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"Finanzmarkt und Glücksspiele unterscheiden sich nicht sehr" Das Interessante ist: Den GlücksspielerInnen, vor allem den LotteriespielerInnen hat man immer vorgeworfen, dass sie ökonomisch irrational handeln, ...
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"Finanzmarkt und Glücksspiele unterscheiden sich nicht sehr"

Interview

Historiker Manfred Zollinger über die Geschichte der Lotterien und des Glücksspiels.

Arbeit&Wirtschaft: Manfred Zollinger, Sie sind Lehrbeauftragter am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der WU und haben sich intensiv mit Glücksspiel beschäftigt. Der Titel der aktuellen A&W ist „Brot&Spiele“. Vereint das Glücksspiel beide Ele-mente?

Manfred Zollinger:  „Brot und Spielen“, in der Antike sind damit die öffentlichen Spektakel gemeint, wird gerne eine Tranquilizer-Funktion zugeschrieben. Auch öffentliche Glücksspiele sind nach Meinung mancher dazu da, die Unterdrückten und Armen vom kritischen politischen Denken abzuhalten. „Opium der Armen“ nannte Balzac das Lotto. Das erklärt aber die anhaltende Nachfrage nach solchen Spielen nicht ausreichend.

Ist das Glücksspiel ein wichtiger Bestandteil von „panem et circenses“, wie es in der Antike hieß?

Bei den antiken Rennen war das Wetten wohl verbreitet.
Es wird auch behauptet, dass es in der römischen Antike Lotterien gab. Aber was da gemeint ist, entspricht nicht dem heutigen Lotteriebegriff. Es handelt sich um Distributionsmechanismen von Gütern – Getreidezuweisungen an das Volk etwa, gratis und ohne Einsatz. Ein maßgebliches Element des Glücksspiels ist aber der Einsatz. Als Spiel oder gar als Glücksspiel würde ich das nicht bezeichnen.
Losziehungen gibt es in der Antike und in allen Kulturen als Orakel, zur Entscheidungsfindung, zur Landverteilung oder zur Besetzung von öffentlichen Ämtern. Das kann man zwar technisch Lotterie nennen, aber es war kein Spiel. Die große Innovation im 14. Jahrhundert in Genua – sogar schon im 13. Jahrhundert durch buddhistische Mönche in China – war es, den Losziehmechanismus mit einem Einsatz zu verbinden und mit Gewinn.

Und vorher gab es keine Glücksspiele?

Doch. Bei den Würfeln können wir 4.000 bis 5.000 Jahre zurückgehen, nach Mesopotamien, Indien oder Ägypten. Über die Verwendung wissen wir aber wenig. Wahrscheinlich dienten sie überwiegend zu Wahrsage- und Orakelzwecken. Es gibt jedoch auch das 4.500 Jahre alte Königsspiel von Ur, ein Brettspiel mit vierseitigen Würfeln.
Mit einer sich entwickelnden Geldökonomie kommt dann endgültig das Spiel ins Spiel. Auf den Fresken von Pompeji gibt es zwei streitende Würfler – die werden wohl um Geld gespielt haben. Es gibt römisch-imperiale Verbote, und man weiß aus verschiedenen Lebensbeschreibungen von Cäsaren, dass der eine oder andere Kaiser gespielt hat.

Geldökonomie und Glücksspiel sind unmittelbar miteinander verbunden?

Ich glaube, dass das förderlich ist. Geld als Maßstab ergreift immer mehr Lebensbereiche. Es ist kein Zufall, dass Genua, das schon im Mittelalter ausgesprochen kapitalistische Merkmale entwickelt hat, die erste europäische Lotterie gestartet hat. Danach tauchen Lotterien in Flandern auf, einem anderen ökonomisch entwickelten Zentrum. Und in einer Lotterieankündigung aus dem 16. Jahrhundert heißt es explizit, es gehe darum, Geld einzusetzen in der Hoffnung, mehr daraus zu machen.

Hat der Staat immer mitgespielt beim Lotto?

Die Staaten zeichnet notorischer Geldmangel aus. Die Fürsten, die Städte und der enstehende Staat waren sehr an der Abschöpfung interessiert, nicht nur bei Lotterien. Es gab im Mittelalter öffentliche Glücksspielgelegenheiten in italienischen Kommunen, in einigen deutschen Städten, in Kastilien. Das waren Einrichtungen, wo man gegen Abgaben spielen konnte und wo die Städte gegen Pacht den Betrieb erlaubt haben – regelrechte Casinos.

Waren in den „Casinos“ alle BürgerInnen zutrittsberechtigt – auch Frauen?

Ich kenne einige Statuten, da ist von Frauen nirgends gesondert die Rede. Es gibt z. B. von König Alfons XII. aus dem 13. Jahrhundert eine Casinoordnung für Kastillien. Darin ist geregelt, dass man keine Waffen tragen darf und wer im Streitfall schlichtet, dass Juden genauso wie Araber und Christen spielen dürfen, aber von Frauen steht da nichts explizit. Das war offenbar kein Thema.

War Lotto in Österreich rein staatlich?

Es war zuerst verpachtet und ab 1787 unter Josef II. verstaatlicht. Der Staat hat schon sehr früh ein Monopol auf die Glücksspiele gelegt, im Prinzip bis heute. 
Viele Lotterieeinnahmen wanderten direkt in die Staatskassen oder sie waren zweckgewidmet. Lotterien wurden immer wieder zur Finanzierung von Häfen, Kanälen, Klöstern, Kirchenbauten bis hin zur Finanzierung von Universitäten, etwa in den USA, eingesetzt. Der gute Zweck ist ein hoher moralischer Legitimationsfaktor. In der Schweiz z. B. dürfen Lotterien nur veranstaltet werden, wenn sie gemeinnützigen und wohltätigen Zwecken dienen. Das reicht von der Kultur bis zum Sport.

Was haben Glücksspiele für eine politische Dimension?

Es geht um die politische Ökonomie des Zufalls. Dabei ist die Rolle des Staates bei der Regulierung und Nutzung von Glücksspielen bis heute evident – und umstritten. Was wirklich relevant ist, sind die großen Spiele, die Massenglücksspiele, z. B. die Lotterien. Da kommt es darauf an, wie sie angelegt sind. Es gab Lotterien, die hohe Einstiegspreise hatten – für die Ärmeren nicht erschwinglich –, und andere, wie das Lotto, wo man schon mit geringen Einsätzen dabei sein konnte. Nicht zuletzt deswegen ist es so populär geworden, aber auch heftig angegriffen. Immer wieder hieß es, der Staat solle sich nicht zum Bankhalter machen. Auch die Vorstellung, dass die Spielerinnen und Spieler eine freiwillige Steuer erlegen, lässt sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen.
Die Bedürfnisse des Staates sind ein starker Motor in der Geschichte des Glücksspiels. Die USA waren z. B. ziemlich lange abstinent. Ab den 1960ern, 1970ern hat dann ein Bundesstaat nach dem anderen öffentliche Lotterien eingeführt. Damals war die Finanzlage prekär, Steuern kamen als Alternative nicht in Frage, und plötzlich war der Puritanismus auch nicht mehr so wichtig.

Spielen die Menschen jetzt in der Wirtschaftskrise mehr?

Das ist eine gute Frage. Der Zusammenhang zwischen Krise und Spielverhalten ist nicht eindeutig auszumachen. Da ist noch viel Forschung notwendig. Ich habe mir die globalen Glücksspielzahlen für die letzten Jahre angesehen. Von Kontinent zu Kontinent gab es nur Zuwächse, auch in den Krisenjahren. Aber: Dort, wo es den Leuten wirklich schlecht geht, geht das Spiel zurück. Griechenland hat 2011 bei den Glücksspielumsätzen im Vergleich zu 2010 einen Einbruch von 20 Prozent erlebt. Und das ist ein deutliches Zeichen, dass dort, wo es ums Brot geht, nicht mehr gespielt wird, dass in einer schweren Krise die Leute einfach nicht mehr spielen können.
Überhaupt, auch in historischer Sicht, spielen die ganz Armen nicht oder sehr wenig, und die ganz Reichen spielen bestimmte Spiele auch nicht. Die Teilnahme an Glücksspielen nach sozioökonomischer Schichtung verläuft auf einer umgekehrten U-Kurve.
Wenn man sich die Glücksspielindustrie ansieht, erkennt man einen steten Aufwärtstrend. Es ist eine der am stärksten wachsenden Branchen, in einigen Ländern ist das Wachstum höher als das des BIP. Seit den 1990er-Jahren ist durch das Internet der Zugang erleichtert, es gibt kaum Barrieren, die Menschen verbringen viel Zeit vor dem Computer und mit einem Klick gehts zum Online-Poker. Das hat einen enormen Aufschwung gebracht. Die Umsatzzahlen der internationalen Glücksspielindustrie machen den größten Anteil der Freizeitindustrie aus. 2011 waren es 400 Mrd. Euro – ohne das illegale Glücksspiel. Tendenz steigend. Da stellt sich die Frage, ob Gesellschaften umso mehr spielen, je reicher sie werden. Im Ganzen vermutlich ja, aber mit Unterschieden nach Ländern und sozialen Gruppen. Vielleicht ist es das immer stärkere Auseinanderklaffen der Verteilung, das dem Ganzen diese Dynamik verleiht.
Ein anderer Zusammenhang zwischen Wirtschaftskrise und Lotterien ist gut in der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre zu beobachten, wo etliche Länder von ihren moralischen Bedenken abgehen und öffentliche Glücksspiele einführen. Las Vegas ist das bekannteste Beispiel.

Auch die Nationalsozialisten?

Die Nazis haben die bestehenden Lotterien einfach übernommen und zum Teil das Angebot erweitert. Es gab Brieflose – im Straßenverkauf und mit Sofortgewinnen –, Lotterien für Arbeitsbeschaffung und die große Reichslotterie.
Interessanterweise sind Lotterien offenbar systemneutral, wenn man von Mao absieht, der die Lotterien abgeschafft hat, oder von Fidel Castro, der auch alle Glücksspiele verboten hat, illegale Lotterien blühen jedoch. Auch islamisch verfasste Staaten lassen in der Regel keine Glücksspiele zu. Der Mormonenstaat Utah hat auch keine.
Hingegen gab es in der Sowjetunion Lotterien. Der Kommunismus bzw. Sozialismus ist also nicht gänzlich vor dem Glücksspiel gefeit. Im spanischen Bürgerkrieg hatten die Franquisten eine Lotterie und das republikanische Spanien hatte eine Parallellotterie. Heute haben wir in gut der Hälfte aller Staaten öffentliche Glücksspiele aller Art.

Weil Sie den Islam erwähnt haben: Wie sieht es aus mit dem Verhältnis der Religionen zum Glücksspiel?

Ambivalent. Das Losen hat z. B. eine stark religiöse Komponente. Der Zufall hat auch seit der Aufklärung und dem Aufkommen der Wahrscheinlichkeitsrechnung für viele noch immer etwas Unerforschliches. Früher wurde das Glücksspiel von kirchlicher Seite stark angegriffen, da ja nur Gott die Direktive über einen Glücksentscheid habe. Zu „ernsthaften“ Fragen dürfe man sehr wohl losen und würfeln, um den Gottesentscheid zu erfahren, aber man dürfe es nicht profanieren.
Die Kirchen sind dem Glücksspiel jedoch nicht ganz abgeneigt. Im Gegenteil, wenn man sich die vielen Lotterien zum Profit religiöser Institutionen ansieht oder das Bingo in den USA, das traditionell von kirchlichen Gemeinschaften genutzt wird. Der Papst selbst hat Lotterien veranstaltet, der Kirchenstaat hatte seit den 1720er-/1730er-Jahren sein fest institutionalisiertes Lotto. So wurde der legendäre Fontana di Trevi zu einem guten Teil aus Lottogeldern finanziert. Es heißt, dass die katholische Religion eher eine Tendenz zum Glücksspiel habe – auch weil Glücksspiel mit Irrationalität verbunden ist (schmunzelt). Die protestantische gilt hingegen als nüchterner. Allerdings waren die Niederlande seit dem 16. Jahrhundert eine der aktivsten Lotterienationen. Ein Spötter meinte um 1700, Lotterien seien wie Schweine, niemand sehe sie gerne, aber jeder Christenmensch lecke sich die Finger nach ihrem Fleisch.

