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Für eine bessere Welt Die OECD-Leitsätze für multinationale Unter­nehmen sind konkrete Empfehlungen der Regierungen der OECD-Mitgliedsländer und weiterer acht Staaten2 an alle multinationalen Unter­nehmen aus oder in den Unterzeichnerstaaten.

Für eine bessere Welt

Schwerpunkt

Mit den OECD-Leitsätzen gelingt es, soziale Rechte grenzüberschreitend im Konzern und der Güterkette durchzusetzen.

Transnationale Unternehmen können durch ihre grenzüberschreitenden Aktivitäten der Kontrolle und Regulierung durch Nationalstaaten entkommen. Und auf der internationalen Ebene fehlt es bis heute an einem verbindlichen globalen Rahmenwerk für die Regulierung von Unternehmen auf den Weltmärkten. Gewerkschaften sind deshalb darauf angewiesen, sich zur Lösung konkreter Probleme auf betrieblicher Ebene auf vorhandene Standards und Initiativen für unternehmerisches Handeln zu berufen. Unter den freiwilligen Verhaltenskodizes für multinationale Unternehmen, welche unter der Ägide von internationalen Organisationen1 seit den 1970iger-Jahren für eine Reihe von Problemfeldern verabschiedet wurden, sind die "OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen" wohl die bedeutendsten. Ihr Beschwerdeverfahren macht sie zu einem interessanten Instrument für internationale Gewerkschaftsarbeit.

137 Beschwerdefälle

So haben die Gewerkschaften in den letzten zehn Jahren 137 Beschwerdefälle bei den sogenannten Nationalen Kontaktpunkten eingereicht. Erfolgreich war die Beschwerde der indonesischen Lebensmittelgewerkschaft gegen die Konzernmutter Nestlé in der Schweiz 2009. Die Gewerkschaft wurde als Partner für KV-Verhandlungen mit ArbeitgeberInnen vor Ort anerkannt. Aber meist führt das Mediationsverfahren nicht zum großen Durchbruch und die BeschwerdeführerInnen müssen sich damit zufriedengeben, dass eine Verletzung der Leitsätze festgestellt wird. So auch bei der GPA-djp-Beschwerde gegen die überfallsartige Schließung des Novartis-Forschungsstandorts in Wien 2007.
Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen sind konkrete Empfehlungen der Regierungen der OECD-Mitgliedsländer und weiterer acht Staaten2 an alle multinationalen Unternehmen aus oder in den Unterzeichnerstaaten - damit sind rund 85 Prozent der transnationalen Konzerne weltweit erfasst. Sie beinhalten einen umfangreichen Katalog von Forderungen an Unternehmensführungen: für die Zusammenarbeit mit GeschäftspartnerInnen, den Umgang mit Gewerkschaften, bezüglich Umweltschutz, Korruptionsbekämpfung oder Wahrung von VerbraucherInnen­interessen. Die Leitsätze sind von allen beteiligten Parteien - Regierungen, ­Gewerkschaften, Wirtschaft und einigen NGOs - nach Diskussionen in der OECD angenommen worden. Dies zeichnet sie gegenüber allen anderen Instrumenten aus. 2011 wurden sie über­arbeitet; die Gewerkschaften konnten gemeinsam mit NGOs erhebliche Verbesserungen durchsetzen.
Die Staaten haben sich verpflichtet, die Leitsätze bekannt zu machen und ihre Einhaltung zu fördern. Hierzu haben sie für Beschwerden staatliche Schlichtungsstellen, die Nationalen Kontaktpunkte, einzurichten. Diese können von Gewerkschaften und NGOs genutzt werden, um Verletzungen der Leitsätze mit Unterstützung der Regierungen zu behandeln.

