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Der Euro und die Lohnpolitik Im 14. Jahr ihres Bestandes präsentiert sich die Währungsunion 2012 als höchst instabil, wie die Finanzmarktkrise 2008/09 schonungslos offengelegt hat.

Der Euro und die Lohnpolitik

Aus AK und Gewerkschaften

Vorstöße zum Untergraben des österreichischen KV-Verhandlungssystems, wie unlängst von der Metallindustrie unternommen, schaden der Wirtschaft.

Vor Kurzem wurde von Unternehmerseite ein Vorstoß unternommen, das etablierte KV-Verhandlungssystem, ein zentrales Element der Wirtschaftspolitik in Österreich, infrage zu stellen. Die Maschinen- und Metallwarenindustrie forderte gesonderte  KV-Verhandlungen mit der Gewerkschaft Pro-Ge, also ein Ausscheiden aus der gemeinsamen Metalllohnrunde, die Schrittmacherfunktion für die Lohn- und Einkommensentwicklung in der gesamten Wirtschaft hat.

Austro-Keynesianismus

Österreich ist seit 1995 EU-Mitglied und zählt zum harten Kern der heute 17 der 27 Mitgliedsstaaten umfassenden Währungsunion. Die Erfolgsstory der österreichischen Performance in der EU ist auch Ergebnis einer wirtschaftspolitischen Orientierung, für die sich Österreich in den 1970er-Jahren entschieden hat: den „Austro-Keynesianismus“.
Dieser kombiniert eine expansive gesamtwirtschaftliche Vollbeschäftigungspolitik, insbesondere eine antizyklische Budgetpolitik mit einer Hartwährungspolitik, die Währungsabwertung nicht zur Wiederherstellung und Verbesserung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit der Exporte einsetzt. Notwendige Ergänzung war eine Lohn- und Einkommenspolitik in Form der „produktivitätsorientierten Lohnpolitik“. Eine mittelfristig der gesamtwirtschaftlichen Produktivitätszunahme entsprechende Reallohnerhöhung sichert die internationale Wettbewerbsfähigkeit, gemessen an der Entwicklung der Lohnstückkosten im Verhältnis zu den Handelspartnern, und eine ausgeglichene  Leistungsbilanz. Gleichzeitig verhindert die Hartwährungspolitik eine Verwässerung der Lohnabschlüsse durch Inflationsimport. Somit war paralleles Wachstum von Konsumnachfrage und Produktion möglich. Erfahrungen haben gezeigt, dass diese Form der Nominallohnmoderation möglich ist, wenn die Sozialpartner relativ umfassend an den wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidungen mitwirken können.
In den 1980er-Jahren wurde Österreichs Wirtschaftspolitik bestätigt. Die Arbeitslosenrate ist seither angestiegen, liegt aber weit unter EU-Durchschnitt. Bis Mitte der 1990er-Jahre zeigte sich eine klare Überlegenheit des österreichischen Wegs gegenüber anderen Ländern, in denen es üblich geworden war, bei übermäßigem Leistungsbilanzdefizit eine Korrektur durch Abwertung der Währung zu bewirken. 

Euro als Hartwährung konzipiert

Als Österreich 1989 den Beitritt zur EU beantragte, war der Euro bereits als „Hartwährung“ mit hoher Preisstabilität konzipiert, die die Europäische Zentralbank später mit der Inflationsrate nahe, aber unter zwei Prozent festlegte. Eine gemeinsame Währung für Staaten mit großen Unterschieden in Inflationsentwicklung, Fiskalpolitik, in den Lohnverhandlungssystemen bedeutete ein Wagnis. Allgemein überwog aber Optimismus, dass sich die Konvergenz in den wesentlichen Bereichen der Wirtschaftspolitik zu einem Modell der Hartwährungspolitik fortsetzen würde, d. h. eine Lohnentwicklung entsprechend der jeweiligen nationalen gesamtwirtschaftlichen  Produktivitätssteigerung (BIP pro Erwerbstätigem) plus Zielinflation, plus Fiskalpolitik entsprechend den Maastricht-Regeln.

Voreiliger Optimismus

Dieser Optimismus war voreilig. Im 14. Jahr ihres Bestandes präsentiert sich die Währungsunion 2012 als höchst instabil, wie die Finanzmarktkrise 2008/09 schonungslos offengelegt hat. Die verschiedenen Auffassungen der Mitgliedsländer, wie die Verschuldung der Staatshaushalte bewältigt werden soll, bergen politischen Sprengstoff für die EU. Im günstigen Fall haben wir uns auf mehrere Jahre des Fortwurstelns und des wiederkehrenden Krisenmanagements einzustellen, wobei am Ende vielleicht nicht mehr alle derzeitigen 17 Mitglieder dabei sein werden. Vergleicht man die Performance der wichtigsten Indikatoren der Wirtschaftspolitik seit Beginn der Währungsunion mit jener im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts (1972–1999), hat sich praktisch nichts geändert: Die Hartwährungsländer von damals (Deutschland, Niederlande, Österreich, „Gruppe 1“) haben 2012 die stärkste Position, die früheren Abwertungsländer (Spanien, Italien, Portugal „Gruppe 2“) leiden am stärksten unter der Krise. Dazwischen liegen wie damals Frankreich und Belgien. Dass Österreich heute zur Gruppe der erfolgreichen Länder zählt, ist maßgeblich auch der Fortsetzung der Wirtschaftspolitik seit den 1970er-Jahren zu verdanken. Und doch rütteln gewisse Unternehmerkreise an den Grundlagen dieser Lohn- und Einkommenspolitik. Würde die Maschinen- und Metallwarenindustrie ihre Ankündigung wahrmachen, aus der gemeinsamen Metalllohnrunde ausscheiden und die KV-Verhandlungen mit der Gewerkschaft Pro-Ge für ihre Branche gesondert führen, würde das dem System der Lohnverhandlungen Schaden zufügen und die gesamtwirtschaftliche Orientierung der Lohnpolitik erschweren.     
Die Lehren, die für eine Bewältigung der Krise des Euroraums gezogen werden müssen, betreffen nicht nur die Länder der Gruppe 2. Die Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit in den Ländern mit großen Ungleichgewichten in der Leistungsbilanz – ohne die Möglichkeit einer Währungsabwertung – und der Abbau der Budgetdefizite bei hoher Neuverschuldung bzw. bei hohem Schuldenstand sind Bedingung für die Krisenbewältigung. Aber auch die Länder der Gruppe 1 sind in einem wesentlichen Punkt von jener wirtschaftspolitischen Konzeption abgewichen, die die gemeinsame Grundlage der Währungsunion bilden sollte: von der produktivitätsorientierten Lohnpolitik.  
Wenn als Bedingung für ein Funktionieren der Währungsunion die Einhaltung (im mittelfristigen Durchschnitt) der Lohnbildungsregel Produktivität plus Zielinflation gilt, darf dieser Wert in den einzelnen Ländern weder überschritten noch unterschritten werden – sonst entstehen Ungleichgewichte.

Schwäche der Binnennachfrage

Seit 1999 ist die Verschiebung der relativen Wettbewerbspositionen zwischen den Ländern der Währungsunion nur in Ausnahmefällen wie Griechenland auf Überschreiten des Produktivitätsspielraums durch die Lohnerhöhungen zurückzuführen. Frankreich hat sich an die Regel gehalten, in Deutschland, Österreich und in den Niederlanden blieb die Lohnentwicklung überdurchschnittlich stark hinter der Produktivitätszunahme zurück. Damit konnten diese Länder mit ihren Exporten Marktanteile in anderen EU-Ländern gewinnen, was dort eine wesentliche Ursache der Zunahme der Leistungsbilanzdefizite war.
Schwerwiegender ist die anhaltende Schwäche der Binnennachfrage in der EU. Dadurch blieben die Konjunkturaufschwünge schwach; das reale Wachstum dümpelte im Durchschnitt der Jahre 1999 bis 2011 mit nur 1,4 Prozent pro Jahr deutlich unter dem Potenzial dahin. Die schwachen Lohnentwicklungen haben die Binnennachfrage und damit das Wachstum unterschiedlich gedämpft, am meisten die Lohnmoderation in Deutschland. Dort gab es 1999 bis 2010 fast gar keine Reallohnerhöhung (0,2 Prozent/Jahr), wobei die Produktivität zwar schwach, aber immerhin mit durchschnittlich 0,7 Prozent/Jahr, also um 0,5 Prozent stärker zunahm. Innerhalb von elf Jahren blieben die Löhne dadurch kumuliert um 5,5 Prozentpunkte hinter der Produktivitätszunahme zurück.

Ein Weg: Reallohnerhöhungen

Europa sucht einen Ausweg aus der Krise. Expansive Impulse sind in makroökonomischer Sicht nur begrenzt vom Staatssektor zu erwarten. Die Staaten haben ihren Handlungsspielraum im Wesentlichen in der großen Rezession 2009 ausgeschöpft. Es gibt aber einen Weg, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu erhöhen: Reallohnerhöhungen, die dem Produktivitätsspielraum entsprechen. Es geht nur darum, dass die Regel, die sich Europa zu Beginn der Währungsunion gegeben hat, auch einzuhalten ist. Das erfordert von den ArbeitnehmerInnen keine Verzichte, sondern im Gegenteil, bringt ihnen wieder steigende Realeinkommen.

Internet:
Homepage Günther Chaloupek:
www.chaloupek.eu

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