topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
EU-Weißbuch zu den Pensionen An mehreren Stellen wird betont, dass der Arbeitsmarkt und die Erhöhung der Beschäftigungsquoten in allen Altersgruppen für die Bewältigung des demografischen Wandels und für die Erreichung der Pensionsziele eine ganz zentrale Rolle spielen müssen.

EU-Weißbuch zu den Pensionen

Schwerpunkt

Im Dokument zu angemessenen, sicheren und nachhaltigen Pensionen und Renten wird der "Abhängigkeitsquoten-Rechner" der AK Wien zitiert.

Am 16. Februar 2012 hat die EU-Kommission ein Weißbuch zum Thema Pensionen veröffentlicht. Vorangegangen waren die Präsentation eines Grünbuchs im Juli 2010 und ein daran anschließender europaweiter Konsultationsprozess. Bemerkenswert ist u. a., dass der in der AK Wien entwickelte "Abhängigkeitsquoten-Rechner" in das zentrale EU-Dokument zu den Pensionen Eingang gefunden hat.

Rolle der EU

Zuerst ein paar Worte zur Rolle der EU in der Pensionspolitik. Formal betrachtet sind die EU-Kompetenzen gering, da die nationalen Regierungen und Parlamente für die Ausgestaltung der Pensionssysteme verantwortlich sind. In der politischen Realität stellt sich das allerdings oft anders dar, vor allem aus zwei Gründen:

  • die in den Ländern geführten Pensionsdebatten werden in beträchtlichem Maß von den Analysen und Positionierungen der EU beeinflusst,
  • über den Umweg der Budgetvorgaben wird auf die Mitgliedsstaaten erheblicher Druck ausgeübt, die öffentlichen Pensionsausgaben in möglichst engen Grenzen zu halten.

Als zentrales Ziel des Weißbuchs nennt die EU-Kommission die Skizzierung einer Pensionsstrategie für "angemessene, sichere und nachhaltige Pensionen". Damit sollen "die Reformbemühungen in den Mitgliedsstaaten unterstützt" werden. Wo unmittelbare EU-Kompetenzen gegeben sind (Personenfreizügigkeit, Finanzdienstleistungen etc.) stellt sie auch legislative Aktivitäten in Aussicht, insbesondere eine Überarbeitung der Pensionsfonds-Richtlinie und die Schaffung einer Richtlinie zur Übertragbarkeit von (Betriebs)Pensionsansprüchen.   Grob gesprochen kann der Inhalt des Weißbuchs in zwei Teile gegliedert werden - in "alte" und "neue" Aussagen, d. h. in Aussagen, die aus früheren Dokumenten übernommen wurden und in solche, die neu sind. 

Was gibt es Neues?

  • Das Weißbuch hebt sich in einigen Punkten deutlich - und durchaus positiv - von dem ab, was in den letzten Jahren von SprecherInnen der Kommission zu hören war.
  • An mehreren Stellen wird betont, dass der Arbeitsmarkt und die Erhöhung der Beschäftigungsquoten in allen Altersgruppen für die Bewältigung des demografischen Wandels und für die Erreichung der Pensionsziele eine ganz zentrale Rolle spielen müssen.
  • Damit sind Themen wie gute Ausbildung und Arbeitsplätze für die Ju-gend, Vereinbarkeit von Beruf und Familie etc. endlich auch Gegenstand in der Pensionsdebatte.
  • Es wird klargestellt, dass Demografie bzw. die Altenquote (Zahl der Menschen im Pensionsalter relativ zur Zahl der Menschen im Erwerbsalter) allein wenig aussagt. Als springender Punkt ("the real issue") wird demgegenüber im Weißbuch die im Abhängigkeitsquoten-Rechner der AK verwendete ökonomische Abhängigkeitsquote (Zahl der  PensionistInnen und Arbeitslosen relativ zur Zahl der Erwerbstätigen) herausgestrichen.

Allein schon die Feststellung, dass die Fokussierung auf Demografie entschieden zu kurz greift, ist als erheblicher Fortschritt zu betrachten. In einfachen Worten: Je höher die Beschäftigungsquote, desto niedriger die ökonomische Abhängigkeitsquote. Wie hoch das Potenzial zu einer Anhebung der Beschäftigungsquoten ist, zeigt bereits die Tatsache, dass derzeit in Österreich ca. ein Drittel der Bevölkerung in der Altersgruppe von 15-64 Jahren nicht erwerbstätig ist.

  • Die zentrale Bedeutung der ökonomischen Abhängigkeitsquote wird im Weißbuch mit folgendem Beispiel aus dem  Abhängigkeitsquoten-Rechner de-monstriert: Bei EU-weiter Erreichung einer durchschnittlichen Beschäftigungsquote auf dem Niveau der derzeit besten EU-Länder würde diese Quote zwischen 2010 und 2050 nur von derzeit 65 Prozent auf 79 Prozent steigen, obwohl sich die Altenquote in diesem Zeitraum fast verdoppeln wird.

