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Spaltfaktor Neoliberalismus Als bemerkenswert erscheint darüber hinaus, dass neoliberale Dogmen inzwischen kaum mehr mit positiven Visionen - "vom Tellerwäscher zum Millionär" - besetzt sind.

Spaltfaktor Neoliberalismus

Schwerpunkt

Griechenland wirkt wie eine Warnung an die Bevölkerung Europas, sich dem "Lauf der Wirtschaft" anzupassen.

Wer das Gold hat, macht die Regeln - Woche für Woche erklärt Frank Stronach "seine Welt" in der Sonntagskrone. Einem Millionenpublikum teilt der Milliardär mit, dass ökonomische "Naturgesetze" einfach stärker sind, als die von Menschen immer wieder vorgenommenen Eingriffe in die Wirtschaft.1 Ebenfalls jeden Sonntag bringt Franz Schellhorn in der "Presse" einem eher bürgerlichen Publikum nahe, dass nur durch Lohn- und Steuersenkungen wirtschaftliche Probleme überwunden werden könnten.2 Investment-"Punk" Gerald Hörhan schwingt sich demgegenüber medienwirksam gleich zum Sprecher einer ganzen Generation auf: "Die Jugend will ohnehin keine Pension mehr."3 Und nicht nur die FPÖ versucht mit dem Griechenlandthema zu punkten, wenn sie einen in einer griechischen Flagge liegenden "Südländer" plakatiert, der sich offensichtlich diebisch über "unser Geld" freut.

"Über die Verhältnisse gelebt"

"Die Griechen haben lange über ihre Verhältnisse gelebt und bekommen dafür nun die Rechnung präsentiert."4 Neoliberale Vorstellungen auf Stammtischniveau sind offenbar in der politischen Elite Österreichs fest verankert. "Man schlägt die Griechen und meint den Sozialstaat", kommentiert demgegenüber der Bereichsleiter für Bildung und Zukunftsfragen im ÖGB Oberösterreich, Sepp Wall-Strasser, den Gehalt dieser Stimmungsmache.5 So werden momentan nicht nur das griechische Sozialsystem und die demokratisch gewählten Institutionen des Landes auf ein Minimum reduziert. Man sendet auch eine Warnung an die Bevölkerung Europas, sich doch dem "Lauf der Wirtschaft" anzupassen, und spaltet gleichzeitig ArbeitnehmerInnen entlang nationaler Linien. Zu Recht solidarisier(t)en sich daher die österreichischen Gewerkschaften mit ihren griechischen Kolleginnen und Kollegen.6 
Aus gewerkschaftlicher Perspektive kann der ideologische Gehalt des Neoliberalismus wie folgt zusammengefasst werden: "Die (kapitalistische, Anm.: JE) Ökonomie ist die Leitkultur der Gesellschaft. Alles ist marktwirtschaftlich steuerbar. Soziale Ungleichheit ist eine natürliche Voraussetzung innerhalb der Gesellschaft. Misserfolg, niedrige Einkommen und Armut sind Eigenverschulden und Ausdruck mangelnder Anpassungsfähigkeit an die Markterfordernisse."7 Die AutorInnen des Buches "Neoliberalismus und die Krise des Sozialen: Das Beispiel Österreich" beschreiben darüber hinaus auch die Wirkungsmächtigkeit neoliberaler Dogmen auf die etablierte Politik. Weltweit könne man diese daran erkennen, dass nach der Krise 2008 kein Kurswechsel stattgefunden habe. Auch in Österreich werde weiter ein Abbau des Wohlfahrtsstaates betrieben, während die Lohnstückkosten kontinuierlich sinken.8 Bereits 1999 haben Studien das Vordringen des neoliberalen Gedankengutes im Rahmen der politischen Eliten über eine ganze Dekade beschrieben.9 Als eine Speerspitze dieser Entwicklung fungierte lange Zeit die (Haider-)FPÖ, welche derartige Vorstellungen gemeinsam mit ihrer "Anti-Ausländer"-Linie popularisierte. Sowohl die sozialen Auswirkungen neoliberaler Politik als auch die Wirkung fremdenfeindlicher Hetze auf das gesellschaftliche Bewusstsein sind inzwischen gut bekannt. Weniger thematisiert werden demgegenüber in der Regel die komplexen Folgen des spezifisch neoliberalen Populismus auf das Denken der Menschen.

"Jeder ist seines Glückes Schmied"

Die Leiterin einer neuen Studie des Institutes für Jugendkulturforschung, Beate Großegger, will in diesem Sprichwort eine Art Motto für die heutige Jugend erkennen. Wer arm ist, sei also meistens auch faul und damit selber schuld, denken nach ihren Erhebungen fast 40 Prozent der Jugendlichen. "Darin spiegelt sich der neoliberale Zeitgeist."10 Auch die Ergebnisse einer anderen Erhebung scheinen in eine ähnliche Richtung zu weisen. Nicht weniger als 36 Prozent der ÖsterreicherInnen sehen demnach Armut als notwendiges Produkt wirtschaftlicher Entwicklung. 46 Prozent trauen privaten Unternehmen eine effiziente Bekämpfung der Armut zu (wobei nur vier Prozent diesen Akteuren die entsprechende Aufgabe vollständig überlassen möchten).11 Trotzdem: Von einer lückenlosen Durchdringung der Gesellschaft durch den Neoliberalismus kann keine Rede sein. So sprechen sich auch jeweils 80 bis 90 Prozent der in Österreich Befragten für Einkommensgerechtigkeit, Umverteilung und Besteuerung der Reichen zur Armutsbekämpfung aus. Selbst die pessimistische Jugendstudie 2011 räumt ein, dass den erwähnten 40 Prozent der Jugendlichen zumindest 20 Prozent gegenüberstehen, die überzeugt sind, dass Armut auf Ungerechtigkeit in der Gesellschaft zurückzuführen ist. Und 2011 sprachen sich laut Umfragen immerhin 60 Prozent der ÖsterreicherInnen für "Solidarität mit Griechenland" aus.12

