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Raumnot Während man auf der einen Seite versucht, die Abwanderung in Grenzen zu halten, prägt die Ausweitung dünn besiedelter, weitläufiger Einfamilienhausgebiete die Raumordnungspolitik vieler boomender Gemeinden.

Raumnot

Schwerpunkt

Um nachhaltig zu leben und zu wirtschaften braucht es Raum - da oder dort werden wir zusammenrücken müssen.

Jegliche Nachhaltigkeit beginnt am Standort. Der Raumordnung kommt daher, quasi als Produzentin von Standortqualitäten, innerhalb der Nachhaltigkeitsstrategie große Bedeutung zu. Anforderungen an den Raum sind dabei vielfältig und beinhalten Ver- und Entsorgung (Einkaufsmöglichkeiten, Restaurants, Gasversorgung usw.), Freizeit, Verkehr, Bildung (Kindergärten, Schulen und Hochschulen), Gesundheit (Ärztinnen/Ärzte, Krankenhäuser, Pflege), Land- und Forstwirtschaft, Bergbau, Wohnen und Arbeit.

Standortqualität

Die Raumordnung soll diesen unterschiedlichen Anforderungen entsprechen, im Falle von Konflikten ausgleichen und für künftige Raumnutzungen Vorsorge treffen. Entscheidend hierbei ist, inwieweit die Möglichkeiten der persönlichen und gesellschaftlichen Entfaltung über die Ausstattung des Standortes und dessen unmittelbaren Umfeldes garantiert werden können. Daraus ergibt sich die Standortqualität. Instrumente der Raumordnung sind einerseits sehr grob gehaltene überregionale Regelungen wie Stadt- und Landesentwicklungskonzepte, andererseits werden in Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen die Nutzungsmöglichkeiten einzelner Grundstücksteile oder Gebäude sehr detailliert geregelt. Hauptfestlegungen sind in diesem Zusammenhang die Einteilungen der Grundstücke in Wohnbauland, Gewerbe- und Industriebereiche, Verkehrsflächen und Zonen für Land- und Forstwirtschaft sowie Festlegungen über Gebäudehöhen, Lage der Bauten, Dichtewerte, technische und ästhetische Anforderungen.

Zersiedelung

Die Raumordnung ist in den letzten Jahrzehnten dadurch geprägt, dass die Agglomerationen und dabei ganz besonders das Stadtumland, der sogenannte Speckgürtel, eine dynamische Entwicklung erfahren haben. Diesem Zuwachs steht ein Bevölkerungsrückgang in den strukturschwachen Gebieten und den Randlagen gegenüber. Während man auf der einen Seite versucht, die Abwanderung in Grenzen zu halten, prägt die Ausweitung dünn besiedelter, weitläufiger Einfamilienhausgebiete die Raumordnungspolitik vieler boomender Gemeinden. Die Anzahl der Wohnungen in solchen Streusiedlungen hat sich um 50 Prozent, in manchen Gemeinden sogar um 100 Prozent erhöht.1 Zudem gibt es für landwirtschaftliche Gebäude kaum Regelungen, zum Teil kann die Gemeinde hier nicht einmal mitgestalten. Unmittelbare Folge davon ist die Zersiedelung: Einer flächenmäßig enormen Zunahme der bebaubaren Zonen steht im Verhältnis ein eher mäßiger Bevölkerungszuwachs gegenüber.
An diesen Standorten ist eine unmittelbare Erfüllung der unterschiedlichen Bedürfnisse oft nicht gegeben. Das liegt daran, dass Infrastrukturen wie Supermärkte, Kindergärten, Apotheken, Schuhgeschäfte usw. für den wirtschaftlichen Betrieb eine Mindestkundenfrequenz benötigen, die es in dünn besiedelten Gebieten schlicht nicht gibt. Das gilt insbesondere für die Versorgung mit Verkehrsmitteln. Auch diese benötigen Mindestpassagierzahlen. Eine U-Bahn oder eine Straßenbahn ist daher für einsame Streusiedlungen nicht finanzierbar. Die BewohnerInnen sind ebendort - denn sie müssen sich zur Bedürfnisbefriedigung räumlich bewegen - auf andere Alternativen angewiesen. Im besten Fall gibt es eine gute Busverbindung. Oft bleibt allerdings nur der eigene Pkw. Dieser gilt zwar als Massengut, schließt aber konsequent den Großteil der Bevölkerung aus: jene, die zu jung, zu alt, zu krank oder zu arm sind. Besonders belastet sind untere Einkommensschichten, die auf einen Pkw angewiesen sind.

