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Mörderisches Kasachstan Der Reichtum des Landes wird von Nasarbajew u. a. in Prunkbauten in der neuen Hauptstadt Astrana gesteckt. Knapp fünf Mio. Dollar soll das Wahrzeichen der Stadt, der Bajterek-Turm, gekostet haben.

Mörderisches Kasachstan

Schwerpunkt

Seit mehr als zwanzig Jahren ist der neuntgrößte Binnenstaat der Erde unabhängig. Gewerkschaftsrechte werden dort massiv unterdrückt.

Kasachstan ist viel: Seit 20 Jahren ein Partner von Österreich, immer wieder in den Schlagzeilen wegen dubioser Verbindungen verschiedenster Art, ein wichtiger Öl- und Gaslieferant, ein Urlaubsparadies, ein moderner Staat etc. Aber vor allem ist Kasachstan eine Diktatur, in der gewerkschaftliche Rechte und Menschenrechte mit Füßen getreten werden.
1991 erklärte Kasachstan seine Unabhängigkeit von der ehemaligen Sowjetunion. 1998 wurde Astana zur neuen Hauptstadt. 2010 hatte Kasachstan den Vorsitz der OECD inne. Das Sagen hat Präsident Nursultan Nasarbajew. Der sorgt dafür, dass er und die Seinen nicht zu kurz kommen. Kasachstan ist eines der öl- und gasreichsten Länder der Welt und das Vermögen des Nasarbajew-Clans umfasst geschätzte sieben Mrd. US-Dollar. Wer nicht nach der Pfeife des Diktators tanzt, bekommt Probleme. Berichte über Rakhat Aliyev, Ex-Schwiegersohn und ehemaliger Botschafter in Österreich, beweisen das. Dieser war lange selbst Teil des Regimes und konnte Millionen auf die Seite schaffen. Seit seinem Bruch mit Nasarbajew wird er verfolgt. Er hat Geld und Beziehungen, kann es sich richten.

Reichtum nur auf Bildern

Anders geht es den Tausenden ÖlarbeiterInnen und GewerkschafterInnen. Der Reichtum des Landes wird von Nasarbajew u. a. in Prunkbauten in der neuen Hauptstadt Astrana gesteckt. Knapp fünf Mio. Dollar soll das Wahrzeichen der Stadt, der Bajterek-Turm, gekostet haben. Auf der Aussichtsplattform gibt es einen goldenen Handabdruck von Nasarbajew. Die Menschen in Kasachstan sehen Reichtum nur auf Bildern und in der Werbung des Regimes.

Kampf der ÖlarbeiterInnen

Seit Jahren gibt es immer wieder Proteste der Bevölkerung. Traurige Berühmtheit erreichte der Kampf der ÖlarbeiterInnen in der westkasachischen Mangystau-Region. Die ArbeiterInnen, beschäftigt beim Öl-Konzern „KazMunaiGaz“, forderten das Recht, eine unabhängige Gewerkschaft zu bilden, sowie Lohnzulagen für Arbeiten unter gefährlichen Bedingungen. Das Regime schlug mit voller Härte zu: 2.500 wurden entlassen. Das Management ließ zumindest zwei der von den ArbeiterInnen gewählten Vertreter verhaften. Polizei, Gerichte, Geheimdienst und Staatsanwaltschaft stehen auf der Seite des Unternehmens.
Die Anwältin der ÖlarbeiterInnen, Natalja Sokolowa, wurde „wegen Schürens sozialer Konflikte“ zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Eine der angeklagten ArbeiterInnen berichtete über Folter, die sie „hier im Gerichtssaal nicht detailliert schildern möchte, weil meine Kinder im Raum sind“. JournalistInnen wurden brutal zusammengeschlagen, als sie versuchten, über den Streik zu berichten. Im August 2011 wurde Gewerkschaftsaktivist Zhaksylyk Turbayev von Auftragskillern getötet, nur Wochen später die Tochter eines weiteren Streikaktivisten ermordet. Nach monatelangen erfolglosen Verhandlungen und einer Politisierung der ArbeiterInnen demonstrierten am 16. Dezember 2011 anlässlich der Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag der Unabhängigkeit in Shanaozen rund 3.000 ArbeiterInnen gegen das Regime und für die Forderungen der ÖlarbeiterInnen. In eisiger Kälte marschierten Männer, Frauen und Kinder. Die Polizei kam, die Demonstration ging weiter. Dann fielen erste Schüsse, Menschen stürzten zu Boden. Panik breitete sich aus. Das Regime machte aus den Opfern TäterInnen und behauptete, es habe „nur“ ein Dutzend Tote gegeben. Filme auf YouTube zeigen ein anderes Bild. Bis heute ist unklar, wie viele an diesem und den folgenden Tagen Opfer wurden. Schätzungen sprechen von rund 100 Toten bzw. nach wie vor Vermissten. Das Militär wurde entsandt, der Ausnahmezustand verhängt, ArbeiterInnen berichten von Folterungen. Teilweise wurde die Stromversorgung gekappt (im Dezember!), Internet, Handynetze und kritische Homepages wurden lahmgelegt.