Schwer aufsteigen, flott absteigen

Bemerkenswert erscheint darüber hinaus, dass neoliberale Dogmen inzwischen kaum mehr mit positiven Visionen - "vom Tellerwäscher zum Millionär" - besetzt sind. Im Gegenteil: Allgemein sei die Jugend stark verunsichert und der Wunsch nach Sicherheit sehr groß, wird Großegger weiter zitiert. "Wir leben in einer Gesellschaft, in der man relativ schwer sozial aufsteigen, aber relativ flott absteigen kann. Und die auf der Verliererseite haben schreckliche Angst, noch weiter abzusteigen."13 Bei Jugendlichen hängen somit neoliberale - ebenso wie übrigens fremdenfeindliche - Einstellungen offenbar mit Krisenerscheinungen in Wirtschaft und Gesellschaft zusammen. Doch welche Signale werden gerade auch an junge Menschen ausgesendet. Wie sind soziale Herausforderungen heute angeblich zu meistern? Beispielsweise rechnet nach Jahren der (Verbal-)Attacken auf das Pensionssystem die Hälfte der im Rahmen einer Umfrage befragten Jugendlichen damit, überhaupt keine Pension mehr zu bekommen.14 Dass angesichts solcher Perspektiven die Bereitschaft sinkt, in staatliche Solidarsysteme einzubezahlen, kann kaum verwundern. Doch gleichzeitig hat die Finanz- und Wirtschaftskrise gerade auch im Pensionsbereich das Vertrauen in private - also neoliberal geprägte - "Lösungsmodelle" nachhaltig erschüttert.
Auch die FPÖ hat diese stärker gewordene Infragestellung neoliberaler Dogmen bereits erkannt und gibt sich - neben ihrem rassistischen Kulturkampf - inzwischen betont kapitalismuskritisch. Und selbst Franz Stronach, dessen Parteiprojekt Meinungsforscher bis zu 20 Prozent prophezeien, sieht sich zu Anpassungsschritten gegenüber einem sich wandelnden Zeitgeist gezwungen. Während er in den 1990ern fast ausschließlich den ÖGB angriff, wagt er heute die Beschneidung der Gewerkschaften nur noch im Zusammenhang mit Beschränkung der Macht der Banken zu fordern.15 Entspannung ist freilich trotzdem nicht angesagt, denn die Vorstellungen, welche das neoliberale Programm heute ergänzen, sind durchaus gefährlich.
Neben der weiter grassierenden Fremdenfeindlichkeit existiert, wie Griechenland ebenfalls demonstriert, beispielsweise eine Tendenz zu autoritären Lösungsansätzen. Auch hier sind Neoliberale anschlussfähig, wenn sie - wie Stronach unter zuweilen großem Beifall - PolitikerInnen durch ManagerInnen auswechseln wollen,16 also den Staat letztlich so autoritär wie ein Unternehmen führen möchten. Aber: Historische Fenster öffnen sich auch für die Gegenkräfte immer wieder. Als sehr bemerkenswert stellte sich beispielsweise die Unterstützung im diesbezüglich ungeübten Österreich für den Ausstand der Metaller im Herbst 2011 dar. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hielt einen Arbeitskampf damals für notwendig und solidarisierte sich mit den Streikenden.17 Die Gewerkschaften haben es somit auch immer wieder selbst in der Hand, den (neoliberalen) Strategien der Spaltung etwas entgegenzusetzen.

1 Vgl.: tinyurl.com/87tfazf, Zugriff 18.4.2012.
2 tinyurl.com/84rx43o, Zugriff 18.4.2012.
3 tinyurl.com/87xjfh4, Zugriff 18.4.2012.
4 www.oevp.at/index.aspx?pageid=55980, Zugriff 18.4.2012.
5 tinyurl.com/89ckelz, Zugriff 18.4.2012.
6 tinyurl.com/6wr2u7u, Zugriff 18.4.2012.
7 Lucia Bauer, Sepp Wall-Strasser: Liberalismus/Neoliberalismus, Politik und Zeitgeschehen 4, AK/VOEGB, Stand 2009, S. 24.
8 Vgl.: Andrea Grisold, Wolfgang Maderthaner, Otto Penz (Hg.): Neoliberalismus und die Krise des Sozialen: Das Beispiel Österreich, Wien 2010.
9 Vgl. z. B.: Brigitte Unger: Politischer versus ökonomischer Handlungsspielraum in Österreich, in: Josef Schmee, Erwin Weissel (Hg.): Die Armut des Habens, Wien 1999.
10 tinyurl.com/bukjhpe. Volltext der Jugendstudien 2010/11 auf: tinyurl.com/722mr73 Zugriff 18.4.2012.
11 Vgl.: Eurobarometer spezial 321, Armut und soziale Ausgrenzung in Europa, 2010, tinyurl.com/88qgfch, Zugriff 18.42012.
12 Vgl.: tinyurl.com/6or8tx8, Zugriff 18.4.2012.
13 tinyurl.com/bukjhpe, Zugriff 18.4.2012.
14 tinyurl.com/7tzlb2e, Zugriff 18.4.2012.
15 Vgl. z. B.: tinyurl.com/7e4bpzr, Zugriff 18.4.2012.
16 Vgl. z. B.: tinyurl.com/78nyxal Zugriff 18.4.2012.
17 tinyurl.com/89yrrzc, Zugriff 18.4.2012.

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