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Keimzelle betrieblicher Demokratie Diese Kraft sprengt jede Hierarchie und ist leider oftmals chaotisch, unberechenbar und eine Bedrohung für Gewohnheitstiere und die derzeitigen MachthaberInnen.

Keimzelle betrieblicher Demokratie

Schwerpunkt

Eine Initiative der Gewerkschaft GPA-djp hebt die besonderen Stärken von Betriebsratskörperschaften hervor.

Seit mehr als einem halben Jahrhundert leben wir in einer repräsentativen Demokratie, und dennoch ist eine Vielzahl von Institutionen autokratisch geprägt. Dazu kommt, dass unser demokratisches System durch die zunehmende Macht der multinationalen Unternehmen immer mehr unter Druck gerät. Diese können einzelne Standorte gegeneinander ausspielen und (demokratisch legitimierte) politische Entscheidungen zu ihren Gunsten herbeiführen, denn sie verantworten sich gegenüber keiner konkreten, regional verorteten menschlichen Gemeinschaft.
Im Wirtschaftsleben gibt es nur wenige Organisationen, die wirklich demokratisch oder konsensual geführt werden. Die typischen privatrechtlichen Unternehmensformen – wie etwa die international bedeutsamen Aktiengesellschaften – sind in erster Linie ihren Shareholdern verpflichtet, während die ArbeitnehmerInnen als Produktionsfaktoren gelten. Demokratische Verhältnisse erleben die Beschäftigten daher im Betrieb in der Regel nicht.

Wichtige Aufgabe des Betriebsrats

Umso wichtiger ist die Aufgabe des Betriebsrates, die demokratischen Rechte der ArbeitnehmerInnen am Arbeitsplatz zu sichern. Die Arbeit des Betriebsrates hat allerdings eine demokratische Basis, und genau das hebt eine Initiative der GPA-djp als besondere Stärke hervor. Der Betriebsrat kann eine Keimzelle für mehr Demokratie im Betrieb werden, wenn die Demokratie wirklich gelebt wird. Davon geht die Initiative aus, die im Beirat für Arbeit und Technik entstanden ist, einem GPA-djp-Gremium, das sich mit neuen Entwicklungen in der Arbeitswelt auseinandersetzt.

Vision: Demokratiewerkstatt

„Durch das eigene demokratische Handeln übernehmen Betriebsrätinnen und Betriebsräte eine Vorbildrolle als ‚DemokratInnen im Betrieb‘ und vermeiden, sich gegenseitig in Machtspielen oder Fraktionskämpfen aufzureiben. Die demokratische Gestaltung der Arbeit wird zu einem wichtigen Anliegen des Betriebsrates, das unter demokratischer Einbeziehung möglichst vieler MitarbeiterInnen umgesetzt wird. Dabei werden MitarbeiterInnen zu ‚Mit-Betriebsrätinnen und -räten‘ und fördern eine demokratische Unternehmenskultur, in der offene Meinungsäußerung und Zivilcourage im Mittelpunkt stehen. Der Betriebsrat wird so zu einer demokratischen Keimzelle im Betrieb und versucht, die gesamte Organisation zu demokratisieren“ (Vision, in: Skript Der Betriebsrat als demokratische Keimzelle, GPA-djp, 2012).
Folgende Aktivitäten dienen dazu, dieser Vision näher zu kommen:
In einer Arbeitsgruppe von GPA-djp-Betriebsrätinnen und -Betriebsräten wurde eine Checkliste erarbeitet, die dabei unterstützt, die eigene Arbeitsweise im Hinblick auf die Qualität des eigenen demokratischen Handelns zu evaluieren. Dabei geht es in einem ersten Schritt darum, zu überprüfen, inwieweit der rechtliche Rahmen, den das Arbeitsverfassungsgesetz bietet, für eine demokratische Betriebsratsarbeit genutzt wird. Die Fragen beziehen sich auf die Betriebsratswahl, die Betriebsversammlung, die Kommunikation mit und Beteiligung der Belegschaft und die Arbeit mit dem Betriebsrat. Aufbauend auf dieser Standortbestimmung kann dann gezielt an der Demokratisierung der Betriebsratsarbeit weitergearbeitet werden.
Hinter der Initiative steht die Überzeugung, dass es eine Kraft in der Demokratie gibt, wenn sich die Betroffenen wirklich einbringen und mitentscheiden können. Diese Kraft sprengt jede Hierarchie und ist leider oftmals chaotisch, unberechenbar und eine Bedrohung für Gewohnheitstiere und die derzeitigen MachthaberInnen.
Damit die Kraft der Demokratie wirksam werden kann, braucht es ein ausgewogenes Verhältnis zwischen direkter und repräsentativer Demokratie. Eine ausschließlich repräsentative Demokratie ohne direktdemokratische Instrumente konzentriert die Macht in den Händen Weniger, was die Wahrscheinlichkeit von Korruption und Lobbyismus erhöht.