Nicht Melkkühe der Nation

Zusätzlich verursacht der (künstlich erzeugte) Straßenverkehr die bekannten Nebenerscheinungen: Verknappung des öffentlichen Raums vor allem in Ballungsgebieten, gesundheitsgefährdende Abgase, Lärm, Staus, Unfälle usw. Dabei wird vom Staat auch noch kräftig zugeschossen. Die offizielle österreichische Wegekostenrechnung 20002 (WKR) widerlegt eindeutig die oft propagierte Aussage, wonach die AutofahrerInnen die Melkkühe der Nation seien. Laut WKR trägt der Straßenverkehr nur rund ein Drittel seiner Kosten selbst, den "Rest" übernimmt die Allgemeinheit durch massive finanzielle Unterstützung. Autoverkehr fördernde Strukturen sind daher einer gerechten und nachhaltigen Verteilung abträglich.
Ebenso sind in dünn besiedelten Bereichen die Erschließungskosten - etwa für die leitungsgebundene Infrastruktur (Wasser, Kanal, Strom, Gas, Straße) - weitaus höher als in dichter bebauten Gebieten. Je Wohneinheit sind die Erschließungslängen schlicht größer. Im Verhältnis zum freistehenden Einfamilienhaus liegen die Infrastrukturkosten3 je Wohneinheit beim Reihenhaus bei lediglich 46 Prozent, die des Geschosswohnbaus sogar nur bei 27 Prozent. Da über Aufschließungsabgaben nicht sämtliche Kosten gedeckt werden, muss auch hier (öffentlich) kräftig zugeschossen werden.

Energieausweis für Siedlungen

Im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung sind die energetischen und klimatischen Auswirkungen gesamter Siedlungen - und nicht nur einzelner Gebäude - zu berücksichtigen. Schließlich hat selbst ein "Passivhaus" am Waldesrand in Summe (also inkl. Infrastrukturkosten, Verkehrskosten usw.) einen massiven Einfluss. Mit dem Energieausweis für Siedlungen4 können die Auswirkungen für unterschiedliche Siedlungstypen aufgezeigt werden. Dem Energieausweis zufolge haben beispielsweise Einfamilienhäuser, ohne Berücksichtigung von Berufs- und Freizeitverkehr, bereits einen doppelt so hohen CO2-Ausstoß wie verdichtete Bauformen.

Klein- und Mittelzentren

Die Fortführung der gegenwärtigen Trends in der Raumentwicklung ist, so verständlich die Wünsche der/des Einzelnen nach einem freistehenden Einfamilienhaus zum Teil auch sein mögen, weder finanzierbar noch umwelt- und gesundheitspolitisch vertretbar. Neben der Forcierung einer kompakten Siedlungsstruktur mit entsprechenden Dichtewerten in der Verbauung gilt es, polyzentrische Strukturen zur wohnortnahen Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen zu schaffen.
Demografisch stabile Klein- und Mittelzentren sollten als Träger der Daseinsvorsorge die ländlichen Räume stützen. Ein siedlungsferner Neubau ist zu vermeiden und die Siedlungstätigkeit im zentralen Ortsteil zu konzentrieren. Die Innenentwicklung muss der Außenentwicklung vorgezogen werden. Folglich haben die Gemeinden eine aktive Boden- und Wohnbaupolitik zu betreiben, um steuernd auf die Verfügbarkeit von leistbarem Bauland und leistbarem Wohnen auch in kompakteren Siedlungsstrukturen einzuwirken. Beispielhaft wird dabei auf Gebühren und Abgaben bei nicht adäquater Nutzung der Liegenschaft und die Regelungen des Salzburger Raumordnungsgesetzes verwiesen, das Gebietskörperschaften die Möglichkeit einräumt, massiv in die Baulandmobilisierung, nicht zuletzt für den geförderten sozialen Wohnbau, einzugreifen. Gleichermaßen wird auf die einzigartige Wohnbauleistung der Stadt Wien hingewiesen, die mit über 220.000 Gemeindewohnungen und fast ebenso vielen geförderten Wohnobjekten im Genossenschaftsbereich mäßigend auf die Wohnpreisentwicklung einwirkt. Die Einführung einer neuen Widmungskategorie "geförderter Wohnbau" könnte hier negative Effekte des Bodenmarktes eindämmen.

Eine Frage der politischen Courage

Letztlich ist die Zersiedelung mit ihren Auswüchsen hinsichtlich induziertem Verkehr, Land- und Ressourcenverbrauch eine Frage der politischen Courage. Solange der freie Verkehr vor den Gesundheitsschutz und solange der schrankenlose Flächenverbrauch vor eine ökologische und wirtschaftliche Entwicklung gestellt wird, muss jegliche Nachhaltigkeitsstrategie scheitern. Denn will man wissen, was einer verpflichtend nachhaltigen Raumordnung fehlt, ist die Antwort: ebendiese.

1 Österreichische Raumordnungskonferenz ÖROK, Schriftenreihe Nr. 148: Siedlungsstruktur und öffentliche Haushalte, Wien 1999, www.oerok.gv.at 
2 Wegekostenrechnung 2000, Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie, Wien 2001, www.bmvit.gv.at 
3 Infrastrukturkostenstudie Salzburg, Salzburger Institut für Raumordnung und Wohnen, Salzburg 2007, www.sir.at 
4 Emrich Consulting, Energieausweis für Siedlungen, Wien 2010, www.emrich.at 

Internet:
Infrastrukturkostenstudie Salzburg:
www.sir.at 

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