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Arme, kranke Erde In Oberösterreich statt auf den Malediven Urlaub zu machen, verhindert Wohlfühlen nicht.

Arme, kranke Erde

Schwerpunkt

Tiefgreifende klimapolitische Maßnahmen wären seit Jahren überfällig, das ist allen klar. Aber wer könnte dafür sorgen, dass hier wirklich etwas weitergeht?

Die Fakten zum Klimawandel sind unbestritten, auch wenn immer wieder SchönrednerInnen meinen, das alles sei ja eh nicht so schlimm. Eindeutig und klar ist: Wir Menschen in den Industriestaaten, natürlich auch wir ÖsterreicherInnen, belasten und misshandeln unseren Planeten gewaltig. Elf Tonnen CO2 produziert und 70 Tonnen Materie verbraucht hier jeder Mensch im Schnitt pro Jahr, und die Rohstoffvorräte werden rasch weniger.

Was heißt nachhaltig?

Nachhaltig heißt, den Verbrauch aller nicht nachwachsenden Rohstoffe radikal drosseln, sie rasch durch andere ersetzen. Unersetzbare Metalle in einen geschlossenen Kreislauf überführen, also vollständig recyceln. Energie aus Wasserkraft, dem Wind und der Sonne gewinnen, damit aus Atomkraft, Erdöl, Erdgas und Kohle aussteigen, den Wasserhaushalt schützen und den Naturverbrauch stoppen.
Eine echte, starke Klimapolitik sieht anders aus, als das leichte "Grünfärben", das heute gemacht wird, indem Energiesparlampen zwangsweise eingeführt werden (die völlig kontraproduktiv sind), als nur Energiekennzeichnung bei Elektrogeräten, verbale Begeisterung fürs Recycling oder ein paar Elektroautos. Eine umfassende nachhaltige Klimapolitik würde stattdessen auf Suffizienz und eine Abkehr vom Wirtschaftswachstum, diesem heute universell und religiös benutzten Mantra, setzen: Genauso wie jedem/jeder klar sein müsste, dass die Lebenserwartung von Menschen nicht ewig steigen wird, kann es auf einem begrenzten Raum wie unserem Planeten nicht unbegrenztes Wachstum geben.

Nachhaltigkeit ist gerechte Verteilung

Starke Klimapolitik würde die Umweltgrenze akzeptieren und einen zweiten Schwerpunkt in der Verteilungsgerechtigkeit sehen. Wohlstand ist nicht nur zwischen Nord- und Südhalbkugel, sondern auch in den reichen Ländern ungerecht verteilt. Vom Wachstum haben vor allem die reichen Bevölkerungsgruppen profitiert, keine Frage. Mit dem Shareholder-Kapitalismus und der Finanzindustrie hat sich das noch intensiviert. Ein dritter Schwerpunkt wäre eine umfassende Erwerbsarbeitszeitverkürzung, um Erwerbsarbeit für alle zu schaffen.
Gerechtere Verteilung ohne Wachstum mag schwerer durchzusetzen sein - unmöglich ist sie nicht. Auch vorsichtige Ökonomen, etwa Karl Aiginger, Leiter des WIFO, sagen das.1 Auf die Frage, ob es ob es seiner Meinung nach eine Wirtschaftswelt ohne Wachstum geben könne, antwortete er: "In Entwicklungs- und Schwellenländern bedeutet Wachstum weniger Armut und weniger Kindersterblichkeit. In Industrieländern ist Nullwachstum im Prinzip vorstellbar, aber bei einer ganz anderen Umverteilung."
Echte Nachhaltigkeit, das wäre natürlich auch Suffizienz, Verzicht. Das ist ein Unwort in unserer Konsumgesellschaft, die auf materielle Belohnung aufgebaut ist. Aber wenn Güter weniger oft gekauft werden müssen weil sie länger nutzbar sind, führt das zu keiner Verschlechterung der Lebensqualität. In Oberösterreich statt auf den Malediven Urlaub zu machen, verhindert Wohlfühlen nicht. Und das T-Shirt um 3,99 Euro, das die ostasiatische 14-Stundentag-Arbeiterin mit ihrer Sklaverei durch Textildiscountketten möglich machen muss, ist für ein zufriedenstellendes Leben nicht lebenswichtig.
Die Finanzkrise scheint heute nur mit Wachstum lösbar. Alternativlos - sagen viele politische AkteurInnen, für Klimapolitik ist derzeit eine schlechte Zeit. Paradoxerweise wird gleichzeitig durch rigorose Sparpolitik seitens der EU, der EZB und des IWF Wachstum abgewürgt. Allerdings: Der Klimawandel geht inzwischen weiter.

