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Grenzüberschreitend Doppelt so viele Männer (67,15 Prozent) wie Frauen (32,85 Prozent) nutzen die Arbeitsmarktöffnung. Die meisten kommen aus Ungarn (41,76 Prozent bzw. 8.682 Menschen), ein großer Teil pendelt.

Grenzüberschreitend

Schwerpunkt

Eine Gewerkschafts-Kooperation zwischen Österreich und Tschechien verhilft ArbeitnehmerInnen zu ihren Rechten.

Dezent statt opulent. Ein Jahr ist vergangen, seit der heimische Arbeitsmarkt am 1. Mai 2011 für osteuropäische EU-Staaten geöffnet wurde. Rund 20.800 zusätzliche ArbeitnehmerInnen werken nun in Österreich - von bis zu 25.000 Menschen ging das BMASK (Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz) aus. "Es gab Legalisierungseffekte, die Anzahl der ungarischen Beschäftigten ist gestiegen, aber auch die Anzahl der Arbeitsplätze. Unsere Vermutung: Die Menschen haben zuvor eben nicht legal gearbeitet. Der Riesenboom ist nicht passiert", erklärt Thomas Kaindl, Leiter der AK Wiener Neustadt. AK und ÖGB sind auch in der Grenzpartnerschaft EURES-T Pannonia - ein Zusammenschluss von 27 Institutionen - vertreten.

ZUWINS und ZUWINBAT

Von einer Überschwemmung mit Arbeitskräften keine Spur. Das berichtet auch die Medien-Servicestelle Neue ÖsterreicherInnen (Portal zu Migration und Integration): Doppelt so viele Männer (67,15 Prozent) wie Frauen (32,85 Prozent) nutzen die Arbeitsmarktöffnung. Die meisten von ihnen kommen aus Ungarn (41,76 Prozent bzw. 8.682 Menschen), ein großer Teil pendelt. Weitere EU-Herkunftsländer sind u. a. Polen (4.617 Beschäftigte), die Slowakei (4.062) und die Tschechische Republik (1.402). Heimische Branchen wie Tourismus, Bau, Handel, KFZ und Dienstleistungen (z. B. Gebäudebetreuung, Gartenbau) profitieren von den neuen ArbeitnehmerInnen. Dass jedoch viele Menschen von ihren ArbeitgeberInnen nicht immer fair behandelt werden, ist leider eine Tatsache.
Im Rahmen des Projektes ZUWINS (Zukunftsraum - Wien - Niederösterreich - Südmähren) bietet der ÖGB Informationen sowie kostenlose Rechtsberatung in tschechischer Sprache an. Tschechische ArbeitnehmerInnen, die in den Regionen Wien und Niederösterreich tätig sind, werden von Rechtsberaterin Agnieszka Bros in Fragen des österreichischen Arbeits- und Sozialrechts unterstützt. Umgekehrt erhalten österreichische und tschechische ArbeitnehmerInnen, die in der Region Südmähren tätig sind, Beratung in Tschechien. Parallel existiert das Projekt "Gemeinsamer Arbeitsmarkt - gemeinsame Zukunft" in Kooperation mit der Slowakei.
Ende April wurde die Nachbarschaft nahe der Wiener Strudlhofstiege beschworen. Zehn TeilnehmerInnen aus Niederösterreich und acht aus Tschechien reisten an, um einen Lehrgang der MEGAK (Mitteleuropäische Gewerkschaftsakademie) zu absolvieren. Dabei sind die Kontakte zwischen ÖGB und MKOS (Tschechisch-mährische Konföderation der Gewerkschaftsbünde) und zwischen den ArbeitnehmervertreterInnen auf beiden Seiten der Grenzen gestärkt worden. Gestartet wurde ZUWINS 2009 - gefördert vom BMASK und dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), Ende 2012 läuft es aus. Geht es nach Projektleiter Marcus Strohmeier, ÖGB-Sekretär im Internationalen Referat, sollte die Zusammenarbeit verlängert werden.

Kleiner Grenzverkehr mit Tschechien

In perfektem Tschechisch unterhält sich Marcus Strohmeier noch mit Kollegin Stanislava Slavíková (MKOS). "Seit wir im Waldviertel grenzüberschreitend aktiv wurden, also seit der Wende, spreche ich Tschechisch." Einst Bankangestellter in Gmünd, hätte Stohmeier eigentlich eine Bankfiliale in Hradec Králové (Königgrätz) eröffnen sollen. Stattdessen studierte er Politikwissenschaften und lernte auch Russisch. Lehrgangsteilnehmerin Regina Assigal, Arbeiterbetriebsrätin der Siemens AG Österreich, besucht einmal pro Woche einen Tschechisch-Kurs und weiß über die Schattenseiten der Arbeitsmarktöffnung Bescheid: "Ich kenne ein Lokal, wo der Wirt gesagt hat: 'Warum soll ich mir einen Koch aus Österreich nehmen, wenn die Tschechen billiger sind und ich denen nicht alles zahlen muss?‘ Offiziell sagt er, dass er keinen österreichischen Koch findet. Der tschechische Koch kennt sich nicht aus und sucht dringend einen Job." Auch Erich Macho, ÖGB-Regionalsekretär Waldviertel West, hat in den acht Seminartagen schon ein paar Brocken der Nachbarsprache aufgeschnappt und arbeitet wie Andrea Seidl-Schuhmacher in Gmünd. Die Betriebsrätin im Landesklinikum Gmünd ist Röntgenassistentin und zudem ÖGB-Frauenvorsitzende der Region. Seidl-Schuhmachers Tschechisch-Kurs wird vom Arbeitgeber bezahlt, für den Lehrgang hat sie Urlaub genommen. Im LKH Gmünd haben schon lange vor der Arbeitsmarktöffnung tschechische Krankenschwestern und Krankenpfleger gearbeitet. Neu sind Ärzte, die über die Grenze pendeln - die zwei tschechischen Oberärzte in der Anästhesie des LKH Gmünd sind mehr als willkommen. Weniger gut sehen die Bedingungen für Pflegekräfte aus: "Sie sind zwar selbstständige UnternehmerInnen, aber wir machen die Rechtsberatung für ArbeitnehmerInnen und nicht nur für Gewerkschaftsmitglieder. Die Ausbeutung bei den Pflegekräften ist weiterhin ganz stark, und es gibt auch viele Anfragen", berichtet Projektleiter Marcus Strohmeier. Anfragen erhält die Rechtsberatung aus allen Branchen. Strohmeier: "Immer wieder versuchen Firmen zu betrügen, wir müssen ständig intervenieren."

FacharbeiterInnen fehlen

Es sind etwa Firmen aus Österreich, die in Tschechien ein Subunternehmen betreiben, das wiederum LeiharbeiterInnen nach Österreich entsendet. "Da muss man aufpassen, denn dafür gibt es das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz. Unsere Broschüren in tschechischer Sprache vermitteln den Leuten, worauf sie schauen müssen, wenn sie bei uns arbeiten." Immer wieder hat es die ZUWINS-Rechtsberatung mit Leuten zu tun, die entweder gar nicht angemeldet sind oder im KV falsch eingestuft wurden. Manch ArbeitgeberIn stellt einen tschechischen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin nach KV an, sagt ihm bzw. ihr aber nicht, dass es einen 13. und 14. Monatsgehalt gibt.  "Früher haben Bulgaren und Rumänen bei der Weinernte in Retz geholfen, aber jetzt ist die Wirtschaftslage scheinbar so schlecht, dass wieder viele Tschechen bei der Lese helfen", erzählt Strohmeier. "Viele arbeiten auch am Bau, in der Landwirtschaft, Gastronomie, als Pflegekräfte, und auch die Fleischhauer in Niederösterreich sind fast alle Tschechen." Die Anforderungen an das Projekt steigen, pro Jahr werden rund 2.000 Beratungen durchgeführt. Strohmeier: "Wenn Tschechen bei uns in den Kollektivvertrag eingestuft werden, sind sie keine Konkurrenz zu unseren ArbeitnehmerInnen - weil sie ja das Gleiche verdienen. Wichtig ist, dass die Menschen nicht am Schwarzmarkt landen."
In Znaim und Brünn finden regelmäßig Informationsveranstaltungen statt: "Da kommen Hunderte Leute und fragen, wie sie erfahren, ob sie in Österreich angemeldet und sozialversichert sind." In der tschechischen Republik hingegen fehlen die Fachkräfte: "Den Tschechen laufen die Facharbeiter davon. In Südmähren suchen sie händeringend Köche. Im größten Metallbetrieb in Brünn werden Turbinen für Russland gefertigt, die Auftragsbücher sind voll, aber die Facharbeiter fehlen." Bei einem Betriebsbesuch entdeckte Marcus Strohmeier die vielen angegrauten Herren in der Brünner Fabrik, dachte an einen speziellen Anlass. "Doch jeder zweite Arbeitnehmer in diesem riesigen Betrieb ist ein Pensionist. Die jüngeren Facharbeiter sind weg, sie arbeiten nicht mehr zu den Gehältern und die Firma will nicht mehr zahlen. Daher haben sie die Pensionisten für drei Tage in der Woche reaktiviert." Eine verkehrte Welt. Manche Fälle, die ZUWINS betreut, schockieren und machen sprachlos. Wie dieser: Bis zu 50 tschechische Gärtner wurden für die Instandsetzung einer Parkanlage in Wien angeheuert. Die Männer waren weder angemeldet, noch bekamen sie jemals Lohn. Der miese Trick: Knapp vor Monatsende schmiss der sogenannte Arbeitgeber die Gärtner raus und sagte ihnen, dass wer weniger als einen Monat arbeitet, keinen Anspruch auf Lohn habe. "Die Gärtner haben keinen Cent gesehen. Der Chef hat sich jedes Mal neue Arbeiter geholt und dasselbe wieder gemacht", berichtet Marcus Strohmeier. Einige der Arbeiter hörten von der ZUWINS-Rechtsberatung und fragten nach. Strohmeier: "Wir verfolgen den Fall gerade und haben ihn an die AK übergeben. Den Arbeitgeber haben wir mit der Finanzpolizei auf frischer Tat ertappt."

Internet:
ZUWINS: www.zuwins.at 
Arbeitsmarktöffnung - Ein Jahr danach: www.arbeitsmarktoeffnung.at 

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen resei@gmx.de sophia.fielhauer@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at 

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