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Bangen vor dem Ende Laut Platon bedeutet der Tod entweder das Nichtsein oder die Reise der Seele an einen anderen Ort. Beides sei durchaus unproblematisch, die Angst vor dem Tod somit unbegründet.
Buchtipp

Bangen vor dem Ende

Schwerpunkt

Ihm kann sich niemand entziehen, er kommt auf leisen Sohlen oder mit brachialer Gewalt: Der Tod. Wie geht die Philosophie mit der Angst vor Tod und Sterben um?

Der Ausdruck "Angst" stammt vom griechischen Verb "agchein" und dem lateinischen "angere" ab. Beides heißt übersetzt soviel wie "würgen", "die Kehle zuschnüren". Jeder kennt dieses Gefühl, nicht zuletzt, wenn es um das unausweichliche Ende geht: Das einzig Sichere im Leben ist der Tod. Todesangst kann somit als die Urangst des Menschen bezeichnet werden. Die Philosophie befasst sich deshalb seit jeher intensiv mit den Phänomenen Angst und Tod. Vorweg ist festzuhalten, dass der Tod nur dann ein wirkliches Problem ist, wenn wir ihn als das irreversible Ende des Lebens betrachten. Sprich: Wer an das "ewige Leben" glaubt, wird vor dem Tod wenig Angst haben. Wenn man aber annimmt, der Tod lösche die eigene Existenz und Individualität unwiederbringlich aus, kann einen schon ein unangenehmes Gefühl beschleichen ... die Angst vor dem Tod.

Das Sein-zum-Tode

Im Wörterbuch der Philosophie von Rainer Hegenbart tritt der Tod schlicht und einfach in dem Moment ein, in dem ein Lebewesen keine Lebenssignale mehr erkennen lässt und damit aufhört, als Individuum zu bestehen. Heute hat sich in der Medizin die Definition durchgesetzt, dass der menschliche Tod vorliegt, wenn keine Gehirnströme mehr gemessen werden können. Zuvor waren Wegfall von Herzschlag und Atmung als entscheidende Indikatoren angenommen worden. Philosophische Lexika beschreiben Angst wiederum als seelische und körperliche Beklemmung, die durch natürliche oder gesellschaftliche Umstände ausgelöst wird. Platon und Aristoteles begriffen Angst in der Antike noch primär als physische Reaktion, die sich auf konkrete Objekte bezieht. Diese Definition lässt sich besser als Furcht bezeichnen, die klar auf eine äußere Gefahr hin ausgerichtet ist, hingegen gilt Angst als unbestimmt. Der abendländische Kirchenvater Augustinus sah die Angst als eine der menschlichen Hauptleidenschaften. Er unterschied die niedrige Furcht vor Strafe von der höher bewerteten Furcht vor Schuld aus Ehrfurcht vor Gott. Der dänische Philosoph und Theologe Sören Kierkegaard gilt als Urvater des Existenzialismus und betrachtete Angst als Wesensmerkmal menschlichen Denkens und der Willensfreiheit. Im Sprung in den Glauben soll sie laut Kierkegaard überwunden werden. Angst spielt gerade in der Existenzphilosophie eine gewichtige Rolle, hier gilt sie als Grundbestand des Daseins und ist Ausdruck der Einsamkeit des Menschen und der unaufhebbaren Tragik des Menschseins. Für den deutschen Existenz-Philosophen Martin Heidegger war sie eine Grundbefindlichkeit, in der das Dasein auf sich selbst zurückgeworfen wird. Heidegger meint sogar in seinem Hauptwerk "Sein und Zeit", die menschliche Grunderfahrung sei Angst. Der Mensch ängstige sich nicht so sehr vor dem Seienden (also allem, was ihm im Leben widerfährt), sondern vor dem eigenen Nicht-Sein, also dem Tod. Das Dasein ist für Heidegger somit ein Sein-zum-Tode. In der Philosophie Sartres erfährt der Mensch die Angst durch seine Freiheit, sein eigenes Sein negieren zu können; der Mensch ängstigt sich vor sich selbst, wenn er erkennt, dass sein Denken und Handeln nicht durch äußere oder innere Ursachen determiniert ist. Dazu sagt Sartre: "Eines Tages wird mein Leben aufhören, aber ich will auf keinen Fall, dass es durch den Tod beladen wird." Der große französische Existenzialist wehrt sich hier gegen Jenseitsvorstellungen und Vertröstungen der verschiedenen Religionen, die ja immer von Geboten begleitet werden. Sartre meint: "Da nun einmal der Tod etwas so Natürliches ist, wie das Leben, warum denn sich so sehr vor dem Tod fürchten? Die Menschen fürchten sich vor dem Tod wie sich die Kinder vor der Dunkelheit fürchten, und nur deswegen, weil man ihre Phantasie mit ebenso nichtigen wie schrecklichen Gespenstern angefüllt hat."
Wir sehen: Tod und Angst treten in der Philosophiegeschichte immer wieder im Duett auf, doch wie erklären die Philosophen den Tod selbst? Die antike Stoa sah wie die Epikureer Angst als künstliche Emotion an, der mit Gelassenheit (Ataraxie) zu begegnen sei. Die Epikureer strebten einen angstfreien Zustand an, indem sie zu zeigen versuchten, dass der Tod den Menschen nicht betreffe, weil er kein Ereignis des Lebens sei. Epikur meint, die Angst vor dem Tode sei ein Widerspruch in sich selbst, "solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr". Durch die Erkenntnis, dass der Tod uns Menschen nichts angeht, sind wir laut Epikur in der Lage, unser Leben erst wahrhaft zu genießen. Im Sammelband "Grundbegriffe der europäischen Geistesgeschichte" (herausgegeben von Konrad Paul Liessmann) hat sich die Ethik-Spezialistin Katharina Lacina ausführlich mit dem Thema Tod auseinandergesetzt. Sie schreibt im Kapital "Das Nichts des Todes: Epikur" unter anderen: "Obwohl die zeitliche Begrenztheit unseres Daseins nach wie vor besteht, würde diese Einsicht in den Tod als ein Nichts, das uns nichts angeht, die Angst vor dem Tod nehmen. Der Tod ist für den Einsichtigen kein Übel, und verliert der Tod seinen Schrecken, so verliert auch das Leben seinen Schrecken: Die unvernünftige Sehnsucht nach Unsterblichkeit schmälert nicht das Streben nach einem glückvollen Diesseits."

