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Modernisierer, Visionär, Ausbeuter Die Durchorganisation des Lebens spiegelte sich in der Architektur.

Modernisierer, Visionär, Ausbeuter

Internationales

Schuhproduzent Baťa hat Zlín zur ersten funktionalistischen Stadt der Welt gemacht. Aber: Gewerkschaftliche Aktivitäten wurden mit Rausschmiss geahndet.

Ein Unternehmen der neuen Welt, in dem das Zeitalter der Zusammenarbeit und der Liebe zwischen den Menschen angebrochen ist.“ (Le Corbusier) „Wir gewähren euch eine Beteiligung am Gewinn, nicht vielleicht deswegen, weil wir das Bedürfnis fühlen, irgend Geld einfach aus Herzensgüte unter Menschen zu verteilen. Wir verfolgen mit diesem Schritt ganz andere Ziele. Wir wollen mit Hilfe dieser Einrichtung den Produktionsaufwand noch mehr herabsetzen.“ (Tomáš Baťa)

„Fabrik im Grünen“

Streng gerasterte Fabrikshallen und Bürogebäude aus Stahlbeton, Ziegeln und Glas, idyllisch verstreut im Grünen, daneben Tausende Einfamilienhäuschen für die ArbeiterInnen und ihre Familien – so zeigt sich das Zentrum der mährischen Stadt Zlín den ArchitekturtouristInnen, die ehrfurchtsvoll die „Fabrik im Grünen“, die erste funktionalistische Stadt der Welt, besuchen. „In allen öffentlichen und privaten Gebäuden strömen Licht und Luft in Fluten durch große Öffnungen. Die Materialien sind hell und heiter und harmonieren perfekt mit dem Wald, der die Stadt umgibt und sie unaufhörlich mit belebender Luft versorgt“, begeisterten sich schon 1935 belgische Repräsentanten von CIAM, dem Internationalen Kongress für Moderne Architektur. Hier hat sich die Familie Baťa von der Flickschusterwerkstatt zum weltweit größten Schuhproduzenten hochgearbeitet. 1914, 20 Jahre nach der Unternehmensgründung, beschäftigte Baťa bereits 1.200 ArbeiterInnen, 1917 stellten 4.000 ArbeiterInnen bereits 10.000 Paar Schuhe täglich her. Nach dem ersten Weltkrieg arbeitete Gründer Tomáš Baťa in den USA, kam mit den Ideen Henry Fords zurück nach Europa und rationalisierte die Schuhproduktion, zerlegte sie in kleine Einheiten und kontrollierte den Ablauf bis ins kleinste Detail. In den Fabrikshallen wurde Baťas Leitspruch plakatiert: „Der Tag hat 86.400 Sekunden.“ 1928 war der ursprünglich kleine Handelsbetrieb an der Weltspitze angelangt.
„Gebäude sind nur ein Haufen Ziegel und Beton. Maschinen – nur Eisen und Stahl. Es sind die Menschen, die ihnen Leben einhauchen.“ Laut Baťa-Stiftung war Tomáš Baťa ein großer Menschenfreund, der seine Beschäftigten lieber Kollegen oder Mitarbeiter nannte. Die Linke hingegen kritisierte permanente Überschreitung der Arbeitszeit. Wurden die strengen Produktivitätsvorgaben von einzelnen Abteilungen nicht erreicht, wurde den ArbeiterInnen der Lohn gekürzt. Das führte zu gegenseitiger Kontrolle, die so weit ging, dass MitarbeiterInnen ihre Kolleginnen und Kollegen „entfernten“.
Natürlich wurde die Ausbeutung der ArbeiterInnen nicht in Zlín erfunden. Was Baťa aber zur Perfektion geführt hat, war ihre Tarnung hinter der Maske des gütigen Patriarchen, der seine „Mitarbeiter“ „gewinnbeteiligt“ statt bezahlt und sich um ihr gesamtes Leben kümmert. Er und später sein Bruder und Nachfolger Jan Antonín Baťa bauten „ihren Mitarbeitern“ Baťa-Siedlungen, Baťa-Warenhäuser, das Baťa-Kino mit 2.580 Sitzen (und für geeignet gehaltenen Filmen für die Mittagspausen der ArbeiterInnen), Speisesäle („Frauen werden nicht einmal mehr einmachen müssen. Baťa macht das für sie.“), sie gründeten den Baťa-Sportverein (prominentes Aushängeschild: die „tschechische Lokomotive“ Emil Zátopek), Kindergärten, Produktionsschulen, Internate, ein Freibad, das Firmen-Spital. „Sozialdekor zur Camouflage der Ausbeutung“, nennt das Winfried Nerdinger vom Architekturmuseum der TU München.

Gewerkschaft nicht geduldet

Mitreden sollten die „Kollegen“ Baťas allerdings nicht: Obwohl Tomáš noch 1903 an der Gründungssitzung der Zlíner Sozialdemokratischen Gewerkschaft teilgenommen hatte, hielt er bald nur mehr wenig von gewerkschaftlicher Organisation und griff schon drei Jahre später, als es zu größeren Streiks kam, zu fristlosen Entlassungen. Der kommunistische Schriftsteller Ilja Ehrenburg schrieb 1931: „Er duldet in Zlín keine Gewerkschaftsbünde. Auf einem Plakat sagt er: ‚Ich erkenne nur eine Organisation an, das ist mein Unternehmen.‘ Die Gewerkschaften sind in der Tschechoslowakei gesetzlich anerkannt, aber Gesetze interessieren Herrn Baťa wenig.“ Auch Jan Antonín Baťa, der den Konzern nach Tomáš’ Tod 1932 übernommen hatte, war ein Feind der Gewerkschaften. Die Ansprüche des Unternehmens an seine MitarbeiterInnen waren unerbittlich. „Verlangt wurden perfekte Leistung und eine absolute Ergebenheit gegenüber dem Konzern. Das Unternehmen sicherte sich diese extreme Bindung der Beschäftigten mithilfe verschiedener Vergünstigungen – aber auch durch kompromisslose Entlassungen der Arbeiter von einer Stunde auf die andere“, betont Henrieta Moraviková, Chefredakteurin der Architekturzeitschrift „Arch“ aus Bratislava.

