topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Griechen retten Banken "Selber Schuld", sagen einige deutschsprachige Medien, Worte wie "Sozialschmarotzer", "Steuerhinterzieher" und "südländischer Schlendrian" zieren in Balkenlettern Zeitungscover.

Griechen retten Banken

Internationales

Die Troika rettet lieber europäische Banken, anstatt Griechenland nachhaltig zu sanieren, indem Impulse für Wachstum und Beschäftigung gesetzt werden.

Die Löhne werden gekürzt, der Sozialstaat wird zusammengestrichen. Alles, wofür wir immer gekämpft haben, wird zerstört." Nach zwei Jahren Griechenland-Rettung durch EU und Internationalen Währungsfonds (IWF) fällt das Resümee von Vassilis Xenakis, dem internationalen Sekretär der Gewerkschaft ADEDY, negativ aus.

Die Bevölkerung zahlt

Griechenland 2012: Fast ein Drittel der Menschen lebt an oder unter der Armutsgrenze, Prognosen sprechen von einer Rezession bis zu 30 Prozent, und immer mehr Kinder sind unterernährt. Eine Viertelmillion Menschen müssen sich auf öffentliche Unterstützung verlassen, um zu täglicher Nahrung zu kommen. "Der Mindestlohn wurde um 22 Prozent gesenkt, bei Jugendlichen sogar um 30 Prozent. Die Arbeitslosigkeit steigt unaufhörlich und beträgt unter Jugendlichen bereits 43 Prozent. Die Sparmaßnahmen wurden nicht auf zahlungskräftige Menschen ausgerichtet, sondern auf ArbeiterInnen und Angestellte im Privatsektor, wo in Griechenland ohnehin die niedrigsten Löhne gezahlt werden", berichtete Xenakis bei einer VÖGB-Veranstaltung Ende März in Wien. Die griechische Bevölkerung bezahlt einen hohen Preis für die Krise, die durch unverantwortliche Spekulation und Korruption verursacht wurde.
Griechenland, Oktober 2009: Die sozialistische PASOK gewinnt die Parlamentswahlen, Giorgos Papandreou wird Ministerpräsident. Seine Regierung muss bald feststellen, dass das Defizit weit über der von der konservativen Vorgängerregierung angegebenen Marke liegt - statt sechs Prozent sind es zwölf oder 13.
Im Mai 2010 einigte sich die Troika aus Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und IWF auf finanzielle Unterstützung Griechenlands - 110 Mrd. Euro in Form von Kreditzusagen. Verbunden wurde das mit der Entmündigung Griechenlands, mit dem Aufzwingen unerträglicher Sparmaßnahmen.
Xenakis: "Mit dem ersten Sparpaket wurde uns versprochen, dass wir aus den Staatsschulden herauskommen. Stattdessen sind Verschuldung und Defizit gestiegen. Die Troika konnte bisher keine Lösung finden. Warum sollte ich ihr in Zukunft vertrauen?" Auch Helene Schuberth, Chefökonomin der Österreichischen Nationalbank, sagte: "Es ist nicht sinnvoll, in Zeiten geringen Wachstums oder gar einer Rezession den Ländern ein Nulldefizit zu oktroyieren." Alle Anstrengung sei ausschließlich auf die Konsolidierung konzentriert, dabei vernachlässige man viele andere Dinge, die man ebenfalls tun müsse.

ÖGB fordert Kurswechsel der EU

"Langsam dämmert offenbar auch der EU-Kommission, dass ihr einseitiger Sparkurs in die Sackgasse führt", kritisierte ÖGB-Präsident Erich Foglar am Aktionstag des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB) am 29. Februar. "Der notwendige politische Kurswechsel steht aber noch aus. Wir brauchen eine eindeutige Abkehr von der bisherigen Politik, die das Sparkorsett immer enger zieht und den Mitgliedsstaaten keinen Spielraum für Investitionen in Wachstum und Beschäftigung lässt. Das skandalöse Vorgehen der Troika tut ihr Übriges und diktiert den betroffenen Staaten Einschnitte in soziale Grundrechte und massive Lohnsenkungen. Die betroffenen Menschen rutschen direkt in die Armutsfalle." Eine solche Politik könne keine Wachstumsimpulse hervorbringen, sondern führe in die Rezession und verstärke damit die Schuldenspirale, so Foglar.