Tot aber glücklich?

Auch für Platon war der Tod kein Übel, er argumentierte aber anders als Epikur. Während dieser vom Zerfall der Seele zum Zeitpunkt des physischen Todes ausging und den Tod als absolutes Ende des Individuums ansah, schloss Platon die Unsterblichkeit der Seele zumindest nicht aus. Laut Platon bedeutet der Tod entweder das Nichtsein oder die Reise der Seele an einen anderen Ort. Beides sei durchaus unproblematisch, die Angst vor dem Tod somit unbegründet. Platon meinte auch: "Den Tod fürchten, Ihr Männer, ist nichts anderes, als sich weise dünken und es doch nicht sein; denn es heißt, sich ein Wissen einzubilden, das man nicht hat." Hier fällt einem gleich Wittgenstein ein, der ja meinte: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen." Man könnte hinzufügen: "Was man nicht kennen und empfinden kann, davor muss man sich nicht fürchten." So weit, so gut. Müssen wir uns also um den Tod wirklich keine Gedanken machen, weil er uns Lebende "nichts angeht" und wir ihn ohnedies nicht begreifen können? So einfach ist die Sache nicht. Buchautorin Lacina gibt zu bedenken, dass etwa Epikur logisch argumentiert, dem Menschen in diesem Fall logische Begründungen aber äußerst schwerfallen: "Das Nichts kann man sich nicht vorstellen und der Mensch kann sich selbst nicht einfach wegdenken. Die Crux ist, dass die eigene Nicht-Existenz nicht vorstellbar ist. Schon alleine das erzeugt Unbehagen", gibt sie im Gespräch mit Arbeit&Wirtschaft zu bedenken. Auch verweist Lacina auf Philosophen des 20. Jahrhunderts wie Bernhard Williams, der den Tod eindeutig als Übel bezeichnet. Denn der Tod erweist sich als Verlust für das Individuum, mit ihm lösen sich auch Wünsche, Beziehungen, Erfahrungen etc. in Luft auf. Der Tod kann außerdem viele Dinge ausschließen, die man sich noch wünschen würde. Für Lacina ist es deshalb ratsam, sich mit dem Tod zu beschäftigen, sich von ihm frei zu machen, damit er im Leben nicht hemmt. Wobei das Altern sozusagen als natürlicher Schutzmechanismus dient, um sich langsam an Sterben und Tod zu gewöhnen. Wie das gelingt, ist natürlich wiederum eine Sache des einzelnen Menschen. Sich Wünsche zu erfüllen ist dabei wohl keine schlechte Strategie - es muss ja nicht die Besteigung des Himalajas oder die Anhäufung von materiellen Besitztümern sein. Wahrscheinlich ist es sinnvoller, mit sich selbst und seiner Umwelt ins Reine zu kommen. Nicht an ewiges Leben und eine jenseitige ausgleichende Gerechtigkeit zu glauben hat für altruistisch denkende Menschen auch einen schönen Nebeneffekt: Für Gerechtigkeit muss im Diesseits gesorgt werden, Armut und Ungerechtigkeit gilt es hier und jetzt zu bekämpfen. Man könnte sagen: Weil das Leben endlich ist, ist es unendlich wichtig. Das muss nicht unbedingt bedeuten, sich am Überleben festzuklammern. Sich der Begrenztheit des Lebens bewusst zu sein, heißt, sich der schönen Dinge des Lebens bewusst zu werden. Das mildert vielleicht die Angst vor dem Tod. Ohne ihn zu verleugnen.


Internet:
Mehr Infos unter: www.philosophie-woerterbuch.de

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