Werkzeuge und Ideen

Wie das konkret in der Betriebsratsarbeit aussehen kann, ist neuerdings Gegenstand des Seminars „Der Betriebsrat als demokratische Keimzelle“. Die Angebote reichen von Werkzeugen, um Einigkeit und konsensuale Entscheidungsfindung im Betriebsrat zu stärken, über hilfreiche Arbeitsstrukturen bis hin zu Ideen für gemeinsame Aktionen mit den MitarbeiterInnen.
Die SeminarteilnehmerInnen können neue Methoden für direktdemokratische Arbeitsweisen kennenlernen, zum Beispiel das Organisationsmodell der Soziokratie aus Holland, bei dem die Beschäftigten alle wesentlichen Entscheidungen im Team mitbestimmen und auch Personen (Delegierte, Führungspersonen) gewählt werden. Die Soziokratie kann in jeder Organisation angewendet werden, fördert ein kooperatives Miteinander und ist geeignet, Herrschaftshierarchien in Richtung funktionale Hierarchien zu verändern.

Entscheidungsfindung mit Konsent

Wesentlich für dieses Modell ist die Entscheidungsfindung mit Konsent und die dazugehörige Moderation, die zum Beispiel in Betriebsratsgremien oder Gesundheitszirkeln angewendet werden kann. Konsent bedeutet, keiner hat einen schwerwiegenden Einwand im Hinblick auf das gemeinsame Ziel. Liegt ein schwerwiegender Einwand vor, wird das Argument dahinter gehört und dann mit der bisherigen Lösung zu einem neuen Vorschlag vereint, der dann diesen Einwand inkludiert. Es gibt kein Veto, sondern eine Aufforderung zu mehr Gruppenkreativität, um eine Lösung zu finden, bei der das Argument im Mittelpunkt steht. Das führt dazu, dass es bei dieser Form der Entscheidungsfindung keine VerliererInnen gibt, die überstimmt werden. Vielmehr wird eine konstruktive Fehlerkultur gefördert. Voraussetzung ist ein hohes Maß an Transparenz beim Zugang zu den nötigen Informationen.

Soziokratische Moderation

Die soziokratische Moderation beginnt immer mit der bildformenden Runde, die der für die Meinungsbildung notwendigen Informationssammlung dient. Danach folgt die meinungsbildende Runde, bei der Ideen, Meinungen und Kriterien gesammelt werden und darauf aufbauend ein gemeinsamer Vorschlag erarbeitet wird. In der Konsent-Runde wird abgefragt, ob es schwerwiegende Einwände gibt, wenn nicht, kommt ein Beschluss zustande.
In der Soziokratie werden der/die ModeratorIn und auch die Führungskraft im Konsent gewählt. Prinzipiell kann jede Stellenbesetzung/Aufgabe so gewählt werden. Folgender Ablauf ist dafür vorgesehen: Erst wird die Funktion bzw. Aufgabe, die es zu besetzen gibt, definiert und ein Konsent zu der Funktionsbeschreibung inklusive der Amtsdauer und der Messkriterien für den Erfolg hergestellt. Danach macht jeder/jede einen Wahlvorschlag und begründet diesen in einer offenen Diskussion.
Die Vorteile dieser Wahlform sind Offenheit, gegenseitige Wertschätzung und Wahl aufgrund von Argumenten. Wie die Erfahrungen im Seminar zeigen, nimmt die Verantwortung jedes/jeder Einzelnen für das Gesamtergebnis schnell zu.
Die gewerkschaftliche Initiative „Demokratiewerkstatt Betriebsrat“ hat mit der zivilgesellschaftlichen Initiative für die Gemeinwohl-Ökonomie eine entscheidende Gemeinsamkeit: Beide Seiten wollen die demokratische Mitbestimmung im Unternehmen weiterentwickeln. Aus diesem gemeinsamen Ziel heraus hat sich eine neue Form der Kooperation entwickelt, in der das Know-how aus beiden Initiativen gebündelt und für die Betriebsratsarbeit genutzt wird.
In weiterer Folge sollen auch mögliche Spannungsfelder diskutiert werden. Dabei wird die Frage gestellt, inwieweit direktdemokratische Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnen und Betriebsratsarbeit (repräsentative Mitbestimmung) einander ergänzen können. Auch die Frage, welche Rolle Betriebsrätinnen und Betriebsräten in selbstverwalteten Betrieben haben können – in denen MitarbeiterInnen auch MiteigentümerInnen sind –, kommt hier auf die Tagesordnung.

Skript zum Seminar „Der Betriebsrat als demokratische Keimzelle. Für ein Erwachen der Demokratie im Unternehmen“, GPA-djp, 2012:
soziokratie.org/was-ist-soziokratie
www.gemeinwohl-oekonomie.org

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin eva.angerler@gpa-djp.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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