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Das Recht auf Arbeit Immerhin 19 Prozent der Befragten leiden unter einer unangenehmen Körperhaltung, vielfach in der Branche Handel und im Gesundheits- und Sozialwesen.

Das Recht auf Arbeit

Schwerpunkt

Damit der Mensch nicht zur Wegwerfware am Arbeitsmarkt wird, müssen Ressourcen genutzt werden. Vom Schonen, Reparieren und Reintegrieren.

Nachhaltiger Umgang mit der Ressource "Arbeitskraft" beginnt am Arbeitsplatz. Dabei ist es wichtig herauszufinden, wo Belastungsfaktoren liegen. Deshalb führte die humanware GmbH in Kooperation mit AK und ÖGB die Online-Erhebung "Ich mess’ den Stress!" durch, die auch für eine Diplomarbeit an der Uni Wien genutzt wurde. Über 4.000 Menschen nahmen an dieser Erhebung teil.
Immerhin 19 Prozent der Befragten leiden unter einer unangenehmen Körperhaltung, vielfach in der Branche Handel und im Gesundheits- und Sozialwesen. "Viele Arbeitsplätze sollten von Anfang an richtig gestaltet und auf die dort arbeitenden Menschen abgestimmt sein. Und nicht erst dann, wenn erste gesundheitlichen Beschwerden auftreten", erklärt die für das Projekt verantwortliche Arbeits- und Gesundheitspsychologin Martina Molnar.

Arbeitszufriedenheit im Vergleich

Während Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen zwar bei Körperhaltung und Arbeitsstoffen ausgeprägte physische Belastungen zeigen, sind etwa die Werte der Arbeitszufriedenheit und körperlichen wie psychischen Verfassung sehr positiv. Sehr konträr: Die negativste körperliche Verfassung findet sich in der Branche Finanzen und Versicherungen und die negativste Arbeitszufriedenheit ist in Handel, Information/Kommunikation und öffentlicher Verwaltung feststellbar. Molnar, Gründerin des Instituts humanware GmbH (www.humanware.at): "In den Unterrichtsberufen ist Lärm die ärgste Belastung. Da nützt es nichts, wenn LehrerInnen gratis Yogastunden erhalten." Fazit: Gezielte Prävention und Gesundheitsförderung statt Nachsorge.
Doch wenn die Arbeitsbedingungen den Menschen verdrängen, der erste Arbeitsmarkt ihn ausspuckt, bleibt langfristige Beschäftigungslosigkeit.

Eine zweite Chance

Seit 14 Jahren ist das Reparatur- und Service-Zentrum, kurz R.U.S.Z, eine Nachhaltigkeits-Institution für entsorgte Geräte und Menschen. Sepp Eisenriegler, 59, ist ausgebildeter AHS-Lehrer - seinen Schuldienst hat er nie angetreten, in den 1980er-Jahren kam ihm die Projektvorbereitung für "die umweltberatung" dazwischen.
Eisenriegler spezialisierte sich auf Abfall, blieb dabei und gründete das R.U.S.Z - erst ein sozialökonomischer Betrieb mit AMS-Förderung. Ökologisch, ökonomisch und sozial:  "Wir waren 1998 der erste nachhaltige Betrieb Österreichs und haben aus der Sicht des AMS hoffnungslose Fälle reintegriert." Beschäftigungslose und Menschen mit Behinderung reparieren gebrauchte Elektrogeräte, die wieder verkauft werden. Credo: "Länger nutzen statt öfter kaufen."
Martin Österreicher, Sänger beim Augustin-Stimmgewitter und ehemaliger R.U.S.Z-Mitarbeiter, bringt es auf den Punkt: "Mit der Reparatur des Fernsehers repariere ich mich selbst." Auch die aktuelle Eigenentwicklung "Waschmaschinen-Tuning" (Energieeffizienz-Steigerung alter Waschmaschinen) spendet den Reparateuren neue Kraft. Innerhalb von zehn Jahren konnten 71 Prozent der Transitarbeitskräfte in Beschäftigungsverhältnisse vermittelt werden. Ende 2007 wurde das R.U.S.Z privatisiert. "Für das AMS üben wir zu hochschwellige Tätigkeiten aus, doch sie wollen die sozialökonomischen Betriebe niederschwellig halten. Andere Betriebe sperrten zu, wir haben privatisiert." Neben einer weiblichen Teilzeitkraft in der Administration sind derzeit ausschließlich Männer beschäftigt: zwölf Vollzeitkräfte, zwei Lehrlinge, die zu Bürokaufmännern ausgebildet werden, und drei Teilzeitkräfte. "Wir sind jetzt diejenigen, die wir früher als sozialökonomischer Betrieb gerne als Kooperationspartner gehabt hätten. Wir sind jetzt erster Arbeitsmarkt." Dank R.U.S.Z sind auch das ReparaturNetzwerk Wien (www.reparaturnetzwerk.at) und die TrashDesignManufaktur (www.trashdesign.at) im ehemaligen Tochterbetrieb Demontage- und Recycling-Zentrum D.R.Z entstanden. Vieles wurde repariert - Maschinen mit gravierenden Schäden und Menschen mit schweren Schicksalen.

