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Arbeiten für das Recht Deshalb gilt der Rat, die Arbeit zu dokumentieren, selbst wenn es noch keine Probleme mit dem/der DienstgeberIn gibt. Schreiben Sie sich also Ihre Arbeitszeiten, Überstunden, Kilo­meter, Entfernungszulagen etc. auf.

Arbeiten für das Recht

Schwerpunkt

Am Arbeits- und Sozialgericht Wien werden pro Jahr über 18.000 Fälle verhandelt, damit ArbeitnehmerInnen zu ihrem Recht kommen.

Der Pizzakoch kramt in seinem Telefon. Gesucht wird die Telefonnummer seiner ehemaligen Arbeitgeberin, die zwar die beklagte Partei ist, jedoch nicht vor dem Richtersenat erscheint. Der letzte telefonische Kontakt liegt zwei Wochen zurück. Er habe oft probiert sie anzurufen, um sich außergerichtlich zu einigen, so der 1961 geborene und als Koch tätige Mann. 3.836,17 Euro plus Zinsen sind der Streitwert. Von diesem in der Pizzeria von Jänner bis März 2011 erarbeiteten Geld hat er keinen Cent gesehen. Weder seinen Lohn, noch Weihnachts- oder Urlaubsgeld oder andere Sonderzahlungen. Gearbeitet hat der Pizzakoch von 11-14.30 und 17-23 Uhr, sechs Tage die Woche. Der Richter sowie die beiden Laienrichter zu seiner Seite sind sich schnell einig. Nach einer halben Stunde Verhandlung und fünf Minuten Beratung ist das Urteil gefällt. Die beklagte Partei muss das Geld binnen 14 Tagen zahlen bei sonstiger Exekution. Da die Lokalbesitzerin jedoch nicht anwesend ist, wird es wohl bis in den Sommer dauern, bis man an den Insolvenzfonds kommt und der Kläger sein Geld sieht, so der Anwalt zum Koch nach der Verhandlung.

Alltag am Arbeits- und Sozialgericht

Dieser Fall ist Alltag am Arbeits- und Sozialgericht Wien in der Wickenburggasse im 8. Bezirk. 6.131 Arbeitsrechtsfälle sowie 12.025 Sozialrechtsverfahren wurden hier im Jahr 2011 abgewickelt. 39 Richterkapazitäten, die sich auf 42 Abteilungen aufteilen, sind Tag für Tag damit beschäftigt, Streitigkeiten bezüglich eines Arbeitsverhältnisses zu klären. Den größten Brocken hierbei machen Differenzen bei der Beendigung eines Dienstverhältnisses aus - sei es in Form von Kündigungsanfechtungen oder in Form von offenen Ansprüchen. Auch Streitigkeiten während eines aufrechten Dienstverhältnisses sind zu klären. Dazu kommen Mobbing-Fälle oder auch immer wieder die Frage, ob denn überhaupt ein Dienstverhältnis besteht.
Das Arbeitsrecht ist ein komplexes Gebilde. Der Gesetzgeber hat hier alles, was mit einem Abhängigkeitsverhältnis zwischen DienstnehmerInnen und DienstgeberInnen im weitesten Sinn zu tun hat, in die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts gelegt. Das österreichische Arbeitsrecht umfasst die Gesamtheit der Bestimmungen, welche die Rechte und Pflichten zwischen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen regeln. Es besteht aus einer gewachsenen Struktur an Gesetzen (z. B. Angestelltengesetz, Urlaubsgesetz), Verordnungen, Kollektivverträgen, Betriebs- und Einzelvereinbarungen. "Da scheiden im Wesentlichen nur mehr die Vorstandschefs aus. Wir decken also die gesamte Bandbreite ab, von Führungspersönlichkeiten bis hin zu einfachen ArbeiterInnen", so Dr. Walter Schober, Richter am Arbeits- und Sozialgericht Wien.
Viel an Arbeit für das Gericht wird bereits im Vorfeld durch die Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen, die Arbeiterkammer, abgefangen. Durch die Pflichtmitgliedschaft der ArbeitnehmerInnen in der AK haben diese, wenn sie ihre Ansprüche geltend machen wollen, den Vorteil, dass ihnen die AK mit Beratung, Anwältinnen bzw. Anwälten und vor allem mit einem Rechtsschutz zur Seite steht. Dadurch ist es für viele erst möglich, sich überhaupt auf eine Auseinandersetzung einzulassen, denn durch den Rechtsschutz hat man zum ­Einen nicht damit zu rechnen, die Prozesskosten übernehmen zu müssen, zum Anderen wird man durch erfahrene Juris­tInnen der AK vertreten und betreut. Bis ein Fall vor dem Gericht landet, werden schon Schreiben an die ArbeitgeberInnen geschickt. Bleiben alle Vermittlungsversuche fruchtlos, bringt die AK eine Klage ein und der Fall kommt vor den/die RichterIn, der/die bei der Verhandlung von zwei fachkundigen LaienrichterInnen unterstützt wird.