AkteurInnen für starke Klimapolitik

AkteurInnen, das wären Interessengruppen, in erster Linie Interessenorganisationen, also gebündelte und legitimierte "Stimmen", die aus ihrem Vertretungsanspruch heraus agieren. Auf sich allein gestellte VerbraucherInnen oder BürgerInnen verändern nichts, es braucht AkteurInnen, die hier antreiben. Grundsätzliches Problem von großen Organisationen ist, dass neue Ziele nur langsam angegangen werden können. Sie sind wie große Frachtschiffe, deren Kurs nur langsam änderbar ist, vor allem auch, da auf Mitglieder Rücksicht zu nehmen ist, wenn man nicht auf intensive Bildungsarbeit gesetzt hat.
Für konservative Parteien ist echte Klimapolitik, in Hinblick auf ihre Klientel, wohl schwer vorstellbar. Bleiben also sozialdemokratische, linke und grüne Parteien, die auch schon aufgrund ihrer grundsätzlichen historischen Reichweite dafür infrage kämen.
Jedoch sind diese Parteien heute zu sehr in eine auf Wählerzustimmung verfasste Medien-Postdemokratie verfangen, um aus dieser "kurzfristigen Wählerfalle" herauszukommen. Vor allem, wenn man statt auf breite Bildungsarbeit auf Werbung gesetzt hat. Genau das führt dann auch dazu, dass große Mehrheiten der Politik skeptisch gegenüberstehen.

Gewerkschaften

Die Gewerkschaften haben die sozialpolitischen Fortschritte des vorigen Jahrhunderts durchgesetzt und mittlerweile auch eine gewisse Sensibilität für Umweltfragen entwickelt. Ihr interessenpolitischer Kernbereich ist natürlich der Erwerbsarbeitsplatz geblieben; für eine strukturell andere Interessenpolitik - und das wäre Klimapolitik zweifellos - werden sich Gewerkschaften nicht sehr begeistern können, noch dazu, wo das Wachstumsparadigma wesentlich mit gewerkschaftlichen Kernzielen wie Verteilungspolitik (Lohnentwicklung), Arbeitsplatzsicherung, neuen Arbeitsplätzen und betrieblicher Mitbestimmung verwoben ist.
Verbraucherorganisationen haben sich schon früh mit Umweltfragen des Konsums beschäftigt. Sie haben dabei ihr eigenes Leitbild gespalten und einerseits die traditionelle "Opferperspektive" (VerbraucherInnen sind Opfer der Marktmacht der AnbieterInnen) beibehalten, andererseits eine nachhaltigkeitsorientierte "Akteursperspektive" (VerbraucherInnen könnten mit dem Kauf nachhaltiger Güter die AnbieterInnen hin zur Nachhaltigkeit lenken) entwickelt. Jedoch sind auch Verbraucherorganisationen in den pragmatischen Diskurs von Interessenpolitik hineinverwoben. Mit starker Klimapolitik verlören sie interessenpolitische AuseinandersetzungspartnerInnen (Unternehmerverbände, Administrationen, Medien), bei denen sie verbraucherpolitische Ziele durchsetzen wollen.

Umweltorientierte NGOs

Organisationen wie attac, Greenpeace, WWF, Global 2000 und viele andere - wollen sie eine echte Klimapolitik machen? Versucht man den Aktivitäten dieser Gruppen nachzuspüren, fällt die Bilanz bescheiden aus. Es sind im Wesentlichen punktuelle Dinge, die sie in die Öffentlichkeit befördern: Indigene, Fischfang und Wale, Tiger und Amazonas, Atomstrom, die Ölpest im Nigerdelta, humanes Banking und Schutz der Kröten. Für Suffizienz tritt niemand ein.
Die Themen entsprechen den Sentiments der politikverdrossenen BürgerInnen, und sie passen zu den hochkommerziellen Akquisitionsmethoden vieler dieser Gruppen.
Manchmal gehen diese NGOs auch den Interessen der Unternehmensseite auf den Leim. Etwa beim Glühlampenverbot und der gefeierten Durchsetzung der Energiesparlampe oder bei der Elektromobilität mit dem E-Auto und dem E-Fahrrad. Große strukturelle Veränderungen haben diese NGOs offenbar nicht im Sinn.

FAZIT
Ohne einen starken Akteur wird es keine starke Klimapolitik geben. Ein solcher Akteur ist jedoch nicht in Sicht. Das kann man im Interesse des Planeten und der künftigen Generationen bedauern, aber klar aussprechen sollte man es auch.

1 Christine Klafl: Aiginger: Zum Wirtschaftswachstum verdammt, in: Kurier, 29.12.2011

Internet:
Mehr Infos unter:
tinyurl.com/crfholm 

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