300 Bewerbungen, 19 Antworten

Eisenriegler hat ein gutes Beispiel zur Hand: Männlich, 45 Jahre, Opfer der strukturellen Arbeitslosigkeit. Die Elektrotechnikfirma siedelte die Produktion in ein Billiglohnland ab, kündigte 150 MitarbeiterInnen. Eineinhalb Jahre und 300 Bewerbungen später - 19 negative Antworten, die restlichen AdressatInnen  ignorierten ihn -, begann der Mann zu trinken. "Er wusste nicht mehr, weshalb er aufstehen sollte, wurde geschieden und sein soziales Umfeld beschränkte sich auf Saufkumpane im Wirtshaus." Nach ein paar Stunden Sozialbetreuung machte ihm Eisenriegler einen Vorschlag: "Ich wollte ihm die Latte hoch legen und habe ihn als Fahrer eingesetzt. Morgens musste er in den Alkomat blasen, hatte genau drei Chancen negativ zu sein. Ich musste den Advocatus Diaboli spielen, denn Schulterklopfen allein ist leider nicht genug." Es hat geklappt - inzwischen hat der Mann wieder einen Job in seiner Branche.
Sepp Eisenriegler wünscht sich Sozialwirtschaft als dritten Sektor: "Unternehmungen, die den Profit nicht an die erste Stelle setzen und eine soziale Komponente leben." Einen Plan gegen Arbeitslosigkeit hat er auch: "Wer länger als ein halbes Jahr arbeitslos ist, müsste etwa von der PVA auf seine Leistungsschwächen durchgecheckt werden. Menschen mit 70 Prozent Leistungsfähigkeit müssen eine Chance bekommen, der Betrieb erhält für die 30 Prozent Leistungsdefizit einen Ausgleich. Wenn sich Betriebe davon freikaufen wollen, dann müssen sie eine schmerzhafte Ausgleichstaxe zahlen."

Der zweite Arbeitsmarkt

LOK heißt Leben ohne Krankenhaus (www.lok.at). Der gemeinnützige Verein wurde 1989 in Wien gegründet, um Wohnraum und Arbeitsmöglichkeit für geistig behinderte und psychisch kranke Menschen zu schaffen. Heute gibt es drei Beschäftigungsprojekte: LOK Couture (Secondhand-Mode bis Eigenproduktionen, www.lokcouture.at), das LOKal (von Kaffee trinken bis Plattenwaschservice, www.daslokal.net) und LOK unverblümt (lok-unverbluemt.at) - mehr als ein Blumenladen, den die ausgebildete Heilpädagogin Andreja Kumer, 37, leitet. Das Repertoire reicht von Schnittblumen und Topfpflanzen bis Zustell-, Blumengieß-, Umtopf- und Pflege-Service.
30 betreute MitarbeiterInnen teilen sich in Vormittags- und Nachmittagsgruppen auf. Kumer: "Im Gegensatz zu anderen Beschäftigungsprojekten müssen die Leute bei uns nicht täglich kommen, sondern können ihre Zeiten mit LOK je nach ihren individuellen Möglichkeiten vereinbaren." Ein Kontingentplatz kann so auch von zwei Personen genutzt werden. Voraussetzung für einen Platz ist eine Bewilligung für Tagesstruktur vom Fonds Soziales Wien.

Schwierig für herkömmliche Firma

Quer durch den psychiatrischen Gemüsegarten vorhanden sind die Krankheitsbilder der betreuten MitarbeiterInnen, viele haben Krankheiten aus dem schizophrenen Formenkreis. Lange Krankenstände verhindern Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt: "Für eine herkömmliche Firma ist es schwierig, damit umzugehen und die Bereitschaft fehlt. Meine Position wäre schon, dass die Abschlagszahlungen erhöht werden." Das Betreuungsteam setzt sich u. a. aus einer Kunsttherapeutin, einer Behindertenbetreuerin und einem Gärtner zusammen. "Bei uns geht es darum, durch regelmäßige Arbeit zu stabilisieren, Soft Skills wie Pünktlichkeit, Kritikfähigkeit und Verlässlichkeit zu erarbeiten. Wir bieten einen Rahmen, sich mit der eigenen Krankheit auseinanderzusetzen und bieten Unterstützung in Krisenzeiten", erklärt Kumer.

200 Menschen auf der Warteliste

Pro Stunde gibt es ein Taschengeld von zwei Euro, was vom Monatsgewinn übrig bleibt, wird an die MitarbeiterInnen ausgeschüttet. Rund 200 Menschen finden sich auf der Warteliste für die Projekte, die BewerberInnen werden dabei immer jünger. "Wir bieten die niederschwelligsten Projekte, die es für chronisch psychisch kranke Menschen gibt. Die Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt ist nicht das primäre Ziel, doch auf Wunsch unterstützen wir das natürlich." Dabei ist etwa der Integrationsfachdienst Jobwärts von Jugend am Werk (www.jaw.at) behilflich.

Internet:
Zum Download:
"Ich mess’ den Stress!"

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