Fachkundige LaienrichterInnen

Die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit wird in der ersten Instanz in Dreiersenaten ausgeübt. Diese setzen sich aus einem/einer RichterIn und zwei fachkundigen LaienrichterInnen zusammen, wovon grundsätzlich je eine/einer dem Kreis der ArbeitgeberInnen und dem der ArbeitnehmerInnen angehört. Der/die BerufsrichterIn führt den Vorsitz. Die fachkundigen LaienrichterInnen sollen ihr Erfahrungswissen aus ihren Branchen in die jeweiligen Verfahren einbringen, um lebensnahe und praxistaugliche Verfahren zu ermöglichen. Sie haben die Aufgabe, der Verhandlung zu folgen, Fragen zu stellen und Sachverhalte aufzuklären. Für Dr. Walter Schober sind die beiden LaienrichterInnen "ein sehr wichtiger Bestandteil, weil da wirklich viel Erfahrung einfließen kann. Sechs Augen sehen und hören auch einfach mehr." Für die Wahl der fachkundigen LaienrichterInnen sind die beruflichen Interessenvertretungen zuständig. Die LaienrichterInnen werden für eine einheitliche Amtsdauer von fünf Jahren gewählt und können wiedergewählt werden. Sie müssen ein Mindestalter von 24 Jahren haben, dürfen das Höchstalter von 65 Jahren nicht überschreiten und sollen Angehörige der Berufsgruppe sein, für die die fachkundigen LaienrichterInnen zu wählen sind. Ferner müssen sie das Wahlrecht zum Nationalrat haben. Reich wird man als LaienrichterIn nicht, es besteht jedoch Anspruch auf Kostenersatz.

Wirtschaftskrise und Arbeitsrecht

Die Unterstützung der LaienrichterInnen für die RichterInnen ist in Anbetracht der Anzahl der Fälle dringend notwendig, gerade auch in wirtschaftlich schlechteren Zeiten. "Die wirtschaftliche Lage ist schon ein gewisser Parameter für uns und wir spüren die Auswirkungen stark. Das war zumindest in der Vergangenheit so. 2009, als die Wirtschaftskrise gekommen ist, haben wir uns allerdings etwas anderes erwartet als eingetreten ist", so Dr. Schober. "Es war immer so, dass bei schlechter wirtschaftlicher Lage die Kündigungsanfechtungen zugenommen haben. Aber wir hatten 2009 6.415 Arbeitsrechtsfälle, im Jahr 2006 hingegen 7.610 Fälle, obwohl 2006 von der Wirtschaftslage her kein auffälliges Jahr war. Man kann hier also keine eindeutigen Rückschlüsse ziehen." Über die Motive der ArbeitnehmerInnen sind nur Mutmaßungen möglich. "Vielleicht waren das die Leute, die gesagt haben: Jetzt geht es eh allen schlecht, dann beharre ich nicht auf meinem Recht. Es gab ja auch Modelle mit Kurzzeitarbeit und aufgrund der schlechten, von den Medien transportierten Wirtschaftslage hat sich offensichtlich keiner getraut aufzumucken. Bevor ich irgendetwas tue, schaue ich lieber auf den Arbeitsplatz, akzeptiere vielleicht etwas weniger Lohn, weniger Arbeit, aber der Arbeitsplatz ist gesichert", vermutet Dr. Schober.
Soll man nun den Weg zum Gericht gehen? "Das ist eine persönliche Entscheidung", so Richter Walter Schober. "Die Struktur ist sicher so, dass jeder die Möglichkeit hat, durch den Rechtsschutz der AK und der Gewerkschaften - sofern man Mitglied ist - hier auf dem Arbeits- und Sozialgericht ein rasches Verfahren und eine Entscheidung zu bekommen. Ob man es jedoch tut, hängt von vielen Faktoren ab. Bei einem aufrechten Dienstverhältnis muss man abwägen, ob man auf Konfrontation geht, weil es möglicherweise Auswirkungen hat. Bei der Beendigung eines Dienstverhältnisses ist die Hemmschwelle geringer. Aber es gibt viele Menschen, die belastet ein Verfahren einfach, die möchten sich dem Druck nicht aussetzen."
Kommt es zu einem Verfahren, so ist die Vorbereitung von essenzieller Bedeutung, wie Dr. Schober erläutert. "Es empfiehlt sich bei unklaren Sachverhalten ein Gedächtnisprotokoll anzufertigen, aber nicht Jahre oder Monate ­später, sondern zeitnah, weil da die Wahrnehmung noch am unmittelbarsten ist. Das Problem ist, dass Anlässe und Vorfälle natürlich besprochen werden und durch diese Gespräche im Bekannten- und Freundeskreis verwandelt sich die Geschichte." Dr. Walter Schober nennt ein wirksames Prinzip: "Wer schreibt, der bleibt." "Gerade Arbeitszeitaufzeichnungen sind wichtig. Grundsätzlich sind DienstgeberInnen verpflichtet, diese zu führen, was jedoch oft nicht passiert. Deshalb ist es wichtig, dass die DienstnehmerInnen eigene Aufzeichnungen haben. Dann müsste der Dienstgeber das Gegenteil beweisen, aber ohne Arbeitszeitaufzeichnungen wird er sich schwer tun." Deshalb gilt der Rat, die Arbeit zu dokumentieren, selbst wenn es noch keine Probleme mit dem/der DienstgeberIn gibt. Schreiben Sie sich also Ihre Arbeitszeiten, Überstunden, Kilometer, Entfernungszulagen etc. auf. Damit sind Sie schon auf einer sichereren Seite, sollten Sie den Weg in die Wickenburggasse zum Arbeits- und Sozialgericht antreten.

Internet:
AK-Kurse für LaienrichterInnen:
tinyurl.com/7gzhaak
Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor
martin.haiden@aon.at 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 

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