Raffiniertes Ausbeuten

Die Durchorganisation des Lebens spiegelte sich in der Architektur. František L. Gahura entwickelte Stahlbetonskelettbauten nach strengem Schema, aufbauend auf einem Raster von 6,15 mal 6,15 Metern (20 mal 20 Fuß), ausgefacht mit Ziegeln und Fensterelementen. Das war rationell und kostengünstig. Die Einheiten wurden beliebig kombiniert und für alle Zwecke verwendet, egal, ob für Fabriken, Kaufhäuser, Büros, Schulen und Krankenhäuser. „Eines der Hauptziele von Baťa bei der Errichtung der Gebäude in identischer Bauweise war es, ihre Rentabilität vergleichen und steigern zu können, indem sie in Konkurrenz zueinander gestellt wurden“, so der französische Sozialist Paul Devinat 1930. Sogar der Leiter der Zlíner Bauabteilung und damit Baťas Hausarchitekt, Vladimír Karfík, stellte fest, dass „das Ausbeuten der Arbeiter äußerst raffiniert geworden ist“.
Das perfekte Symbol für die totale Überwachung ließ sich Jan Antonín Baťa 1937/38 im „Verwaltungsgebäude 21“ errichten: Ein Büro in einem Aufzug, sechs mal sechs Meter, mit Waschbecken und klimatisiert. So konnte Baťa mitsamt seinem Schreibtisch in genau das Stockwerk fahren, wo er gerade seine Untergebenen kontrollieren wollte. Im Übrigen war das gesamte Haus auf dem neuesten Stand der Technik: Klimaanlage, Rohrpost, Bodensteckdosen für Strom und Telefon alle drei Meter. Aber nicht nur einzelne Objekte planten Gahura und Baťas andere Architekten, auch die Stadt als Ganzes: Unter dem Motto „Die Fabrik im Grünen“ entwickelte Gahura 1924 einen Bebauungsplan. Schon zuvor hatte Jan Kotera ganze neue Stadtviertel erfunden – Firmenarbeiterkolonien mit kleinen Ziegelhäusern im Grünen. Jede Wohnung hatte einen eigenen Eingang zu einem Vorgarten. „Durch diesen Typ des Doppelhauses wurde das Recht des Beschäftigten auf die freie individuelle Entwicklung des Familienlebens und seiner Persönlichkeit anerkannt“, schrieb Gahura. Und T. Baťa selbst sagte in einer Rede: „Jeder Mensch, sofern er nicht in der Großstadt wohnt, sollte für sich selbst ein Haus haben, das ihm ein gesundes Wohnen ermöglicht. Es müsste ein Haus sein, welches er von den Jahreseinnahmen seiner Arbeit erbauen könnte.“
„Die Häuser stehen so nah beieinander, dass die Nachbarn einander unfreiwillig kontrollieren. (…) Der Besucher am Anfang des 21. Jahrhunderts kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich ein und dieselbe Straße wie in einem Computerspiel automatisch multipliziert“, stellt der polnische Journalist Mariusz Szczygie in seinem Reportageband „Gottland“ fest. Für die, die hier lebten, gehörte Kontrolle zum System: Die Sozialabteilung hatte ihre Spione, die Liebschaften auskundschafteten. Alkohol war verboten, Milch empfohlen. Auch die Politik hatte Baťa im Griff: Auf den Listen der Parteien kandidierten natürlich Baťa-Beschäftigte, und er hatte sich sogar selbst zum Bürgermeister wählen lassen.
Wer als ‚Aufwiegler‘ aus Baťas Firma geworfen wurde, konnte meist auch in Baťas Häusern nicht mehr lange bleiben und musste Zlín praktisch verlassen – was die am Papier kaum vorhandene Arbeitslosigkeit erklärt. Seinen Job verlor man üblicherweise nicht nur, wenn man sich unbotmäßig verhielt, sondern einfach, wenn man alt wurde: „Die Belegschaft wurde systematisch verjüngt, die Arbeitnehmer unter jedem beliebigen Vorwand mindestens zehn Jahre vor dem Rentenalter entlassen“, schreibt Szczygie.

„Schwächt das Land, korrumpiert“

Vom Sozialstaat hielt Baťa nichts: Der Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung „schwächt das Land. (…) Es korrumpiert die Schwachen“. Wer, einmal entlassen, seine Chance auf spätere Wiedereinstellung wahren wollte, sollte sie also lieber nicht in Anspruch nehmen. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Konzern aufgeteilt: Die Teile in der Tschechoslowakei wurden verstaatlicht, die internationalen Firmen zum Teil von Brasilien, zum Teil von Kanada aus weitergeführt. In alter Tradition. 2011 lautete eine Schlagzeile aus Mexiko: „Werkschließung und Nichtanerkennung des Streikrechts in einem Werk des transnationalen Bat’a-Konzerns.“

Internet:
Mehr Infos unter:
www.zlin.eu

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