Es geht um die Banken

Von der "Rettung" durch die Troika profitieren aber nicht die Länder, schreibt Andreas Wehr in seinem Buch "Griechenland, die Krise und der Euro"1: "Tatsächlich werden mit dem 'Rettungspaket‘ und dem 'Rettungsschirm‘ die Forderungen der Banken gegenüber Griechenland und den anderen Defizitländern der Eurozone abgesichert." Er empfiehlt als Alternative Euro-Bonds oder zumindest gemeinsame Anleihen einiger EU-Staaten; das würde dazu führen, dass Griechenland Kredite beinahe zu so günstigen Konditionen wie Deutschland bekommen könnte. Dass es um die Banken geht und nicht um die griechische Bevölkerung, wurde zuletzt wieder Anfang März 2012 deutlich, als ein Sperrkonto für die griechischen Steuereinnahmen verlangt wurde. Von diesem sollten Kredite bedient werden, anstatt Pensionen, Löhne und Sozialleistungen auszubezahlen.
Die Löhne wurden also gekürzt, die Preise gingen aber nicht nach unten. Der Präsident des griechischen Gewerkschaftsbundes GSEE, Giannis Panagopoulos, sagte schon im Juli 2010. "Der IWF hat zwar das Wissen, wie man Löhne beschneidet. Was er uns aber nicht verrät, ist, wie man die Preise drückt. Verglichen mit den anderen Euro-Ländern liegt das Preisniveau in Griechenland bei 93 Prozent, das Lohnniveau aber nur bei 63 Prozent." Seitdem sinkt der Lebensstandard weiter beständig.
"Selber Schuld", sagen einige deutschsprachige Medien, Worte wie "Sozialschmarotzer", "Steuerhinterzieher" und "südländischer Schlendrian" zieren in Balkenlettern Zeitungscover. Gewerkschafter Xenakis: "Wir alle haben Fehler gemacht. Wir versuchen sehr hart, einen Weg aus der Krise zu finden. Doch ist Griechenland nur wegen der Fehler in der Krise oder aus anderen Gründen?"

Imperialistische Tradition

Heinz A. Richter, ehemaliger Professor für neugriechische und zypriotische Geschichte an der Universität Mannheim, sucht Antworten in der Geschichte. Ende des 15. Jahrhunderts entfernten die osmanischen Besatzer die davor herrschenden Oligarchen aus dem Amt. Es blieben lokale Dorfbürgermeister, die die Interessen der Besatzer vertraten, zu Macht und Geld kamen, und - um sich Loyalitäten zu sichern - Geld und "Jobs" verteilten. Der Klientelismus war geboren. Den zentralen Staat hielt man hingegen für einen Ausbeuter. "Steuervermeidung und Diebstahl von staatlichem Eigentum waren typische Abwehrreaktionen. Diese Einstellung zum Staat wurde zu einer Tradition, die bis heute fortwirkt", schreibt Richter.
Die Tradition machten sich später europäische Imperialisten zunutze, zum Beispiel Otto von Wittelsbach - "ein König von der Großmächte Gnaden, und Griechenland wurde zum Klientelstaat der europäischen Mächte." Später folgte die Metaxas-Diktatur, dann Besatzung und wirtschaftliche Ausbeutung durch Nazi-Deutschland.
Der zweite Weltkrieg ging dann fast direkt in den Bürgerkrieg zwischen den Linken, die als Partisanen gegen die deutsche Besatzung gekämpft hatten, und den von Großbritannien und den USA unterstützten Royalisten über. Zwischen 1967 und 1974 herrschte die rechtsextreme Obristendiktatur - die Demokratie hatte keine Chance.
Nach 1974 regierten abwechselnd die konservative Nea Demokratia und die sozialistische PASOK. Griechenland blieb ein Klientelstaat, der Geld an seine AnhängerInnen verteilte - seit dem EU-Beitritt 1981 allerdings immer mehr davon, auch Fördermittel sowie Geld von den internationalen Geldmärkten, das jetzt zu niedrigen Zinsen zu bekommen war. Mit dem Wechsel von der Drachme zum Euro wurden die Kredite noch billiger. Mehr Geld wurde aufgenommen, vom Staat, von Banken, von Privaten. Aber der geliehene Wohlstand wurde nicht investiert, etwa in den Aufbau einer konkurrenzfähigen Industrie, sondern er floss in den Konsum bzw. auf Schwarzgeldkonten im Ausland. Dazu Historiker Richter: "Was für die westeuropäischen Staaten ein Gewinn war, entpuppte sich für Griechenland letztlich als Fluch."

Steuerfreiheit für die Reichsten

Die reichsten Griechen, die großen Reeder, müssen nahezu keine Steuern zahlen. "Ein weiterer Aspekt des Klientelismus2 ist die faktische Steuerfreiheit der Reichen. Die politische und wirtschaftliche Oligarchie war und ist aufs engste verfilzt und sorgt dafür, dass die gesamte Oberschicht steuerfrei bleibt", schreibt Richter. Für die Staatsausgaben haben also die ArbeitnehmerInnen und Kleingewerbetreibenden aufzukommen. Wenn die Troika mit ihren Auflagen dafür sorgt, dass die ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen, die Jugendlichen und die Arbeitslosen die Zeche für die Krise zahlen müssen, entspricht das also einer griechischen Tradition.
"Dieses Europa verliert zunehmend die Unterstützung der Menschen", stellte ÖGB-Präsident Foglar fest: "Man braucht schlicht und einfach einen Sozialpakt, damit der Fiskalpakt letztendlich relativiert wird und wir nicht eine reine Wettbewerbs-, Sozial- und Lohn-Dumpingunion sind."
 

1 Griechenland, die Krise und der Euro. PapyRossa Verlag, 2010.
2 Athener Klientelismus. Die politische Kultur Griechenlands und die Wurzel der Schuldenkrise. In: Lettre International 96, Frühjahr 2012.

Schreiben Sie Ihre Meinung
an den Autor
florian.kraeftner@oegb.at 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum