, dass somit ein „freier Wille“ nicht existiert, da scheinbar freies Handeln nur als Resultat von Vorerfahrungen zu werten ist. In letzter Konsequenz würde dieser Gedanke aber auch die Menschen für unmündig erklären bzw. die Verantwortlichkeit für das eigene Tun ad absurdum führen. Diese Überlegungen verführen zu einer schicksalsergebenen Haltung, da demnach eins zum anderen führt.
Eine wichtige Frage lautet daher, wie „freier Wille“ definiert wird. Thomas Hobbes hat sich bereits im 17. Jahrhundert eingehend damit beschäftigt. Für ihn existiert zwar kein „freier Wille“, da sich im Sinne des Determinismus alle Zustände der Welt aus ihren vorhergegangenen bestimmen. Allerdings erkennt er sehr wohl die Handlungsfreiheit des Einzelnen an. Demnach handelt ein Mensch dann frei, wenn er anders handeln könnte, insofern er anders handeln wollte.
Für Michael Pauen, einen Philosophen unserer Zeit, stehen Determinismus und Willensfreiheit nicht im Widerspruch zueinander. Seiner Ansicht nach ist vielmehr entscheidend, wodurch die Handlungen in ihren Vorerfahrungen bestimmt werden: Werden diese durch die Person selbst bestimmt – nicht unter Zwang –, dann sind sie frei.

Empfinden der Realität

Unsere Handlungen werden also im Rekurs auf unsere Erfahrungen bestimmt – und diese sind auch davon abhängig, wie wir die Welt wahrnehmen. Es ist nämlich schier unmöglich, die Welt so zu sehen, wie sie tatsächlich ist. Denn schon rein anatomisch haben wir ein eingeschränktes Wahrnehmungspotenzial. So ist beispielsweise für das menschliche Auge nur der Wellenlängenbereich des Lichts von ca. 380 Nanometer (Violett) bis 780 Nanometer (Rot) sichtbar. Außerdem selektiert unser Gehirn. Dies ist etwa dann wichtig, wenn an einer Sache konzentriert gearbeitet werden muss und überflüssige Umweltgeräusche beinahe komplett ausgeblendet werden können. Oder es konstruiert bei unzureichenden Informationen aufgrund der Vorerfahrungen weitere hinzu, damit wir nicht immer auf alle Details angewiesen sind und uns trotzdem ein Bild machen können. Hinzu kommt, dass gleichzeitig ein Abgleich mit den bisherigen Erfahrungen erfolgt – natürlich auch mit den dazugehörigen emotionalen Bewertungen. So kommt es, dass jeder Mensch durch seine „persönliche Brille“ sieht und urteilt.

„Alles ist möglich“

In Bezug auf die Wahrnehmung unserer Welt kommt noch ein erschwerender Faktor hinzu: Wir leben in einer Gesellschaft, in der ein „Alles ist möglich“-Bewusstsein herrscht. In der Regel ist dem aber nicht so, da die unterschiedlichsten Faktoren auf unsere Möglichkeiten einwirken. Unsere Erkenntnisquellen sind davon nicht ausgenommen.
So wird in unserer Informationsgesellschaft, in der ein unüberschaubares Datenmaterial potenziell vorhanden ist, dieses auf ein erfassbares Maß dezimiert. Dies erledigen unter anderem die Medien. Selbstverständlich gibt es auch hier Selektionskriterien, mit denen die Medien arbeiten. Dazu kommt die Beeinflussung durch Werbung und andere Umweltfaktoren. Dies ist zweifelsfrei meist fremdgesteuert und folgt häufig nicht dem Anspruch auf möglichst objektive Information, sondern anderen Direktiven. Man denke nur an das Bild der fröhlich muhenden Kuh auf der Weide im TV-Spot und an die damit heraufbeschworene Illusion, Milch einer von Heidi höchstpersönlich gemolkenen Kuh kaufen zu können.

Reflexion kann helfen

All das spielt natürlich auch in der politischen Meinungsbildung eine Rolle. Mit dem Bonus des Selfmade-Millionärs und einigen hübsch klingenden und einleuchtenden Schlagworten wie „Wahrheit“, „Transparenz“ und „Fairness“ können im Gehirn so einige positive Assoziationen geweckt werden. Auch wenn es grundsätzlich an Stimmigkeit fehlt. So lautet bekanntlich die goldene Regel des Neo-Politikers: „Wer das Gold hat, macht die Regeln“. Diese Aussage kann wohl kaum mit der Inszenierung als „Mann des Volkes“ vereinbart werden. Wenn man den erstaunlich guten Umfragewerten Glauben schenken darf, kann dem Gehirn offensichtlich leicht ein Schnippchen geschlagen werden.
Da wir auch sind, was wir waren – philosophisch gesprochen –, kann es nicht schaden, sich die Grundlagen unserer Entscheidungen bewusst zu machen. Scharfes Nachdenken, Reflektieren und intensiver Meinungsaustausch sind sicherlich gute Hilfsmittel, um den eigenen „freien Willen“ zu stärken.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin elke.radhuber@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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