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Angst essen Seele auf Die Jugendlichen stehen unter Druck, zum Beispiel am Bau, wenn sie dort nur als billige Hilfskraft Verwendung finden, Zementsäcke schleppen.

Angst essen Seele auf

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Die Jugend von heute hat es alles andere als einfach. Der Einstieg in die Arbeitswelt wird ihr oft schwer gemacht.

Der Arbeitsmarkt verlangt fünf Praktika, Auslandserfahrung, Mindeststudiendauer, aber auch jahrelange Erfahrung. Wie soll das gehen?", fragt Angelika Gruber, Stellvertretende Bundesvorsitzende der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH). Und mit ihr fragen sich das immer mehr MaturantInnen und StudentInnen. Das sind Stressfaktoren, die schon vor Beginn des Studiums auf die jungen Menschen wirken. "Dann kommen solche Aussagen wie: 'Bevor du hier möglicherweise arbeiten kannst, musst du ein unbezahltes Praktikum machen.‘ Das führt eindeutig in Richtung Lohndumping", empört sich Gruber.

Stressreaktionen und Angstzustände

Bei permanentem Zeit- und Qualifikationsdruck, "freiwilligen" längeren Arbeitszeiten, steigendem Personalmangel, Flexibilisierung von Arbeitsprozessen, unsicheren Arbeitsstellen auf der einen und geringeren Arbeitsmarktchancen auf der anderen Seite könnte man so weit gehen und sagen, Stress durch Arbeit ist eher die Regel. Und die eben genannten Aspekte der Arbeitswelt sind nur ein Ausschnitt aus den vielfältigen Belastungen, mit denen ArbeitnehmerInnen heutzutage konfrontiert werden. Diese Belastungen führen meist zu psychischen Stressreaktionen und Angstzuständen, die auf Dauer in den meisten Fällen Leistungsminderung oder Krankheit bzw. Arbeitsunfähigkeit verursachen, Stichwort Frühpensionierung. Man geht davon aus, dass psychische Störungen oder Erkrankungen, die auch aus übermäßigem Stress heraus entstehen können, bis 2020 die zweithäufigste Ursache für Arbeitsausfälle und verminderte Arbeitsfähigkeit sein werden.

Nicht fürs Leben, für die Schule ...

Die Angst wird den jungen Menschen aber bereits früher, nämlich in der Schule, in den Nacken gesetzt. "Der größte Druck und die größte Angst herrschen schon beim Übergang von der Volksschule ins Gymnasium", berichtet Tatjana Gabrielli von der Aktion kritischer Schüler_innen (AKS). "In die Hauptschule oder Neue Mittelschule wollen, zumindest in Wien, nur die wenigsten. Hat man es geschafft, wird nicht fürs Leben, sondern fast ausschließlich auf Noten fixiert gelernt."
Darauf folgt dann die Studieneingangsphase, und es geht vor allem darum, möglichst schnell zu studieren, also Scheine zu sammeln. "Ständig hat man die Angst, ob man einen guten Job bekommt", weiß Gabrielli. "Daher die Fixierung auf gute Noten, weil die ja dann vielleicht zu einem guten, weil gut bezahlten und sicheren Job führen. Da herrscht ständiger Leistungsdruck." In höheren Schulen gibt es vergleichsweise wenig MigrantInnen. "Jene aber, die es durch die Selektion zwischen Hauptschule und Gymnasium ins Gymnasium und dann vor allem auch in die Oberstufe schaffen, haben dann etwa die gleichen Ziele und Ängste wie alle anderen."
Ähnlich sieht die Angst-Situation bei Lehrlingen aus. "Es gibt so unrealistische Forderungen von Seiten der Wirtschaft, die Lehrlinge sollen zehn Jahre Berufserfahrung haben. Auf so etwas kann man Jugendliche kaum vorbereiten", sagt Jürgen Michlmayr von der Österreichischen Gewerkschaftsjugend (ÖGJ). "Die Jugendlichen stehen unter Druck, zum Beispiel am Bau. Und wenn sie dort nur als billige Hilfskraft Verwendung finden, Zementsäcke schleppen oder wenn sie als KFZ-MechanikerInnen nur für Öl- und Reifenwechsel eingesetzt werden, dann bekommen sie keine Ausbildung, die ihrem Berufsbild entspricht", berichtet Michlmayr. "Dann rufen sie bei uns an, dass sie Angst haben, mit so einer unzulänglichen Ausbildung keinen guten Job zu bekommen. Sie stehen aber auch unter dem Druck der Eltern, die sagen, dass sie die Lehre auf jeden Fall fertig machen sollen."

56 Prozent "stark unter Druck"

In einer aktuellen Studie, die vom Institut für Jugendkulturforschung im Auftrag der AK durchgeführt wurde, sagen 56 Prozent der Befragten: "In der Arbeit/in der Schule/im Studium stehe ich stark unter Druck." Zusätzlich meint rund die Hälfte, dass der Druck weiter ansteigen wird.
Die gleiche Studie besagt auch, dass 15 Prozent der SchülerInnen ab 15 Jahren ganzjährig neben der Schule arbeiten, über 40 Prozent in den Schulferien. Von den Studierenden arbeiten drei Viertel neben dem Studium, rund die Hälfte ist ganzjährig berufstätig, ein Viertel jedenfalls in den Ferien. Hauptgrund für Arbeit neben Schule oder Studium ist die eigene finanzielle Lage. Je schlechter SchülerInnen und Studierende diese beurteilen, desto häufiger sind sie neben ihrer Ausbildung berufstätig.

Junge fühlen sich ausgenutzt

Die Verschärfung des Arbeitsmarktes wird auf die Studierenden abgewälzt, obwohl das ein politisch-soziales Problem ist. "Die Angst beginnt schon bei der Studienwahl", weiß Gruber. "Man soll zum Beispiel Jus studieren, auch wenn das nicht den eigenen Neigungen und Interessen entspricht, weil man ja angeblich mit sogenannten Orchideenfächern niemals einen Job bekommt. Während des Studiums geht es dann darum, Soft Skills zu erwerben, Praktika zu absolvieren, ECTS-Punkte abzuhaken und nebenbei auch noch zu arbeiten. Da bleibt dann eine Auseinandersetzung mit dem Fach auf der Strecke."
Der AK-Studie zufolge fühlt sich die Mehrheit der Jungen ausgenützt: "Die meisten Betriebe benutzen Praktikanten nur als billige Arbeitskräfte", meinen gut zwei Drittel der Befragten. Freilich spricht das für die meisten nicht gegen Praktika an sich, sondern gegen die Praxis der Praktika. "Wir haben gemeinsam mit AK und Gewerkschaft das Gütesiegel Praktikum ausgearbeitet, das verbindliche Richtlinien für faire Praktika zusammenfasst", freut sich Gruber, "aber das kann nur ein erster Schritt sein." Die Zufriedenheit mit Ausbildung oder Beruf ist eher durchwachsen: Fast die Hälfte der SchülerInnen (48 Prozent) geht "sehr ungern", "nicht so gern" oder "teils gern, teils ungern" in die Schule. Unter den Lehrlingen beträgt der entsprechende Anteil 30 Prozent, bei den Berufstätigen sind es 29 Prozent und bei den Studierenden 22 Prozent.
Uni- und arbeitsmarktpolitisch besteht viel Handlungsbedarf, um Prekarisierung, Werkverträgen und Neuer Selbstständigkeit etwas entgegenzusetzen und eine soziale Absicherung während des Studiums zu gewährleisten. "Der Bund darf seit ein paar Monaten nur mehr bezahlte Praktika anbieten", berichtet Angelika Gruber, "ein erster Erfolg, dem noch viele folgen müssen." Die ÖH setzt sich für eine sinnvolle Arbeitsmarktpolitik ein, die die Zukunftsängste der Studierenden verringert. "Klar, wir haben eine Wirtschaftskrise, und in Spanien zum Beispiel haben die Menschen noch ärgere Existenzängste, aber auch bei uns sind die Aussichten nicht rosig. Damit es nicht noch schlimmer wird, sollte die Verschulung der Universitäten rückgängig gemacht werden und die Wirtschaft soll sich nicht in die Unis beziehungsweise FHs einmischen", meint Angelika Gruber kämpferisch. "Die Mindeststudienzeit ist heute de facto die Höchststudienzeit, denn länger darf man nicht für ein Studium brauchen. Eine Begriffsumkehr!"

Alarmsignal Jugend unter Druck

Auch diejenigen, die keine konkrete Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes haben, beschreiben meist das Gefühl, dass die Situation in der Arbeit "immer enger" wird. Etymologisch kommt Angst ja von der Enge (lat. angustia), das heißt also, dass es für fast alle immer enger am Arbeitsplatz wird. "Es ist ziemlich egal, ob sie aus bildungsnahen oder bildungsfernen Verhältnissen kommen, viele junge Menschen müssen in prekären Verhältnissen leben", stellt Jürgen Michlmayr fest, "und sie alle haben die Angst: 'Werde ich den Job in sechs Monaten noch haben?‘"
"Für mich ist es ein Alarmsignal, wie stark sich die jungen Menschen in Österreich heute unter Druck gesetzt fühlen", sagt AK-Präsident Herbert Tumpel. Ernst zu nehmen sei die Forderung nach mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft: "Bei der Kritik und den Forderungen der Jungen müssen wir ansetzen, wenn wir nicht eine ganze Generation enttäuscht zurücklassen wollen." Es gehe, so Tumpel "um nichts weniger, als das Vertrauen in die gesellschaftliche Entwicklung wiederherzustellen. Wir müssen die Sorgen der Jungen ernst nehmen. Wir brauchen ja auch ihr Engagement und ihren Einsatz, wenn wir mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft wollen."

Internet:
Jugendwertestudie: wien.arbeiterkammer.at/bilder/d174/Jugendwertestudie.pdf

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