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Unternehmerisch und erschöpft? Die Bildungsvererbung ist in kaum einem Land stärker ausgeprägt als in Österreich: Aus FacharbeiterInnenkind wird FacharbeiterIn, aus MedizinerInnenkind aller Voraussicht nach wieder ein Arzt, eine Ärztin.

Unternehmerisch und erschöpft?

Schwerpunkt

Immer öfter werden wir auch im Bildungsbereich mit neoliberaler Verwertungslogik konfrontiert. Dass Bildung emanzipatorisch sein kann, wird vergessen.

Der Neoliberalismus hat auch in Österreich die Gesellschaft auseinanderdriften lassen. Es gibt zwar noch immer einen - zum Glück - nicht unwesentlichen Kern an gut abgesicherten Arbeitsverhältnissen, in denen Beschäftigte einen Lohn bekommen, von dem sie leben können. Der bedeutend schneller wachsende Bereich ist jedoch jener der prekäre(re)n Teilzeit- oder pseudo-selbstständigen Dienstverhältnisse. Wenn man in den Arbeitsrecht-Beratungsstellen von Arbeiterkammer und Gewerkschaften nachfragen würde, bekäme man wohl wilde Geschichten über Sub-Sub-Unternehmer-Konstruktionen oder über Freie DienstnehmerInnen sowie mit Werkvertrag Tätige und ihre prekäre Selbstausbeutung zu hören. In einer solchen Gesellschaft ist jede und jeder für ihr bzw. sein Fortkommen selbst verantwortlich - das EinzelkämpferInnentum scheint unaufhaltsam auf dem Vormarsch.

Europe 2020 Strategie

Auch im Bildungsbereich wird man immer öfter mit den Auswirkungen neoliberaler Verwertungslogik konfrontiert. Besonders unverhohlen geben dies diverse EU-Dokumente wieder: Wenn in Kommissions-Mitteilungen in einem fort von Employability (Beschäftigungsfähigkeit) die Rede ist oder ein wichtiger Bildungsschwerpunkt der Europe 2020 Strategie die sogenannte "Entrepreneurship Education" (Erziehung zum UnternehmerInnentum)1 ist, dann kann man als ArbeitnehmerInnen-Vertretung schon mal versucht sein, sich an die Stirn zu greifen.
Wenn man jedoch von der Wortwahl absieht, stellt sich die Frage, ob das Phänomen des Ausrichtens auf Verwertbarkeiten in der Bildungspolitik an sich so ein neues ist oder ob die österreichische Bildungspolitik nicht von jeher für eine gespaltene Gesellschaft gestanden hat.

Seit 1918 gegen gemeinsame Schule

Historische Dokumente geben darüber Aufschluss: Bereits in der Geburtsstunde der Ersten Republik im Jahre 1918 wurde auf das Heftigste gegen den Plan der Sozialdemokratie opponiert, eine gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen zuzulassen. Die damalige Rektorenkonferenz wünschte "keinen völligen Neubau des Ganzen, der einen Umsturz des Bestehenden zur Voraussetzung hat. Dadurch würden Werte zerstört, deren Größe und Bedeutung gewaltiger sind, als die der Wissenschaft fernstehenden Kreise zu glauben vermögen. Schon aufgrund der wirtschaftlichen Lage sollten die Unterrichtseinheiten rasch und gut auf das Leben vorbereiten." Die Rektoren traten für eine möglichst frühe Trennung der verschiedenen Schullaufbahnen ein. Übertritte sollten für besonders Begabte wohl möglich sein, dürften aber nicht gefördert werden.2 Unterstützung bekamen die Rektoren wenig überraschend von den Christlich-Sozialen, die die klare Spaltung der Gesellschaft in unterschiedliche Lager deutlich betonten: "In einer Gesellschaft gibt es unterschiedliche Leben. Leben als arme und reiche Menschen, Leben als Bauern, Arbeiter etc. Diese Leben werden in unterschiedlichen Sphären geführt mit unterschiedlichen Möglichkeiten der Selbstbestimmung und Gestaltung des Lebens." Und genau darauf sollte die Schule "möglichst rasch und gut" vorbereiten. Sie blieb somit auch in der Demokratie ein Instrument zur Reproduktion der sozialen Ordnung, sprich: ausgelegt auf klare Verwertbarkeiten je nach Schicht-Zugehörigkeit. Und das ist sie im Großen und Ganzen auch heute noch. Die Bildungsvererbung ist in kaum einem Land stärker ausgeprägt als in Österreich: Aus FacharbeiterInnenkind wird FacharbeiterIn, aus MedizinerInnenkind aller Voraussicht nach wieder ein Arzt bzw. eine Ärztin.

Vorbereitung aufs Arbeitsleben

Selbstverständlich ist eine Aufgabe von schulischer (Aus-)Bildung, Menschen auf ihr Arbeitsleben vorzubereiten. In einer Wirtschaftsordnung, in der Menschen einen Großteil ihrer Zeit in der Arbeit verbringen, ist die Teilhabe am Arbeitsmarkt auch relevant für die Teilhabe an der restlichen Gesellschaft und somit für den sozialen Zusammenhalt. Studien zufolge sind Menschen, die in Beschäftigung stehen, deutlich häufiger auch ehrenamtlich tätig als Beschäftigungslose. Daher besitzen (Aus-)Bildungen, die in erster Linie auf die Verwertbarkeit am Arbeitsmarkt ausgerichtet sind, dennoch einen emanzipatorischen Effekt: Sie schulen das Denken. Sie lehren Menschen, sich Wissen anzueignen, es zu bewerten und dementsprechend anzuwenden. Vielleicht nicht im gleichen Ausmaß wie politische Bildung, aber doch.

Mehr Spaltung als Zusammenhalt

All das ökonomisch - und zum Teil auch politisch - motivierte (Halb-)Wissen der so (Aus-)Gebildeten wird häufig als Begründung und als Rechtfertigung von WissenschafterInnen und PolitikerInnen verwendet, um eine Politik- und Demokratieverdrossenheit im neoliberalen Zeitalter zu konstatieren.
Wenn nun aber auch auf wirtschaftliche Verwertbarkeit ausgerichtete (Aus-)Bildung das Rüstzeug für Emanzipation vermittelt, warum schafft das Schulsystem über den eigentlichen Schulbesuch hinaus nach wie vor mehr Spaltung als Zusammenhalt? Wie viel Initiative der Klasse, der sozialen Schicht oder auch des/der Einzelnen muss erwartet oder gar eingefordert werden, um die Bildungssegregation zu überwinden? Schnell stößt man bei der Suche nach Antworten auf ein Beispiel für eine solche emanzipatorische Initiative, der es genau darum ging: Schon im Jahr 1867 gründeten ArbeiterInnen "Arbeiterbildungsvereine". Sie verbanden Bildungsabsichten (Vorträge, Unterricht, Bibliotheken) mit geselligen und wirtschaftlichen Zielen (Kranken- und Invalidenunterstützungskassen). Die Arbeiterbildungsvereine waren integraler Bestandteil proletarischer Emanzipation und wurden wohl auch deshalb schnell als "staatsgefährlich" untersagt: Im Jahr 1870 wurde gegen die Exponenten des Wiener Vereins ein Hochverratsprozess angestrengt.3 
Wenige Jahre und eine Gesetzesänderung später gab es bereits 59 Arbeiterbildungsvereine und 78 Gewerkschaftsvereine mit rund 80.000 Mitgliedern. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass der emanzipatorische Wert von Bildung erkannt und genutzt wurde. Aus den Arbeiterbildungsvereinen gingen die Volkshochschulen hervor, die auch heute noch niedrigschwellige Kurse (Alphabetisierung etc.), aber auch solche zur politischen Volksbildung anbieten.

Negts exemplarische Bildungsarbeit

Oskar Negt hat sich in den 1960er-Jah-ren Gedanken zur Theorie und Praxis der ArbeiterInnenbildung gemacht. In seinem Werk "Soziologische Phantasie und exemplarische Bildungsarbeit" (1968) beschreibt er gesellschaftliche Schlüsselqualifikationen, die für ihn "Kompetenzen in den Dimensionen des Lebens sind". Hier finden sich schon damals die "ökologische Kompetenz" neben der "technologischen" und der "Gerechtigkeitskompetenz". Lediglich eine der sechs formulierten Kompetenzen ist die ökonomische, die bei ihm aber als das Verstehen definiert ist: "wie der Markt funktioniert, was seine Gesetze sind ist der Lerngegenstand, der heute nottut" (und das zu Zeiten des keynesianischen Wohlfahrtsstaates!) und nicht als "Funktionieren für den Markt". Gewerkschaftsschulen nicht nur in Deutschland haben entlang seiner Prinzipien gearbeitet.

Bildung und Emanzipation

Eine Ökonomisierung von Bildung ist aus emanzipatorischer Sicht problematisch: Es besteht kein Zweifel, dass eine immer stärker werdende Ausrichtung auf ökonomische Verwertbarkeiten das emanzipatorische Potenzial von Bildung massiv einschränkt. Jedoch zeigen Beispiele aus der weiteren und näheren Vergangenheit, dass dies immer der Fall war. Der entscheidende Unterschied im Neoliberalismus dürfte also darin zu finden sein, dass Menschen die Verwertbarkeitslogik verinnerlicht haben und auf alle ihre Lebensbereiche übertragen. Deutliches Beispiel dafür ist der stetig steigende Anteil von beruflicher Bildung in der Freizeit, wie ihn der Adult Education Survey ausweist. Die Tradition der Arbeiterbildungsvereine zeigt aber, wie Bildung für die Emanzipation aller genutzt werden kann. An diesen Zugang gilt es wieder anzuknüpfen.

1 Beispielsweise: tinyurl.com/co3rnmn
2 Vgl. Völkerer/Schneider: "Bildung, Verteilung und Demokratie", 2009
3 Vgl.:
www.dasrotewien.at/arbeiterbildungsvereine.html

Internet:
Mehr Infos unter: tinyurl.com/5swldpk

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin Petra.VOeLKERER@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at 

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