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Wir brauchen mehr Demokratie Nachdem wirklich kritische Berichterstattung laut dieser Theorie nicht möglich ist, bleiben die WählerInnen uninformiert. Sie wissen nicht, warum sie diese oder jene Partei wählen sollen.
Buchtipp

Wir brauchen mehr Demokratie

Schwerpunkt

Demokratie unter Kritik: "Sie ist lediglich ein Placebo für das Volk, in Wirklichkeit regieren Eliten im eigenen Interesse", so die provokante These.

Der griechische Dramatiker Euripides konfrontiert in seinem Werk „Hiketiden“ einen Herold aus Theben mit den Charakteristika der Demokratie Athens, nämlich Gleichheit vor dem Gesetz, Redefreiheit, gemeinsame Beratung und schriftlich festgehaltene, verbindliche Gesetze. Der Herold antwortet erstaunt: „... in der Stadt, die mich entsandte, wird die Herrschaft von einem Manne, nicht vom Pöbel ausgeübt; und keinen gibt es, der das Volk durch eitles Schwatzen – zum eigenen Vorteil nur! – bald hier, bald dorthin lenkt. (...) Und ein armer Bauersmann mag zwar nicht unvernünftig sein – im Drange seiner Arbeit kann er jedoch kaum den Blick auf das Gemeinwohl richten!“ (Zitiert aus „Demokratie“ von Hans Vorländer, Verlag C. H. Beck.)

Skepsis in der Antike

In der Antike war die Demokratie eine neue Errungenschaft, die durchaus auch bei philosophischen Schwergewichten auf beträchtliche Skepsis stieß. So meinte etwa Aristoteles, dass Demokratie als Volksherrschaft auch Pöbelherrschaft bedeuten könne. Sie sei damit lediglich eine andere Form der Tyrannei, nur dass sie eben nicht von einem Einzelnen, sondern von der Gesamtheit ausgeübt werde. Auch bei Platon ist von der Kritik am bildungsfernen Pöbel zu lesen. Nun ist das alte Griechenland natürlich kaum mit modernen demokratischen Systemen der Gegenwart zu vergleichen. In Athen wurden politische Entscheidungen in generellen Volksversammlungen („Ekklesia“) der männlichen Bürger getroffen, was natürlich nur in kleinen politischen Stadtstaaten praktikabel war. Die Ekklesia war das Machtzentrum, obwohl hier auch von „einfachen Menschen“ politische Reden gehalten wurden – von Matrosen, Handwerkern, kleinen Kaufleuten. Arm und Reich kamen zu Wort; Gebildete und Ungebildete. Man muss hinzufügen, dass in der Praxis nicht die gesamte Bevölkerung (zur Blütezeit der Demokratie in Athen 30.000 bis 35.000 EinwohnerInnen) an den Volksversammlungen teilnahm. Verschiedenen Aufzeichnungen zufolge waren in der Ekklesia im Schnitt rund 6.000 Menschen anwesend. In Staaten mit mehreren, sogar hunderten Millionen EinwohnerInnen lässt sich dieses Konzept der direkten Demokratie logischerweise nicht umsetzen.

Heute werden demokratische Länder bekanntlich vom indirekten Wahlsystem gekennzeichnet: Die BürgerInnen entscheiden sich für politische RepräsentantInnen, die das Regieren übernehmen. Ein Kritikpunkt allerdings, der sich vom Altertum in die Gegenwart gerettet hat, ist die von Aristoteles, Platon und anderen thematisierte mangelnde politische Bildung der BürgerInnen. So sprachen die Vertreter der linksgerichteten Frankfurter Schule von der uninformierten – genauer gesagt desinformierten – Masse. Die Kritische Theorie der Frankfurter Schule erfreute sich besonders in den unruhigen 1960er-Jahren im studentischen und generell intellektuellen Niveau großer Beliebtheit und war vor allem durch ihre scharfe Kapitalismuskritik gekennzeichnet. Die „jungen Wilden“ gingen davon aus, dass Massenmedien von der Finanzelite gelenkt oder – zumindest im Sinne des vorauseilenden Gehorsams – zu deren Erfüllungsgehilfen würden. Klassische Massenmedien wie TV, Print oder Radio stünden demnach im Dienste des sogenannten „power-blocs“, ein Begriff, der vom Medienwissenschafter John Fiske ins Leben gerufen wurde.

Zur Erklärung: Der „power-bloc“ (zu Deutsch in etwa: Machtblock, Machteinheit) ist laut Fiske eine Allianz der gesellschaftsdominierenden Kräfte wie der Regierung, politischer Institutionen und Parteien allgemein, der Wirtschaft und Finanzindustrie, des Justiz-, aber auch Erziehungssystems und nicht zuletzt der Massenmedien. Trotz der formal relativen Unabhängigkeit dieser Kräfte verbinden sie doch die gleichen Interessen. Diese liegen in der Erhaltung des Status quo, nämlich der Machtausübung mit allen damit verbundenen Privilegien. Daraus ergibt sich Fiske zufolge ein beunruhigender Schluss: Auch wenn Medien die Regierungen, einzelne PolitikerInnen und Parteien kritisieren, so geschieht das immer nur zu konkreten Anlässen, bei diversen Skandalen und Skandälchen. Es handelt sich somit um punktuelle und zeitlich begrenzte Kritik, nie wird aber die Legitimation des „power-bloc“ als solche, nie das bestehende System als Ganzes infrage gestellt. Fiske versteht somit den „power-bloc“ als informelle Interessengemeinschaft, die systemkonservierend wirkt, ebenso wie die Massenpresse als aktiver Teil dieser Gemeinschaft: Während sich die Presse noch im 19. Jahrhundert durch Parteilichkeit im positiven Wortsinn auszeichnete, indem sie die Anliegen verschiedener Bevölkerungsteile vertrat und somit ein Forum öffentlicher Diskussion darstellte, gelang es laut Fiske dem „power-bloc“ im 20. Jahrhundert, die Medien nach und nach unter Kontrolle zu bringen. Nachdem wirklich kritische Berichterstattung laut dieser Theorie nicht möglich ist, bleiben die WählerInnen uninformiert. Sie wissen nicht, warum sie diese oder jene Partei wählen sollen – im medialen Getöse erscheinen alle Möglichkeiten gleichwertig, um nicht zu sagen: gleich schlecht. So wird letztlich nach persönlicher Sympathie entschieden oder gar nicht zur Wahlurne gegangen. Nach dem altbekannten Motto: „Ist ja egal, wo ich mein Kreuzerl mache, es ändert sich ja doch nichts und ,die da oben‘ werden es sich ja sowieso immer richten.“

Elitenherrschaft

Wie bei Platon und Aristoteles ist der Ausgangspunkt der Demokratiekritik der Frankfurter Schule oder Fiskes also der/die nicht ausreichend informierte bzw. politisch ungebildete BürgerIn. Nur dass die antiken Denker eine Pöbelherrschaft, die KritikerInnen der Moderne das Diktat der Eliten fürchten. Vor allem der Finanz-Eliten. Der Politikwissenschafter Colin Crouch spricht in diesem Zusammenhang in seinem gleichnamigen Buch von Tendenzen zur „Postdemokratie“. Crouch zeichnet damit die dunkle Vision eines politischen Systems, dessen demokratische Institutionen zwar weiterhin existieren (boshaft ausgedrückt: vegetieren), das von BürgerInnen und PolitikerInnen aber nicht mehr mit Leben gefüllt wird. Der/Die BürgerIn bzw. WählerIn ist in diesem Szenario vor allem desinteressiert und desillusioniert. Zur Revolte reicht die Kraft scheinbar nicht aus – Nutznießer ist ein außer Rand und Band geratener „Manchester-Kapitalismus reloaded“. Auf der Strecke bleiben hingegen Solidarität, Sozialstaat und Selbstbestimmung.

Verkommen demokratische Wahlen somit tatsächlich zu Alibi-Handlungen, während das politische Geschehen unberührt, von einigen wenigen Mächtigen gesteuert bleibt, die in die eigene Tasche wirtschaften? Selbst an dieser kritischen Sicht darf Kritik geäußert werden. „Auch in der Hochblüte der Frankfurter Schule gab es für den/die BürgerIn die Möglichkeit sich umfassend und objektiv zu informieren. Diese Möglichkeiten sind heute im Zeitalter des Internets noch vielfältiger geworden“, meint Dr. Hannes Wimmer, Dozent an der Uni Wien. Der Politikwissenschafter hat sich im Laufe seiner langjährigen akademischen Laufbahn intensiv mit der Theorie politischer Systeme und Demokratietheorie beschäftigt. Wimmer sieht das Problem nicht in einem Informationsmangel, sondern im Gegenteil in einem Informationsüberschuss: „Die entscheidende Frage lautet also: Wie bekommen die BürgerInnen die Info-Flut in den Griff?“ Dass hierbei ein möglichst hohes Bildungsniveau der Bevölkerung eine wesentliche Rolle spielt, liegt auf der Hand. Aber auch den Medien selbst würde eine Anhebung des Niveaus mancherorts nicht schaden. Als nicht gerade förderlich für die politische Kultur in Österreich sieht Wimmer zunehmende Boulevardisierungstendenzen und die starke Konzentration in der heimischen Medienszene, wobei die hohen Marktanteile der Kronen Zeitung mit ihrem ausgeprägten Kampagnenjournalismus ein Spezifikum der österreichischen Presselandschaft darstellen. Schließen wir mit einem Zitat von Crouch: „Die Demokratie kann nur dann gedeihen, wenn die Masse der normalen Bürger wirklich die Gelegenheit hat, sich durch Diskussionen und im Rahmen unabhängiger Organisationen aktiv an der Gestaltung des öffentlichen Lebens zu beteiligen.“ Wir brauchen also nicht weniger, sondern mehr Demokratie.

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor haraldkolerus@yahoo.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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