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Gefährliche Elektrowahl Auch bei elektronischen Meinungsumfragen des Arbeitgebers/der Arbeitgeberin im Intranet werden die TeilnehmerInnen manchmal vom mulmigen Gefühl beschlichen: "Kann der/die ChefIn meine anonymen Antworten vielleicht doch zu mir zurückverfolgen?"....

Gefährliche Elektrowahl

Schwerpunkt

Eine Initiative der Gewerkschaft GPA-djp hebt die besonderen Stärken von Betriebsratskörperschaften hervor.

Betriebsratswahlen sind im Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) geregelt, und das stammt aus dem Jahr 1974. Es war ein Meilenstein der innerbetrieblichen Demokratie und Mitbestimmung der ArbeiterInnen und Angestellten. Neben dem Ausbau der Mitbestimmung, verbessertem Kündigungs- und Entlassungsschutz für ArbeitnehmervertreterInnen brachte es auch die Vertretung der Betriebsräte in den Aufsichtsräten.

Betriebsratswahlordnung

Die Betriebsratswahlordnung (BRWO), die ein Teil des ArbVG ist, ist detailliert, paragrafenreich und enthält Vorschriften über die Einberufung der Betriebsversammlung, die Wahl eines Wahlvorstands bis zum exakten Ablauf der Wahl. Auch eine Briefwahl ist vorgesehen, allerdings nur als Ausnahme für ArbeitnehmerInnen, die am Tag der Wahl nicht dort arbeiten, wo das Wahllokal eingerichtet ist.
Was hingegen gar nicht vorkommt, ist irgendeine Form der elektronischen Wahl, weder über Wahlcomputer noch über Internet bzw. Intranet. Obwohl das, besonders in Unternehmen, in denen ohnehin alle Beschäftigten am Computer arbeiten, den Wahlablauf vereinfachen könnte. In Firmen, in denen die ArbeitnehmerInnen auf viele Filialen verteilt, zu Hause oder unterwegs arbeiten, könnte diese Möglichkeit helfen, die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Dennoch gibt es zahlreiche Gründe, die nahelegen: Hände weg von vorschneller Einführung von E- und I-Voting.
Da wären zuerst einmal die allgemeinen Bedingungen, wie sie vor jeder elektronischen Wahl garantiert werden müssten: Dass alle die gleichen Möglichkeiten haben, an der Wahl teilzunehmen – also zum Beispiel auch unabhängig davon, ob sie sich einen Computer leisten können. Dass die Wahl geheim erfolgt – also so, dass bei der Stimmabgabe niemand zusehen  und im Nachhinein kontrollieren kann, wie jemand abgestimmt hat. Der/Die einzelne WählerIn soll hingegen überprüfen können, ob ihre Stimme korrekt gezählt wurde. Die Identität der WählerInnen muss ohne Zweifel überprüft werden. Es muss gesichert sein, dass jeder/jede nur einmal wählen kann. Die WahlhelferInnen dürfen keine Gelegenheit haben, anstatt jener Wahlberechtigten abzustimmen, die nicht an der Wahl teilgenommen haben. Die WählerInnen dürfen keine Möglichkeit haben nachzuweisen, wen sie gewählt haben – etwa durch Ausdruck einer Wahlbestätigung –, denn das würde dem Stimmenkauf Tür und Tor öffnen.
In Österreich beschränkt sich die Erfahrung mit E-Voting bisher auf die ÖH-Wahl 2009. Von Anfang an heftig umstritten und kritisiert, wurde die Wahl zwar elektronisch durchgeführt, die zugrundeliegende Verordnung aber 2011 vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben. Schon vor der Aufhebung wurde die folgende ÖH-Wahl jedoch wieder auf herkömmliche Weise bestritten. Das Höchstgericht stellte unter anderem fest, dass nicht präzise genug geregelt war, wie und mit welchen Mitteln sowie unter welchen Kriterien die Wahlkommission überprüfen kann, ob das System fehlerlos funktioniert hat.
Beim derzeitigen Stand der Technologie sei E-Voting schwer bis unmöglich durchzuführen. Wenn man eine elektronische Wahl durchführen wolle, müssten entsprechende Anforderungen erfüllt werden. „Das war nicht gegeben“, meinte damals VfGH-Präsident Gerhart Holzinger.

Esten wählen online

In Deutschland verfolgte die Bundesregierung bereits 2001 das Ziel, internet-basierte Volksvertretungswahlen einzuführen – bisher erfolglos. Betriebsratswahlen haben hingegen bereits online stattgefunden, etwa 2002 bei der Siemens-Tochter T-Systems, allerdings war dafür der Erlass einer „Erprobungsklausel“ notwendig, damit die Wahl auch rechtlich gültig war. In anderen Fällen wurden hingegen vereinsinterne Online-Wahlen gerichtlich untersagt. Mögliche Sicherheitslücken oder Systemabstürze könnten die Rechtmäßigkeit von Online-Wahlen gefährden, so das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg. Internationaler Vorreiter bei Online-Wahlen ist Estland. Dort wurden Wahlen über das Internet 2005 eingeführt, sowohl für nationale Parlamentswahlen als auch für Europawahlen.
Aber zurück zu den Betriebsratswahlen: Es gibt noch weitere Argumente, die dagegen sprechen, diese online durchzuführen.  Denn bei allgemeinen Wahlen in entwickelten Demokratien, in denen der Staat die Wahlen organisiert und die Technik zur Verfügung stellt, muss man davon ausgehen können, dass er prinzipiell daran interessiert ist, dass die Wahlen sauber und unverfälscht ablaufen. Das könnte sich bei Betriebsratswahlen anders gestalten: Hier hat der Wahlvorstand die Wahlen abzuhalten. Er wäre dazu aber wohl in den allermeisten Fällen auf die technische Infrastruktur (Computer, Intranet) des Arbeitgebers angewiesen – und der kann natürlich massives Interesse daran haben, den Wahlausgang zu beeinflussen. Entweder zugunsten einer bestimmten Wahlliste oder aber zulasten der Zahl der gültigen Stimmen. Auch zu wissen, wer wie gewählt hat, könnte für Vorgesetzte von Interesse sein.

Liest der Chef mit?

Derartig illegales Verhalten soll den ArbeitgeberInnen gar nicht unterstellt werden, aber allein, dass die ArbeitnehmerInnen bei der Stimmabgabe Zweifel überkommen könnten, ob nicht doch der/die ChefIn heimlich protokolliert, könnte die Wahlbeteiligung drücken und/oder das Wahlverhalten zugunsten arbeitgeberInnen-naher Listen beeinflussen. Zum Vergleich: Auch bei elektronischen Meinungsumfragen des Arbeitgebers/der Arbeitgeberin im Intranet werden die TeilnehmerInnen manchmal vom mulmigen Gefühl beschlichen: „Kann er/sie meine anonymen Antworten vielleicht doch zu mir zurückverfolgen?“, was zu verfälschten Ergebnissen führen kann. Wird von den Computern an den Arbeitsplätzen der Beschäftigten aus gewählt und nicht von speziell in einem Wahllokal aufgestellten Abstimmungscomputern, kann nicht garantiert werden, dass auch tatsächlich der/die wahlberechtigte ArbeitnehmerIn den entscheidenden Klick im Wahlprogramm abgegeben hat. Man stelle sich insbesondere Betriebe vor, wo nicht wie in Büros alle Beschäftigten über eigene Arbeitsplätze mit Internetanbindung verfügen. Zum Beispiel eine Filiale einer Handelskette: Ein Büro, ein Computer, bei dem dann alle VerkäuferInnen kurz vorbeischauen müssten, um zu wählen – oder von der Filialleitung dazu gerufen werden, Blick über die Schulter beim virtuellen Kreuzerlmachen inklusive.
Soweit absehbar, wird die Online-Betriebsratswahl nicht so bald österreichische Wirklichkeit werden. Heuer hat die Elektronik aber in anderer Form Einzug ins ArbVG gehalten: Betriebsratsbeschlüsse sind seit Mai prinzipiell auch als Umlaufbeschluss per E-Mail möglich, Betriebsversammlungen können auf elektronischem Weg einberufen werden und auch die Bekanntgabe von Betriebsratswahlergebnissen kann „durch eine sonstige geeignete schriftliche oder elektronische Mitteilung erfolgen“. Mit selbiger Novelle wurde übrigens auch entschieden, dass AusländerInnen (auch aus Nicht-EWR-Ländern) für den Betriebsrat kandidieren dürfen.

Forderungen des ÖGB

In der traurigen Realität sind es aber ohnehin nicht technische Schwierigkeiten, die so manche Betriebsratswahl erschweren oder gar unmöglich machen, sondern ArbeitgeberInnen, die Druck auf diejenigen Beschäftigten ausüben, die eine Betriebsratswahl initiieren wollen. Der ÖGB fordert, dass das Be- oder Verhindern von Betriebsratswahlen strafrechtlich geahndet wird.
Damit sich die UnternehmerInnen „unangenehmer“ MitarbeiterInnen nicht mehr so einfach entledigen können, muss daher der Kündigungsschutz ausgeweitet und verbessert werden, und zwar für Ersatzmitglieder des Betriebsrats und für alle, die sich aktiv an der Vorbereitung und Durchführung von Betriebsrats- und Personalvertretungswahlen beteiligen. Auch der Schutz ehemaliger Betriebsrätinnen und Betriebsräte sowie PersonalvertreterInnen vor Kündigung und Benachteiligung ist zu verbessern. Außerdem fordert der ÖGB in seinem Grundsatzprogramm, dass ArbeitnehmerInnen, die an einem Standort arbeiten, auch dann eine einheitliche Vertretung wählen können, wenn sie arbeitsrechtlich bei verschiedenen Unternehmen beschäftigt sind.

Alles über die Betriebsratswahl: www.betriebsraete.at
Wikipedia über Internetwahlen (Technik, Verschlüsselung, Beispiele):
de.wikipedia.org/wiki/Internetwahlen

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor florian.kraeftner@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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