Wie weit hat der Finanzmarkt Ihrer Ansicht nach mit Glücksspiel zu tun?

Es gibt einen historischen Zusammenhang. Das alte Zahlenlotto z.B. ist in Genua aus Wetten entstanden. Zweimal jährlich wurden dort die Politiker der Republik, die Ratsherren, ausgewechselt, das heißt, per Losziehung aus etwa 120 Männern ermittelt. Die Leute begannen darauf zu wetten und die Banken nahmen die Einsätze an.

Heutzutage gibt es Hedgefonds, Derivate, die Börse – sind das auch Wetten?

Das sind reine Wetten. Casino-Kapitalismus oder Lotterie-Kapitalismus sind ja stehende, wenngleich etwas unbestimmte Begriffe. Gewisse Produkte dieser Finanzwelt und das Verhalten der Spekulanten unterscheiden sich nicht wesentlich vom Glücksspiel, angefangen beim Ziel, schnell viel Geld zu machen. Das Interessante ist: Den GlücksspielerInnen, vor allem den LotteriespielerInnen hat man immer vorgeworfen, dass sie ökonomisch irrational handeln, und gleichzeitig haben die Börsen das Kunststück vollbracht, als respektierliche Institutionen anerkannt zu werden.
Bereits ab dem 19. Jahrhundert, als die Börsen die Formen annahmen, wie wir sie kennen, wurde einerseits die Spekulation als wichtig für den ökomischen Fortschritt gesehen, andererseits haben viele gesagt, Zeitkäufe, Derivate, das Börsengeschehen insgesamt und Lotterien sind nicht voneinander zu unterscheiden. Diese Kritik hat Tradition. Letztlich wurden öffentliche Glücksspiele in Misskredit gebracht und die Börsen nobilisiert.
Der Unterschied: Der Zufall ist unbestechlich und keinen Stimmungsschwankungen unterworfen.

Wird es Glücksspiel immer geben?

Die Menschen wollen sich unterhalten und gewinnen. Um Lotterien zu erklären, muss man sich eingestehen, dass es materielle Bedürfnisse gibt und eine gesellschaftliche Entwicklung, in der die Schere immer weiter auseinander geht. Jeder will reich werden. Durch Arbeit allein ist das nicht zu machen – also entwickelten die Menschen Abkürzungen. So war und ist das Glücksspiel die Hoffnung der Hoffnungslosen.

Was spielen Sie?

Ich spiele mit dem Gedanken eine Globalgeschichte der Lotterien zu veröffentlichen (lacht). Ich suche nur jemanden, der darauf Geld setzt.

Wir danken für das Gespräch.

Das Interview führte Katharina Klee für Arbeit&Wirtschaft.

Zur Person
Manfred Zollinger   
Geboren 1956
Studium der Germanistik und Geschichte an der Universität Wien; Promotion zur Geschichte des Glücksspiels vom 17. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg (erschienen bei Böhlau). Lektor am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der WU Wien. Kurator und Mitarbeiter bei Ausstellungen sowie Autor zahlreicher Pulikationen zur Geschichte des Glücksspiels.

Mehr Infos unter:
www.wu.ac.at/geschichte/en/staff

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