Das Beispiel macht deutlich, dass die aus den Vorhersagen der Demografen  abgeleitete Kostenexplosion bei den Pensionen weitgehend Unsinn ist bzw. mit einer sinnvollen  Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik ganz massiv entschärft werden kann - und das ohne drastische Erhöhung des Pensionsalters.

  • Im Weißbuch wird ausdrücklich betont, dass eine Anhebung des Pensionsalters nur dann Erfolg haben kann, wenn die Bedingungen für einen längeren Verbleib im Erwerbsleben verbessert werden. Ebenso wird hervorgehoben, dass hierfür umfangreiche Maßnahmen (alternsgerechte Arbeitsorganisation, Teilhabe an Weiterbildung etc.) erforderlich sind. Bemerkenswert ist auch der Hinweis darauf, dass sowohl die Arbeitsmarktchancen älterer ArbeitnehmerInnen als auch die (Rest-)Lebenserwartung in verschiedenen Berufsgruppen sehr unterschiedlich liegen.  

"Alte" Empfehlungen

Bedauerlicherweise sind die angesprochenen "neuen" Erkenntnisse des Weißbuchs ohne Einfluss auf die zentralen Pensionsempfehlungen geblieben. Die politischen Kräfteverhältnisse in der Kommission und in den zentralen EU-Ländern haben offenbar eine Umorientierung nicht zugelassen.  Wie schon in etlichen Vordokumenten (zuletzt z. B. in den "Annual Growth Reports") lauten die beiden zentralen Empfehlungen a) Koppelung des Pensionsalters an die steigende Lebenserwartung und b) Ausbau der privaten Altersvorsorge. Wenig überraschend ist, dass die Empfehlung der Anhebung des Pensionsalters in der medialen Berichterstattung zum Weißbuch das höchste Interesse gefunden hat. Zum Nachdenken Anlass geben sollte dabei allerdings, dass die extremste Deutung der Aussagen der Kommission in Österreich erfolgte, wo z. B. im ORF von einer EU-Forderung nach einem Pensionsalter von 72 Jahren berichtet wurde! Das steht so weder im Weißbuch noch in den begleitenden Dokumenten, die auf der EU-Homepage zu finden sind, und wurde in dieser Form in keinem einzigen anderen EU-Land berichtet! Der Ausbau der privaten Vorsorge wird als Faktum in vielen Mitgliedsländern festgestellt und inhaltlich mit den sinkenden Versorgungsniveaus in vielen öffentlichen Systemen begründet (weil diese auf hohem Niveau auf Dauer angeblich nicht finanzierbar seien). 
Unerwähnt bleibt dabei z. B., dass eine Verlagerung von öffentlichen zu privaten Systemen keine Kostenersparnis  bringt. Im Gegenteil: Die öffentlichen Systeme sind in aller Regel deutlich günstiger, da sie geringere Verwaltungskosten, keine Bewerbungs- und Vertriebskosten und keine Gewinnverrechnung aufweisen. Dazu kommt, dass die im Umlageverfahren finanzierten öffentlichen Systeme nicht den Kapitalmarktrisiken ausgesetzt sind und soziale Ausgleichsmechanismen wie Anrechnung von Zeiten der Kindererziehung beinhalten, die in privaten Systemen nicht gegeben sind. Das Beharren auf dem Ausbau der kapitalbasierten privaten Altersvorsorge legt den Schluss nahe, dass die Kommission aus der Finanzmarktkrise nichts gelernt hat. So ganz stimmt das allerdings nicht:  Unter Verweis auf die negativen Erfahrungen der letzten Jahre wird zumindest auf die Notwendigkeit hingewiesen, den Regelungsrahmen für die privaten Anbieter von Altersvorsorgeprodukten zu überprüfen und vor allem die Sicherheit und Kosteneffizienz zu verbessern.

FAZIT
Wenngleich "alte", sehr problematische Botschaften im Weißbuch dominieren, bieten die "neuen" Aussagen einen guten Ansatzpunkt zur Umorientierung der bisher fast nur auf Demografie, Pensionsalter und Ausbau der Privatvorsorge fokussierten Debatte. Erforderlich ist eine Gesamtstrategie für eine ökonomisch sinnvolle und sozial verträgliche Bewältigung des demografischen Wandels. Dem Arbeitsmarkt kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu.
Die Umsetzung der Forderungen von Gewerkschaften und AK nach Abbau der Arbeitslosigkeit, besserer Aus- und Weiterbildung, mehr Gesundheitsschutz, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Invaliditätsprävention, alternsgerechten Arbeitsplätzen etc. und nach einer beschäftigungsfördernden Wirtschafts- und Budgetpolitik ist der beste Weg zur Sicherung guter Pensionen auch für die heute Jüngeren.

Internet:
Demografie und Sozialstaat:
tinyurl.com/czw672t 

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autoren
josef.woess@akwien.at 
erik.tuerk@akwien.at 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum