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Beobachtungen eines Beobachters Als die erste Hochrechnung von der zentralen Wahlkommission veröffentlicht wurde, war die Überraschung doch sehr groß: Die Kommunistische Partei hatte mit über 50 Prozent der Stimmen und einem Zuwachs von vier Prozent gewonnen.

Beobachtungen eines Beobachters

Schwerpunkt

Das Ergebnis der Parlamentswahlen in der Republik Moldau war kein Wahlwunder - Erlebnisse rund um eine sehr zweifelhafte Wahl.

Hartgesotten und in den entlegensten Regionen des Balkans als Wahlbeobachter erprobt, folgte ich im Frühjahr 2009 der Einladung unseres Außenministeriums, für die OSZE an den Parlamentswahlen in der Republik Moldau teilzunehmen. Bereits im Vorfeld der Wahlen hatte es größere Komplikationen gegeben, da die regierende Kommunistische Partei, laut Berichten unabhängiger Medien, ihre politischen Gegner massiv einzuschüchtern versuchte.
Bei der für den 5. April 2009 angesetzten Parlamentswahl ging es für die Kommunisten um den Verbleib ihres Vorsitzenden, Vladimir Voronin, im Amt des Staatspräsidenten, da dieser nur durch eine Mehrheit der Parlamentsabgeordneten bestätigt werden konnte. Aber gerade dessen pro-russische Politik führte, zumindest in den Umfragen, zu einem Aufschwung der Oppositionskräfte.

Ankunft am Einsatzort

Nach der zweitägigen und sehr intensiven Einschulung wurden die WahlbeobachterInnen aus über 40 verschiedenen Ländern, jeweils in Zweierteams, zu ihren Einsatzorten entsandt. Ich durfte gemeinsam mit meiner Kollegin Françoise, einer etwa 35-jährigen Französin aus Paris, in die im Norden liegende Bezirkshauptstadt Gloden reisen. Einer Stadt, die außer einem Hotel und einer von Einheimischen meist gemiedenen Bar keinerlei touristische Infrastruktur bot. Vor Ort lernten wir dann auch unsere lokalen BetreuerInnen kennen. Diese waren unser Fahrer Sascha, der unseren altersschwachen Lada Taiga steuerte, und unsere Übersetzerin Irina. Dank unseres jungen Lenkers wurde jede Fahrt im Wahlkreis zu einer kleinen Rallye, da es notwendig war, auch die unwegsamsten Feldwege zu den dahinter liegenden Dörfern zu benützen. So beeindruckend Saschas Fahrkünste auch waren, so beeindruckend übel wurde zumeist meiner französischen Mitstreiterin.
Nachdem wir als Team gemeinsam den Wahlkreis kennengelernt hatten, gönnten Françoise und ich uns am Abend vor der Wahl noch ein paar Getränke in der angeblich so verruchten Bar von Gloden. Trotz einiger zwielichtiger Typen, deren Geldquellen bzw. Arbeit wohl zum Ruf des Lokals beitrugen, war es dennoch ein netter Abend am vermeintlichen Ende der Welt.

Wahltag

Die Frühlingstemperaturen in Südosteuropa sind meist im April schon sehr freundlich und so brach bereits am frühen Morgen die Sonne durch die Fenster des ersten von uns besuchten Wahllokales.
Seit sieben Uhr früh war nun in der gesamten Republik die Stimmabgabe möglich, so auch in dem von uns begutachteten Wahlkreis. Rund ein Dutzend solcher Wahllokale sollten wir im Laufe des Tages in der zerpflügten Hügellandschaft Nordmoldaus inspizieren. Mit Saschas Hilfe, so waren wir uns sicher, wäre dies zeitlich kein Problem. So „flogen“ wir mit unserem Lada von Dorf zu Dorf und besuchten die meist in Schulen eingerichteten Wahllokale.
Stets wurden wir freundlich von dem/der örtlichen WahlleiterIn begrüßt und konnten die meist vorbildliche Stimmabgabe mitverfolgen. Nicht nur, dass die LeiterInnen wie auch alle WahlbeisitzerInnen in ihrer schönsten Kleidung erschienen waren, so waren auch sämtliche Wahllokale mit Blumen und Nationalsymbolen reichlich geschmückt. Auch die WählerInnen waren an diesem 5. April allesamt fein gekleidet. Besonders herausgeputzt waren aber die kleinen Mädchen, die, so wie zu Sowjetzeiten üblich, ihre Haare mit bunten Schleifen hochgesteckt trugen.
Für den erfahrenen, aber sehr skeptischen Wahlbeobachter war dieses ländliche Wahlidyll allerdings eine Spur zu perfekt, denn gerade in unserem Wahlkreis befand sich eine Domäne der Kommunisten und das positive Abschneiden der Partei war gerade hier im Norden entscheidend für den Wahlausgang. Besonders genau sahen wir uns daher das laut Wahlstatut legale Wählen mit kopierten Ausweisen wie auch die Arbeit der mobilen Wahlkommissionen an.

Fliegende Wahlabgabe

Wir fuhren in ein größeres Dorf, in dem insgesamt rund 100 ältere und gebrechliche Leute auf der Liste standen. Diese sollten innerhalb von nur zwei Stunden ihre Stimmen abgeben. Wir schlossen uns daher der „fliegenden Wahlkommission“ an und erreichten schon nach wenigen Minuten den ersten Bauernhof.
Als der Wahlleiter, ein offensichtlich bekannter Gemeindebeamter, das Tor öffnete, kamen ihm schon die zwei BewohnerInnen des Gehöfts freudestrahlend entgegen. „Ion, Ion!“, riefen die beiden und begrüßten voller Freude den Vorsitzenden, den Rest der Kommission, die beiden Polizisten, wie auch Françoise und mich. Wie es die moldauische Gastfreundschaft traditionell vorschreibt, wurden den Gästen Brot, Käse, Wurst, aber auch Wein und Schnaps gereicht. Eigentlich war Letzteres am Wahltag untersagt, aber der Duft der meist aus Zwetschgen hergestellten Hausschnäpse ließ uns augenzwinkernd eine Ausnahme machen. Nach dem ausschweifenden Begrüßungsritual wurde flink eine kleine Wahlzelle aufgestellt und die Bäuerin wie auch ihr Mann gaben ihre Stimmen ab. Insgesamt aber dauerte die Abgabe dieser zwei Stimmen über 20 Minuten.

Käse und Schnaps

Auch die nur hundert Meter weit entfernten, ebenfalls gebrechlichen Nachbarn empfingen unsere Gruppe mit ebenso großer Gastfreundschaft. Wieder wurden ein paar Stücke Käse gegessen, wieder erhob Vorsitzender Ion, diesmal unter unseren zunehmend kritischer werdenden Augen, das Glas zu Ehren der beiden WählerInnen. Wieder dauerte der ganze Vorgang mehr als eine Viertelstunde. Unsere Skepsis wuchs mit dem Voranschreiten der Zeit. Wie sollten die noch verbliebenen 96 WählerInnen denn ihre Stimme abgeben, fragten wir Ion. Dieser gab sich aber zuversichtlich und meinte, dass er von nun an die „Verbrüderungsaktionen“ einstellen werde. Da wir allerdings noch zwei Wahllokale auf der Liste hatten, mussten wir schließlich die „fliegende“ Kommission verlassen, wiesen allerdings freundlich daraufhin, dass wir uns die Wahlergebnisse am nächsten Tag genauestens ansehen würden.

Wahlwunder

Als die erste Hochrechnung von der zentralen Wahlkommission veröffentlicht wurde, war die Überraschung doch sehr groß: Die Kommunistische Partei hatte mit über 50 Prozent der Stimmen und einem Zuwachs von vier Prozent gewonnen. Nicht minder verwundert waren Françoise und ich über dieses Resultat. Sofort begannen wir, die einzelnen Ortsergebnisse genauer zu überprüfen. Und – wir hatten es bereits befürchtet – in der zuvor erwähnten Gemeinde hatten doch alle 100 Wahlberechtigten ihre Stimme bei der mobilen Wahlkommission abgegeben. Mehr noch, die Kommunistische Partei hatte im Ort einen überwältigenden Sieg mit fast 80 Prozent aller Stimmen davongetragen. Diese und auch andere Beobachtungen meldeten wir natürlich sofort den zuständigen OSZE-Stellen.
Doch die von Russen und Kasachen dominierte OSZE-Wahlmission schloss wider Erwarten ihren Abschlussbericht damit, dass die Wahlen sämtlichen internationalen Standards entsprochen hätten. Ein Affront gegen alle, die ganz offensichtlichen Wahlbetrug aufgezeigt hatten.
Die britische Wahlbeobachterin und Europaparlamentarierin Emma Nicholson machte sich selbst zur Sprecherin all jener, die nicht an das Wunder vom 5. April glaubten, und kritisierte heftig den Ausgang der Wahlen. Aber auch die Bevölkerung ging auf die Straße, um gegen die Wahlmanipulationen zu protestieren. In der Endauszählung blieben die Kommunisten zwar die stärkste Partei, allerdings verfehlten sie die notwendige Mehrheit für die Wiederwahl des Staatspräsidenten. Aus diesem Grund wurden nur dreieinhalb Monate später Neuwahlen ausgeschrieben, die dann mit einem Sieg der geeinten Opposition endeten.

Filmtipp: Mama Illegal

Wer mehr über den harten Alltag in der Republik Moldau wissen möchte, sollte sich den soeben in den Kinos angelaufenen österreichischen Film „Mama Illegal“ ansehen.

Mehr Infos unter: www.aspr.ac.at/broschuere_dt.pdf

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor marcus.strohmeier@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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