topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Spiel-Geld Der Homo oeconomicus ist eine Fiktion der Wirtschaftstheorie.
Buchtipp

Spiel-Geld

Schwerpunkt

Die Börse wird oft mit einem Casino verglichen, doch die SpekulantInnen wehren sich gegen den Vorwurf des Glücksspiels.

Es ist genau wie beim Roulettespiel im Kasino: Gewinnen kann man, verlieren muss man.“ Was der Börsenspezialist und -guru André Kostolany in seinem „Börsenseminar“ niederschrieb, sollten sich viele BörsenspekulantInnen hinter die Ohren schreiben. Den Verlust in Kauf zu nehmen ist täglich Brot jeder Spielerin bzw. jedes Spielers, bei der Börse soll das angeblich anders sein, immerhin geht es dort darum, durch geschicktes Agieren, Ausnutzen aller Informationen und mit einer ausgetüftelten Anlegestrategie das Kapital zu vermehren. Doch der Gewinn stellt sich nicht immer ein. „Ich kann die Bahn der Himmelskörper auf Zentimeter und Sekunden genau berechnen, aber nicht, wohin die verrückte Menge einen Börsenkurs treiben kann.“ Mit den Sternen kannte sich Isaac Newton hervorragend aus, doch an der Börse befielen auch den (nicht nur) in der Mathematik wegweisenden Wissenschaftler Zweifel. Die beiden Herren gehen noch von einer alten Form des Aktienhandels aus, von langfristigem, nachhaltigem Investieren in Firmen mit Wachstumspotenzial und deren Finanzkraft. Doch das war einmal, die Welt wurde schneller.

Die Börse im Wohnzimmer

Das Bild von wild mit Optionsscheinen wachelnden SpekulantInnen an den Börsen gibt es immer seltener, viel mehr sind es Leute am Bildschirm, die dem großen Geld hinterherlaufen. Es ist ein Auf und Ab der Gefühle, denn die Emotionen schnellen im Gleichklang mit den Kursen in jubilierende Höhen oder in tiefste Abgründe. Börsenspekulation, ein Spiel mit dem großen Geld, manchmal ein Spiel um die Existenz. Seit man bequem von zu Hause aus in Echtzeit bei diesem Börsenspiel mitmachen kann, ist die Jagd nach dem Geld an der Börse für Otto Normalverbraucher möglich geworden. War früher die Börse den Reichen vorbehalten und wurden Lotterien für die niederen Schichten gepflegt, damit diese auch ihrem Spieltrieb nachgehen konnten, so hat sich die soziale Situation verschoben. Immer mehr spekulative AnlegerInnen versuchen, kurzfristige Kursschwankungen von Aktien gewinnbringend zu nutzen. Nicht mehr die Investition in ein Unternehmen, sondern die Spekulation, das schnelle Geld steht hierbei im Vordergrund. Keynes nannte das „Kasino-Kapitalismus“. Das Setzen auf kurzfristige Markttrends wird erst durch die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien realisierbar, die heute PrivatanlegerInnen mit notwendigen Informationen, zu denen früher nur die professionellen AnlegerInnen Zugang hatten, versorgen. Gleichzeitig ermöglicht die Einführung elektronischer Handelssysteme den direkten und schnellen Handel vom heimischen Wohnzimmer aus. Verfügbarkeit und Griffnähe haben sich dadurch deutlich erhöht. Die moderne Technik erleichtert nicht nur derartige Geschäfte, sie ermuntert geradezu zum Agieren an den Finanzmärkten. Wie u. a. Gerhard Meyer und Tobias Hayer von der Uni Bremen in ihrer Untersuchung zum „Gefährdungspotenzial von Lotterien und Sportwetten“ nachwiesen, korreliert die Leichtigkeit des Zugangs zu bzw. die Verfügbarkeit von Glücksspiel mit der Nachfrage danach. Und die spekulativen Börsengeschäfte locken mit hohen Kursgewinnen, nähren Träume vom finanziellen Reichtum. Es reizt das schnelle Geld, die Aussicht auf hohe Gewinne in kurzer Zeit. Je risikoreicher das Geschäft, desto höher der mögliche Profit, aber auch die Gefahr des Verlustes bis hin zum Totalverlust. Ein Spiel mit der Existenz. Oder ist das kein Spiel, sondern Ernst?