Geteilte Weltöffentlichkeit

Die Medien im Westen übernahmen im Wesentlichen die Darstellung des Regimes. Erst Wochen und Monate später kam es vermehrt zu kritischer Berichterstattung. Doch zu diesem Zeitpunkt liefen bereits die Verfahren gegen 37 ArbeiterInnen. Im Glaskäfig mussten sie einen Schauprozess über sich ergehen lassen, der eine derartige Farce war, dass es sogar dem Anklagevertreter einmal zu schlimm wurde! 13 wurden zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt. Die Verfolgung der Opposition geht weiter. Nasarbajew hat sich schon vor einiger Zeit ein Gesetz geschaffen, nach dem Menschen für „die Störung des sozialen Friedens“ schwer bestraft werden.

Der Westen schweigt

Dass der Westen weitgehend schweigt ist nicht verwunderlich. Auf der Homepage der kasachischen Vertretung in Wien findet sich ein freundlicher Brief von Bundespräsident Fischer. Fischer schreibt zwei Monate nach dem Massaker von Shanaosen: „Ich bin sicher, dass unsere so freundschaftlichen Kontakte dazu beitragen werden, die bereits bestehenden guten Verbindungen weiter zu stärken.“ Nasarbajew hat sich geschickt ein internationales Netz von UnterstützerInnen aufgebaut. Unter seinen Beratern finden sich u. a. der ehemalige Labour-Premier von Großbritannien, Tony Blair, und der ehemalige SPÖ-Kanzler Gusenbauer. Doch letztlich werden es wohl die lukrativen Ölverträge internationaler Firmen mit Kasachstan sein, die dazu führen, dass Regierungen weltweit mit dem Diktator zusammenarbeiten.
Es gibt aber auch eine andere Seite: Jugendliche, ArbeiterInnen, GewerkschafterInnen aus der ganzen Welt, die gegen das Massaker und die Unterdrückung der ArbeiterInnen protestieren. Rund 40 Abgeordnete des EU-Parlamentes unterzeichneten einen Protestbrief. Zu den prominenten UnterstützerInnen der Kolleginnen und Kollegen in Kasachstan gehören neben dem britischen Musiker Billy Bragg auch Bob Crow, Generalsekretär der britischen Gewerkschaft RMT, Themis Kotsifakis, Generalsekretär der griechischen LehrerInnengewerkschaft OLME, Inge Höger, Abgeordnete von DIE LINKE in Deutschland und viele mehr.
Hintergrund der massiven Welle von Repression war die Angst des Regimes vor der Symbolkraft der arabischen Revolutionen. Der Kaukasus ist ein Pulverfass. Vor einem Jahr war es im Nachbarstaat Kirgistan zu bewaffneten Aufständen und einem Sturz des dortigen Regimes gekommen. Mit Sorge verfolgte wohl Nasarbajew in seinem Prunkpalast, wie die Diktaturen in Tunesien und Ägypten infolge von Massenprotesten stürzten. Und es gibt auch Berichte über Spaltungen im Familienclan selbst, offensichtlich scharren seine Nachfolger schon in den Startlöchern.

Massive Repressionen

Diese Angst ist durchaus berechtigt. Denn auch wenn es verboten ist, in Kasachstan unabhängige Gewerkschaften zu gründen, gibt es sie doch. Das Regime verweigert zwar kritischen Organisationen wie der unabhängigen Gewerkschaft „Zhanartu“ und z. B. der oppositionellen „Sozialistischen Bewegung Kasachstans“ die offizielle Registrierung, doch das ändert nichts an der großen Unterstützung, die diese Organisationen haben.
Die Repression ist massiv: Ihre Vorsitzenden Esenbek Ukteshbajew und Ainur Kurmanow werden strafrechtlich verfolgt und vor Kurzem starb der Vorsitzende der Organisation „Familien der Bergleute“, Takhir Narimanovich Mukhamedzyanov, unter eigenartigen Umständen.

Solidarität ist Gebot der Stunde

Auch wenn das Regime viel Blut an den Händen hat, gelingt es ihm nicht, die Bewegung und den Widerstand zu töten! Trotz der Einschüchterungsversuche wehren sich die Menschen weiter. Zhanartu ist in der Region rund um Shanaosen Teil einer unabhängigen Kommission der ArbeiterInnen, die die Ereignisse und die Opfer des Massakers vom Dezember 2011 untersucht und die Wahrheit ans Licht bringen möchte. In der Region Karaganda steht sie an der Spitze einer Kampagne zur Verteidigung von elementaren Rechten der Bergleute, weil der Multi ArcelorMittal Gesundheits- und Sicherheitsauflagen ignoriert und die Löhne einfach nicht zahlt. Als einzige unabhängige Gewerkschaft in Kasachstan arbeitet Zhanartu unter Bedingungen, die für uns unvorstellbar sind. „Brot und Spiele“ funktioniert in Kasachstan schon längst nicht mehr. „Solidarität“ ist das Gebot der Stunde auch für uns als GewerkschafterInnen in Österreich!
 
Internet:
Mehr Informationen über Kasachstan unter:
en.wikipedia.org/wiki/Astana
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