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Mein Steckenpferd ist das Streikrecht und mein großes Ziel ist, dass es eine eigene Gerichtszuständigkeit gibt, dort, wo ein Streik stattgefunden hat. Das ist nämlich derzeit nicht so und die Arbeitgeber können ausweichen. Mein Steckenpferd ist das Streikrecht und mein großes Ziel ist, dass es eine eigene Gerichtszuständigkeit gibt, dort, wo ein Streik stattgefunden hat. Das ist nämlich derzeit nicht so und die Arbeitgeber können ausweichen.

"Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen hat Priorität"

Interview

Europaparlamentarierin Evelyn Regner über die EU und die Generationen.

Arbeit&Wirtschaft: Als du 2009 für das Europaparlament kandidiert hast, haben wir mit BetriebsrätInnen ein Interview mit dir gemacht. Ein Zitat daraus: „Ich bin sehr daran interessiert, Europa zu den Menschen zu bringen, aber dafür braucht es auf der anderen Seite eben auch eine entsprechende Offenheit.“ Bist du in den letzten drei Jahren dieser Offenheit begegnet?

Evelyn Regner: Sehr wohl – Offenheit bedeutet, so meine Erfahrung, dass es schon wahnsinnig viele Menschen gibt, nicht nur im BetriebsrätInnen- und Gewerkschaftsumfeld, sondern ganz generell: SchülerInnen, junge Menschen, Studierende, Jugendliche in Ausbildung, die sehr interessiert sind, wie das europäische Parlament, wie Europa funktioniert. Ist es ein Moloch oder können sie sich einbringen? Das merke ich vor allem auch, wenn ich in Österreich unterwegs bin. Ich bin sehr oft in den Bundesländern, auch in unterschiedlichen Milieus unterwegs, in Betrieben, in Gesundheitsberufen, im Tourismus, in der Fertigung, aber auch sehr viel in Schulen und an den Universitäten. Ich versuche hier viele Kontakte zu pflegen.
Mein Eindruck ist, dass die Skepsis gegenüber der EU schon sehr groß ist, allem gegenüber, was einem nicht gefällt und nicht ganz nah ist. Wenn man darauf dann im Gespräch eingeht, werden meist alle EuropäerInnen. Was ich wirklich merke ist Leidenschaft. Und zwar ab dem Moment, wo man um die Themen nicht mehr herumredet, sondern sie anschneidet, wie Griechenland oder Spanien und die Situation der Menschen dort, die Migration, ACTA, Arbeitslosigkeit usw.
Diejenigen, die sich heute politische Diskussionen geben über die Finanzkrise und was wir nun machen können, auch ökologische Themen – das hängt ja alles zusammen –, das sind wirklich tolle junge Menschen.
Neben der Spaßgesellschaft gibt es genug, die sagen: Das ist auch meine Welt und ich will etwas beitragen, viel mehr, als man glaubt.

Wie geht es dir mit dem Misstrauen vieler ÖsterreicherInnen gegenüber allem, was aus Brüssel kommt? 

Positiv ist: Im Europäischen Parlament kannst du wirklich etwas bewirken. Auch wenn ich nur eine von 754 Abgeordneten bin und nicht zaubern kann, sitzen wir an der Quelle der Entscheidungen und können richtig mitmischen. Das ist ein tolles und sehr konstruktives Gefühl. Natürlich gibt es auch schwierige Situationen. Wir Österreicher haben z. B. „Lobbyist“ Ernst Strasser und den Fraktionslosen Hans-Peter Martin. Aber viele von uns sind absolut daran interessiert, etwas weiterzubringen und zusammenzuarbeiten. Für mich sind Ulrike Lunacek von den Grünen oder Othmar Karas von der ÖVP keine Feinde. Das Ziel auch bei anderen Fraktionen ist es ja, gute Lösungen für Österreich, für uns alle zu finden. Und das ist natürlich schwierig, wenn so viele daran beteiligt sind. Die Bauern wollen etwas anderes als die Beschäftigten und die Italiener was anderes als wir.
Im Europäischen Parlament ist der Geist, etwas konstruktiv bewegen zu wollen, sehr stark. Aber das Interesse der meisten Regierungen als solche – da haben wir die Strafverschärfung mit den ganzen Arbeitnehmerfeindlichen, Neoliberalen, Konservativen – ist: Nur nichts ändern! Man kann aber nicht Europa voranbringen, ohne etwas zu ändern.

Tendenzen in der EU deuten auf immer stärkere Beschneidung von ArbeitnehmerInnenrechten und Flächen-KVs hin – welche Chancen und Rechte haben wir als ArbeitnehmerInnenvertretungen?

Im Vertrag von Lissabon steht vieles –nicht alles – was gut und billig und recht und im Sinne der ArbeitnehmerInnen ist. Wir haben die Verankerung der sozialen Marktwirtschaft. Wir haben das Vollbeschäftigungsziel. Wir haben Freiheit, Gleichheit, Solidarität. Wir haben einen Katalog, auch Grundsätzekatalog, der bemerkenswert ist. Das ist die Grundlage, auf der die EU funktionieren sollte.
Wir haben dann als zweites runtergebrochen die EU-2020-Strategie mit Armutsbekämpfung, einer hohen Beschäftigungsquote – mit guten und schönen Zielen.
Und jetzt die Wirklichkeit: Wir haben auf der anderen Seite einen verstärkten Stabilitäts- und Wachstumspakt und all das, was auf der Ebene der Regierungschefs passiert. Das heißt, wir haben den Fokus immer nur auf eins gerichtet und halten uns nicht an das andere. Und die Botschaft ist die: Mit dem politischen richtigen Wollen und entsprechendem Anpacken könnten wir sehr wohl vieles ganz anders gestalten, zum Beispiel in Ausbildung investieren.
Zu den Arbeitnehmerrechten: Die rechtliche Grundlage ist da. Das, was aber passiert, ist relativ wenig. Ich bin im Beschäftigungs- und Sozialausschuss, mache viel im Rechtsausschuss, bin im konstitutionellen Ausschuss. Ich sehe an gesetzgeberischen Initiativen für die Arbeitnehmerrechte herzlich wenig. Es ist ab und zu mal etwas zum Arbeitnehmerschutz auf der Tagesordnung, was gut und richtig ist. Bei den Arbeitnehmerrechten passiert wenig, was Fortschritt bedeuten würde. Wir sind viel zu sehr mit der Abwehr von Einschränkungen beschäftigt.
Mein Steckenpferd ist das Streikrecht und mein großes Ziel ist, dass es eine eigene Gerichtszuständigkeit gibt, dort, wo ein Streik stattgefunden hat. Das ist nämlich derzeit nicht so und die Arbeitgeber können ausweichen. Dafür zu kämpfen, die Gerichtsstände so zu schaffen, dass dort, wo gestreikt wird, wo die ArbeitnehmerInnen ausgebeutet werden, auch verhandelt wird – das ist das große Ziel. Damit steht und fällt alles. Daran arbeite ich sehr intensiv und wir haben auch schon einiges weitergebracht.

Unser Schwerpunktthema ist Europa der Generationen. Wo siehst du hier die Knackpunkte?

Ich versuche, aus den vielen Punkten zwei, drei herauszugreifen: Die Jugendarbeitslosigkeit soll und muss bekämpft werden – das hat absolute Priorität. Das hat der Europäische Rat auch erkannt und da muss Geld fließen. Es muss so etwas wie eine europäische Jugendgarantie geben. Jetzt geht es darum, dass wir schauen, wie stark die ausgeprägt ist.
Am klügsten wäre eine Garantie auf europäischer Ebene, heruntergebrochen auf die Nationalstaaten, die ja sehr unterschiedliche Ausbildungssysteme haben. Es ist ganz wichtig, wie bei uns in Österreich den jungen Menschen eine Art Sicherheit, eine Art Garantie zu geben, dass sie beim Einstieg ins Berufsleben nicht von der Hand in den Mund leben müssen. Das ist ja die Basis für all die atypischen Beschäftigungsverhältnisse. Und da muss auch der Staat eingreifen, darum ist es so wichtig, dass auf europäischer Ebene der Staat wieder eine größere Rolle spielt. Wir brauchen eine starke Sozialpartnerschaft. Wir brauchen starke Institutionen und daran muss auch die EU mit ihren Institutionen arbeiten. Diese Garantie für die Jugend muss verankert werden.
Zweitens arbeiten wir im EU-Parlament an einer Art „Statut für die Rechte von PraktikantInnen“. Da muss man sehr vorsichtig sein mit der Definition. Es soll auf keinen Fall eine Art Arbeitsrecht zweiter Klasse werden, sondern es geht darum, arbeitsrechtliche Eckpfeiler festzulegen, die auf alle Fälle erfüllt werden müssen. Es geht um mehr Schutz und nicht um das Einzementieren einer Unart, die existiert. Es geht um Arbeitszeit, Sozialversicherung usw. Da arbeiten wir sehr intensiv daran, da sind viele junge Leute dabei und vor allem jüngere Abgeordnete.
Das dritte sind die Generationen als solche: Es ist offenbar sehr lukrativ, in Salamitaktik einen Generationenkonflikt zu erzeugen. Junge Leute und ältere und mittlere tun gut daran, sich nicht darauf einzulassen. Da verdienen wieder einmal einige sehr, sehr gut daran. Vor allem diejenigen, die schon seit Jahrzehnten insbesondere die 3., aber auch die 2. Säule in der Pension propagieren.
Alles, was mit dem Pensions- und Sozialversicherungssystem zusammenhängt, ist ja national. Aber Koordination und Absprache finden trotzdem auf europäischer Ebene statt; die 1. Säule der Pensionen ist ein großer Posten bei den Budgets. Da kommt dann immer das europäische Rohrstaberl: Schauts, dass eure Budgets in Ordnung bleiben. Die Komission geht leider in die falsche Richtung. Sie beharrt in ihren politischen Schlussfolgerungen darauf, dass in die 2. und 3. Säule investiert werden soll – gegen jede Logik. In der Analyse sieht die Komission allerdings das Problem: Man kann nicht sagen, hier sind die Arbeitenden und da die PensionistInnen, sondern man muss zwischen Erwerbstätigen und Nicht-Erwerbstätigen unterscheiden. Da ist es eben wichtig, jene Menschen mit Förderungen zu ermuntern, die zwar arbeitsfähig, aber nicht erwerbstätig sind. Damit meine ich: Bedingungen, die für Ältere notwendig sind, um länger arbeiten zu können, Stichwort Gesundheit; Prävention; Integration von Behinderten; Kinderbetreuungsplätze, Rahmenbedingungen, um Familie und Beruf zu vereinbaren. Das allerwichtigste ist aber: Man muss in Jobs investieren, die wachsen auch nicht auf den Bäumen.
Jetzt ist es notwendig, die Wirtschaft anzukurbeln. Das haben mittlerweile alle erkannt. Die USA praktizieren das ja auch. Dazu brauchen wir Innovation und es gibt viel, wo Europa zusammenhalten muss, um Europa voranzubringen.

Vor zwanzig Jahren, als wir beide in unseren Zwanzigern waren, war das ein ganz anderes Europa – wo siehst du die Änderungen für junge Menschen heute in der EU?

Ich habe sehr viel mit jungen Menschen zu tun, viele bewerben sich und ich bin viel unterwegs. Mein Eindruck ist, dass Europa selbstverständlich ist. Es ist etwas, was man nicht infrage stellt. Die EU selbst ist zwar nicht das Gelbe vom Ei, aber es ist absolut selbstverständlich, woanders in Europa zu leben, nicht nur in den Urlaub hinzureisen. Auch, dass andere herkommen. Es ist einfach unendlich viel durchlässiger.
Auf der anderen Seite sind schon sehr viele, die es gerne so hätten, wie es war, als wir jung waren. Dass man zu Hause bleibt, bleiben kann, einen Job findet und alles ist gemütlich. Das, was uns zu wenig offen war, ist vielen jungen Menschen heutzutage – durchaus berechtigt – zu wenig sicher. Nur dann, wenn du einigermaßen soziale Sicherheit um dich herum hast, kannst du mutig sein und raus gehen. Und wieder sind wir beim Grundbedarf: Investitionen in Energiewende, in den Technologiebereich. Wie sagte man in unserer Jugend: Lernst was, kannst was. Kannst was, wirst was. Wirst was, hast was. Das muss auch heute noch zutreffen.

Und wo siehst du uns in 20 Jahren, mit Mitte 60?

Da gehen wir wohl gerade in Pension, wenn wir gesund sind. Dann wird das Frauen- und Männerpensionsalter in Europa gleich sein. Das ist aber kein Horrorszenario, es kommt darauf an, wie man in Pension geht – wenn man einigermaßen gesund ist und einen die Arbeit freut.

Bauarbeiter oder Verkäuferin werden vielleicht auch dann nicht so lange durchhalten ...

Die Arbeitswelt und Berufsbilder verändern sich – die Frage ist, ob es uns gelingt, die Verteilung der interessanten Arbeit entsprechend vorzunehmen. Die Produktivität ist ja was Positives, es geht auch um die Verteilung der interessanten Jobs und auch dazu brauchen wir Gewerkschaften.
Zu Europa: Es ist sehr einfach, Dinge kaputt zu machen und kaputtzureden, etwas aufzubauen ist sehr langwierig, vor allem, wenn es wie in der EU große Unterschiede gibt. Ich bin überzeugt davon, dass wir in Europa mehr Gas geben sollten. Ich sehe uns in 20 Jahren noch immer in der EU, die sich ändern wird. Ich sehe nicht die Vereinigten Staaten von Europa. Eine echte Währungs-, eine echte Fiskalunion ist eine Vision, auf die wir hinarbeiten können. Ich sehe uns mit mehr Integration enger zusammenarbeiten.

Werden wir Pensionen bekommen?

Ich glaube, wirtschaftlich wird es uns nicht schlechter gehen, ökologisch müssen wir aufpassen, das hat ja Wirkung auf die Jobs. Ich sehe auch die Gefahr, dass wir uns viel zu viel gefallen lassen. Wichtig ist, nicht nur zu grummeln und zu jammern, sondern sich selbst eigenverantwortlich zu engagieren. Ich möchte nicht als Politikerin Verantwortung abschieben, aber wenn Menschen Verbesserungen für ihr Leben wollen, müssen sie sich engagieren. Das tun die meisten zu theoretisch und zu wenig praktisch.

Und wie?

Zum Beispiel in einer Partei oder der Gewerkschaft. Das wird immer unterschätzt. Ich weiß das aus dem EU-Parlament: Je mehr Mitglieder eine Gewerkschaft hat, desto ernster wird sie genommen. Die Abgeordneten hören den Gewerkschaften zu. Die öffentliche Meinung ist wichtig, das wird unterschätzt.

Was sind deine nächsten politischen Ziele?

Das Riesenziel sind Jobs, und dass wir in Europa gemeinsam die Kurve kratzen. Nur dann, wenn die europäischen Länder zusammenhalten – so wie Wien zu Kärnten hält –, profitieren wir alle, die Menschen in Griechenland wie die in Österreich. Gleichzeitig müssen wir gemeinsam dem Finanzmarkt die Stirn bieten, indem wir mit wesentlich größerem Tempo nicht nur die Bankenunion, sondern auch eine wesentlich strengere Marktregulierung mit allem was dazugehört auf die Reihe kriegen. Das sind zwei Riesenthemen. So geht es gleich im September weiter.

Dafür Glück auf.

Seit Anfang September leitet Evelyn Regner den EU-Ausschuss gegen Korruption.
Das Interview führte Katharina Klee für Arbeit&Wirtschaft.

Zur Person
Mag.a Evelyn Regner
Geboren am 24. Jänner 1966 in Wien

Gymnasium mit Matura
Studium der Rechtswissenschaften
1994–1995 Gerichtsjahr
1996 Forschungsstipendium in Paris und Genf
1992–1993 Flüchtlingsberaterin bei Amnesty International
1996–1999 Mitarbeiterin im sozialpolitischen Referat des ÖGB
1999–2008 Leiterin des ÖGB-Europabüros in Brüssel
Jänner–Juli 2009: Leiterin der Stabsstelle EU und Internationales im ÖGB
Mitglied des EWSA (Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss)
Mitglied des EGB-Vorstandes (Europäischer Gewerkschaftsbund)
Mitglied des Ausschusses Sozialer Dialog
Vorstandstätigkeit im IGB (Internationaler Gewerkschaftsbund)
Präsidiumsmitglied im TUAC (Gewerkschaftlicher Beratungsausschuss bei der OECD) in Paris
Seit 14. Juli 2009: Abgeordnete zum Europäischen Parlament, Stv. Delegationsleiterin
Mitglied des ÖGB-Vorstandes
Mitglied des ÖGB-Bundesvorstandes
Mitglied des FSG-Präsidiums
Mitglied des FSG-Bundesfraktionsvorstandes



Mehr Infos unter:

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www.evelyn-regner.at
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