Aus Spiel wird „heiliger Ernst“

Johan Huizinga hat in seinem Werk „Homo Ludens“ im Jahr 1938 das Spiel folgendermaßen definiert: „Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des ‚Andersseins‘ als das ‚gewöhnliche Leben‘.“ Huinziga versuchte zu zeigen, dass sich unsere kulturellen Systeme wie Politik, Wissenschaft, Religion, Recht ursprünglich aus spielerischen Verhaltensweisen entwickelt und über Ritualisierungen im Laufe der Zeit institutionell verfestigt haben. Aus Spiel wird „heiliger Ernst“, und wenn sich die Regeln erst richtig eingespielt haben, sind sie nicht mehr ohne Weiteres zu ändern und beginnen ihrerseits Zwangscharakter anzunehmen. Aus dem Spiel wird also Ernst. Aber an der Börse wird angeblich nicht gespielt, hier regiert doch der Homo oeconomicus, der Wirtschaftsmensch, der rational nach dem größtmöglichen Nutzen strebt. Dem entgegnet der Mathematiker Pierre Basieux, bekannt dafür, dass er Roulettekugeln im Casino vorhersagen kann: „Der Homo oeconomicus ist eine Fiktion der Wirtschaftstheorie. Individuen treffen ihre Entscheidung nicht ausschließlich auf rationaler Basis, sondern oft intuitiv. In der Kognitionswissenschaft spricht man von ‚emotionaler Wende‘; der neue Menschentypus heißt Homo emotionalis. Das Börsengeschäft wird offensichtlich vom Homo emotionalis betrieben, mitunter vom Homo irrationalis, und, nicht zu vergessen, auch vom Homo criminalis. Kurzum: Auch dieses Geschäft wird von Menschen betrieben, die nicht anders sind als andere.“  Basieux erklärt das Spiel als eine Menge zulässiger Zustände (dem „Spielraum“) und Vorschriften zum Übergang zwischen diesen Zuständen (den „Spielregeln“). Die SpielerInnen („AkteurInnen“) beleben den Spielraum durch Handlungen und Strategien mit dem Ziel, eine bestimmte Auszahlung – in Geld, Prestige oder anderen Werten – zu maximieren. Die Motivation ist also bei den SpekulantInnen und den GlücksspielerInnen die gleiche: Schnell viel Geld machen – am besten mit wenig Einsatz und mit einem gehörigen Nervenkitzel, dem man ebenso wie dem Kapital nachjagt.
Zwar würden SpekulantInnen nie negieren, dass sie Geld machen wollen, wenn es jedoch heißt, sie würden spielen, fühlen sie sich in ihrer Ehre gekränkt. Immerhin sei die Börse ein Markt, der nach den Prinzipien von Angebot und Nachfrage funktioniere. Die Konzerne stünden mit einer gewissen wirtschaftlichen Leistung hinter den Aktien und hätten einen Wert, der sich darin widerspiegelt. Roulette-Kugeln aber hätten kein Gedächtnis und keine Geschichte, bei Börsenunternehmen könne man jedoch aufgrund der Informationen über die Firma Prognosen erstellen und in Bezug darauf agieren.

Prognosen unterhalten das Publikum

„Prognosen dienen der Unterhaltung des Publikums.“ Was Wendelin Wiedeking, ehem. Vorstandsvorsitzender bei Porsche, so treffend formulierte, wurde auch oft wissenschaftlich untersucht. Die Theorie des „Random Walk“ stützt sich auf die These eines effektiven Marktes und besagt, dass die Börsenkurse alle bis jetzt verfügbaren Informationen beinhalten und somit den derzeitigen Wert der Aktie widerspiegeln bzw. um diesen schwanken. Kursbewegungen finden dieser Theorie nach nur dann statt, wenn neue relevante Informationen bekannt werden. Doch diese These wurde des Öfteren wissenschaftlich zerpflückt, mit dem Schluss, dass Kursänderungen nicht wissenschaftlich haltbar vorhersagbar sind. Das hält aber die inzwischen vielen Laien im Börsengeschäft nicht davon ab, weiter dem schnellen Geld nachzujagen. Anhaltend steigende Kurse („Hausse“) verleiten immer wieder Teile der Bevölkerung, sich für einen Aktienerwerb zu interessieren. Sobald die Masse jedoch einsteigt, steigen die Profis aus, denn überbewertete Papiere kündigen bald den Absturz an – siehe zum Beispiel den Börsengang von Facebook. Sobald die Blase platzt kommen die „Börsenlemminge“ zum Zug, sie verkaufen die sinkende Aktie und beschleunigen den Absturz des Kurses. Nach Ansicht von Expertinnen und Experten, so der Psychologe Werner Stangl, reagiert die Börse höchstens zu zehn Prozent auf Fakten, während alles andere auf psychologische Phänomene wie Massenpanik, Herdentrieb, Angst und Gier zurückzuführen ist. Es sind also sehr oft diese Faktoren, die die Märkte antreiben. Am besten, das wissen die erfolgreichen Börsenakteurinnen und -akteure, lässt man Emotionen ganz aus dem Spiel. Denn wenn man nach dem schnellen Geld giert, begibt man sich nur auf Las Vegas-Niveau.


Internet:
Werner Stangls Arbeitsblatt zu „Spekulation als Glücksspiel“:
tinyurl.com/cftocy4

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor martin.haiden@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum