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"Kämpfen an zwei Fronten" Der Internationale Gewerkschaftsbund hat in Vancouver einen "Pakt für Frieden und Gerechtigkeit in Palästina und in Israel" gefordert, um die Situation der ArbeitnehmerInnen zu verbessern.

"Kämpfen an zwei Fronten"

Internationales

Wachstum, Beschäftigung und Fortschritt sind in den palästinensischen Gebieten nur mit Ende der Beschränkungen möglich.

Wir führen unseren Kampf an zwei Fronten: für die Rechte der Arbeitnehmer in Palästina und gegen die israelische Besatzung." Mohammed Shaher Saed, Generalsekretär des Palästinensischen Gewerkschaftsbundes PGFTU, bringt die schwierige Arbeit der Gewerkschaft in einer Gesellschaft auf den Punkt, die nicht nur in "Arbeit hier, Kapital da" gespalten ist, sondern in der die Gräben noch viel tiefer sind.

Probleme Arbeitslosigkeit und Armut

Arbeitslosigkeit und Armut sind die zwei größten Probleme, mit denen der Palästinensische Gewerkschaftsbund zu kämpfen hat - zusätzlich zur Situation, die sich durch die israelische Besatzung ergibt, berichtete Mohammed Shaher Saed, der Mitte April auf Einladung des ÖGB zu Besuch in Wien war. "Soziale Gerechtigkeit wird es ohne ein Ende der israelischen Besatzung nicht geben können", sagt er. Früher waren die PalästinenserInnen willkommene, billige Arbeitskräfte, vor allem in der Baubranche. Die Zahl der Arbeitsbewilligungen sank aber drastisch, und inzwischen wurden palästinensische Beschäftigte durch - ebenfalls billige - Arbeitskräfte aus Rumänien und einigen asiatischen Staaten ersetzt.
Rund vier Millionen Menschen leben in den palästinensischen Gebieten - 27 Prozent davon sind (laut palästinensischer Statistikbehörde und UNO) arbeitslos, 48 Prozent leben unter der Armutsgrenze. Die Zersplitterung der Region - israelische Siedlungen, Checkpoints, Straßensperren, Siedlerstraßen durch palästinensisches Gebiet - verkompliziert die Situation. "Besonders schwierig ist es für die rund 100.000 Palästinenser, die für israelische Firmen arbeiten", berichtete Saed. Stundenlanges Warten an den Checkpoints ist die Regel. Nur rund ein Viertel dieser Gruppe, knapp 23.000 Menschen, arbeitet legal in Israel. Die anderen haben, zusätzlich zu den Strapazen des Arbeitsweges, als illegal Beschäftigte keine Rechte, keinen Anspruch auf Sozialleistungen. "Sie zu vertreten ist für uns besonders schwierig."
Der Arbeitsmarkt ist für PalästinenserInnen sehr eingeschränkt. Einerseits werden ihnen immer weniger Arbeitsbewilligungen in Israel und in jüdischen Siedlungen erteilt - daher auch die hohe Zahl an illegal Beschäftigten in diesen Regionen. Andererseits ist die eigene Wirtschaft durch die Beschränkungen, die die israelische Besatzung mit sich bringt, enorm gehemmt. Einzig derzeit boomender Wirtschaftszweig ist die Baubranche. Der Tourismus kam nach der zweiten Intifada fast völlig zum Erliegen, viele neu errichtete Hotels wurden wieder geschlossen. Auch TouristInnen sind mit der Zersplitterung der Region konfrontiert: Jerusalem liegt einen Steinwurf von Betlehem entfernt - dazwischen ragt allerdings die Mauer auf, sodass man umständliche Fahrwege inklusive Kontrollen an Checkpoints in Kauf nehmen muss. Für TouristInnen mag das ein interessanter Aspekt einer fremden Region sein, für die Menschen, die dort leben und arbeiten, mühevoller Alltag. Bei Produkten aus der palästinensischen Landwirtschaft stellen sich Transport und Export als oft unüberwindbare Hindernisse für eine Weiterentwicklung dieser Branche dar: Die wenigen Möglichkeiten, Grenzen zu passieren, sind der Haltbarkeit von Erzeugnissen aus der Landwirtschaft mehr als abträglich. Hauptprodukt der Agrarwirtschaft ist Olivenöl, auf rund 45 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen werden Oliven angebaut. Immer wieder werden allerdings große Bestände an Olivenbäumen abgeholzt - aus Sicherheitsgründen, wie es heißt.
Die übrige Wirtschaft in Palästina ist klein strukturiert: Familienbetriebe im Textilbereich und generell kleine Produktionsbetriebe bestimmen das Bild, wobei gerade im textilen Sektor der Druck durch Importe aus China große Probleme bereitet. Großbetriebe gibt es nur wenige, sie werden meist von Israelis nahe den Grenzen betrieben.

Pakt für Frieden und Gerechtigkeit

"Menschenwürdige Arbeit und sozialer Schutz sind zentral für eine lebensfähige Wirtschaft" - genau das fehlt aber den palästinensischen ArbeitnehmerInnen - konstatierte auch der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) bei seinem Kongress 2011 im kanadischen Vancouver. "Unter den derzeitigen Umständen finden Hunderttausende keine Arbeitsplätze, Verzweiflung und Ernüchterung sind weit verbreitet." Der Internationale Gewerkschaftsbund hat in Vancouver einen "Pakt für Frieden und Gerechtigkeit in Palästina und in Israel" gefordert, um die Situation der ArbeitnehmerInnen zu verbessern. Dabei geht es um ein gemeinsames Bekenntnis zu Sicherheit, Freiheit, Demokratie und um Perspektiven für die künftigen Generationen palästinensischer und israelischer Beschäftigter und ihrer Familien, so der IGB. Neben diesem allgemeinen Bekenntnis fordert der IGB im Einklang mit der PGFTU von der palästinensischen Autorität ganz konkrete Gesetze: ein Arbeitsrecht, Bestimmungen über sozialen Schutz, und die gesetzliche Verankerung eines Arbeitsamtes (Arbeitsvermittlungs-Agentur). Eine gesetzlich verankerte Sozialversicherung steht auch auf der Forderungsliste der PGFTU weit oben. "Sozialversicherung gibt es in den palästinensischen Gebieten nur für die Beschäftigten von staatlichen Firmen", sagte Saed. Der Internationale Gewerkschaftsbund tritt, auch zum Wohl der ArbeitnehmerInnen, für die "Zwei-Staaten-Lösung" ein. Auf internationaler Ebene sucht der IGB immer wieder den Dialog mit Regierungen, wobei das Recht für Palästinenser und für Israelis, in Sicherheit und frei von Besatzung zu leben, im Zentrum steht. Der IGB unterstützt auch die Bemühungen der PGFTU und des israelischen Gewerkschaftsverbandes Histadrut um Frieden, Gerechtigkeit und die

Rechte der ArbeitnehmerInnen.

"In Gaza hat die Abriegelung zu hoher Arbeitslosigkeit und zu Abhängigkeit von externer Hilfe und informeller 'Tunnelwirtschaft‘ geführt", berichtete Juan Somavia, Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) im Rahmen der 100. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz im Mai 2011 über die Lage der ArbeitnehmerInnen in den besetzten arabischen Gebieten. Seit knapp drei Jahrzehnten entsendet die ILO sogenannte Missionen in diese Regionen, nach Israel und nach Syrien. Bestandteil solcher Missionen sind auch Gespräche mit ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen in den besetzten palästinensischen Gebieten. Die Mission aus 2011 ergab ein gespaltenes Bild: Zwar hat sich, so Somavia in seinem Bericht, die wirtschaftliche Lage etwas verbessert, allerdings fiel das Wachstum sehr ungleichmäßig aus. Einerseits geht die Erholung von einem sehr tiefen Niveau aus, andererseits - das wird in dem Bericht mehrfach festgehalten - ist die Abriegelung von Gaza ein wesentliches Hindernis. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen bemängelte die ILO-Mission als "erschreckend niedrig", hier seien besondere Anstrengungen nötig. Insgesamt kann es ohne eine Beendigung der von der israelischen Besatzung auferlegten Beschränkung keine echten Fortschritte für die ArbeitnehmerInnen geben, so Somavia. "Ohne eine Aufhebung der vollständigen Abriegelung von Gaza wird sich die Auflösung des wirtschaftlichen und sozialen Gefüges Gazas fortsetzen."

Von Partnerschaft weit entfernt

Ein wichtiger Aspekt für Aufbau und Stabilisierung der Wirtschaft sind nach Ansicht der ILO starke Institutionen. Deren Entwicklung hat inzwischen einen Punkt erreicht, der einen eigenständigen, lebensfähigen Staat Palästina als eine reale Option erscheinen lässt, beurteilte die ILO nach ihrer Mission von 2011. Verbesserungsbedarf beim Aufbau stabiler Institutionen sehen auch die Gewerkschafter, berichtete Saed. Zwar gebe es seit Mitte der 1990er-Jahre regelmäßig Verhandlungen und Gespräche zwischen Regierung und Gewerkschaften, von einer Partnerschaft, wie etwa der österreichischen Sozialpartnerschaft, sei das aber noch weit entfernt.

Info&News
Palestinian General Federation of Trade Unions (PGFTU)
Gegründet 1967, geht zurück auf die palästinensische Arbeiterbewegung der 1920er-Jahre. Die PGFTU hat derzeit rund 300.000 Mitglieder und ihren Sitz in Nablus, Westbank. Sie ist Mitglied im Internationalen Gewerkschaftsbund (www.ituc-csi.org); Generalsekretär der PGFTU ist Mohammed Shaher Saed.
Histadrut (hebräisch: "Zusammenschluss")
Gegründet 1920 in Haifa, Dachverband der Gewerkschaften Israels. Histadrut hat rund 650.000 Mitglieder und gehört dem Internationalen Gewerkschaftsbund an. Ofer Eini ist Histadrut-Vorsitzender.

Internet:
Info der Friedrich-Ebert-Stiftung: tinyurl.com/cu8qh27
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin nani.kauer@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at 


 

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