Ein Wohlverhaltensstandard

Für Unternehmen setzen die Leitsätze einen - nicht rechtsverbindlichen - Wohlverhaltensstandard. Die Einhaltung ist aber nicht beliebig, denn die Regierungen müssen bei Beschwerden aktiv werden und darauf hinwirken, dass das betreffende Unternehmen sein Fehlverhalten korrigiert, eine Art Schnittstelle zwischen verbindlich und unverbindlich im sogenannten "soft law"-Bereich. Die multinationalen Unternehmen einschließlich ihrer Zulieferbetriebe haben sich in allen Bereichen ihrer Geschäftstätigkeit an die Leitsätze zu halten. Sie können nicht einzelne Bestimmungen auswählen oder die Leitsätze selbst interpretieren.
Im Kapitel zu Beschäftigung und ­Sozialpartnerbeziehungen halten die Leitsätze die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) wie das Gebot der Vereinigungsfreiheit und das Verbot von Kinderarbeit, Zwangs­arbeit und Diskriminierung fest. Darüber hinaus beinhalten sie weiter­führende Bestimmungen, in denen der Arbeit­nehmerInnenvertretung eine große Bedeutung zukommt: Informationspflichten gegenüber und Konsultationen mit Betriebsräten, Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, ArbeitnehmerInnenschutzbestimmungen, Unterstützung des Zustandekommens von wirksamen KV-Regelungen. In Bezug auf Beschäftigungsbedingungen und sozialen Dialog dürfen Standards nicht weniger günstig sein als die von vergleichbaren Arbeit­geberInnen im Gastland. Bei Schließung eines Betriebes oder Massenentlassungen sind zeitgerecht mit Belegschaftsvertretung und Behörden Verhandlungen aufzunehmen, um einvernehmliche Lösun­gen möglich zu machen.
Die Standards gelten nicht nur für die Kernbelegschaft von Multis, sondern für alle Beschäftigungsformen wie Zeit-, Leih-, Gelegenheits- und indirekte Beschäftigung, auch in der Wertschöpfungskette. Gerade die weltweit tätige Großindustrie arbeitet zusehends mit kleiner Kernbelegschaft und least das Gros des Personals zu schlechteren Arbeitsbedingungen zu. Diese Geschäftspraktik verstößt gegen die Leitsätze!

Menschenrechte aufgenommen

Das Kapitel Menschenrechte ist neu in die Leitsätze aufgenommen worden. Die Unternehmen müssen grundsätzlich Menschenrechte achten. Mit dem Verweis auf Wertschöpfungsketten werden die Multis in die Pflicht genommen, Menschenrechtsverletzungen in den Zulieferbe­trieben nicht hinzunehmen, sondern Vor­sorgemaßnahmen zu ergreifen.
Wenn Verstöße gegen die Leitsätze vermutet werden, steht der Nationale Kontaktpunkt als Ansprechpartner zur Verfügung3. Beschwerdeführer sind meist Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen. So hat beispiels­weise die PRO-GE gemeinsam mit Südwind eine von der Textilgewerkschaft aus Sri Lanka herangetragene Beschwerde gegen ein österreichisches Unternehmen, das dort produzieren hat lassen, eingebracht. Eine Beschwerde kann formlos per Mail eingereicht werden, zu nennen sind Name sowie Adresse und es ist darzulegen, welche Bestimmungen verletzt wurden. Der Kontaktpunkt setzt sich mit dem Unternehmen in Verbindung, gibt ihm die Gelegenheit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen und versucht zu vermitteln. Er funktioniert wie eine Schlichtungsstelle und kann eine professionelle Mediatorin bzw. einen Mediator zuziehen. Wird keine einvernehmliche Lösung für das Problem gefunden, verfasst der Kontaktpunkt einen öffentlichen Bericht, in dem er den etwaigen Verstoß gegen die Leitsätze feststellt und Empfehlungen ausspricht, wie dies in Zukunft vermieden werden sollte. Hierbei hofft man, mit dem öffentlichen "Anprangern" und der damit verbundenen Rufschädigung das Unternehmen dazu zu bringen, in Zukunft die Leitsätze einzuhalten.
Die Arbeit des österreichischen Kontaktpunkts wird durch einen Lenkungsausschuss unterstützt, in dem Arbeiterkammer und ÖGB stimmberechtigte Mitglieder sind. Die Leitsätze sind meist nur Bestandteil einer Strategie, um einen Missstand zu bekämpfen. Es sollte also eine umfassende Strategie entwickelt werden, die zum Beispiel auch rechtliche Schritte, Thematisierung in anderen Gremien (Betriebsrat, Aufsichtsrat) oder Presse- und Öffentlichkeitsarbeit enthalten kann. Oft ist es sinnvoll, zunächst Vertraulichkeit zu wahren und sich den Gang an die Öffentlichkeit vorzubehalten, falls das Unternehmen anders nicht reagiert.

Wichtiger Orientierungsrahmen

Die OECD-Leitsätze werden meist an­gerufen, wenn Konzerntöchter oder deren Zulieferbetriebe im Ausland die ArbeitnehmerInnenrechte verletzen. Mit konkreten Beschwerden kann auf die ­Missstände bei Arbeitsbedingungen in Ländern mit weniger entwickelten Rechtssystemen aufmerksam gemacht und gemeinsam um Verbesserungen gekämpft werden. Aber auch jenseits von aktuellen Konflikten sind die OECD-Leitsätze ein wichtiger Referenz- und ­Orientierungsrahmen, wenn z. B. im ­Unternehmen europäische oder internationale Rahmenabkommen verhandelt werden.

Internet:
Österreichischer Nationaler Kontaktpunkt:
www.oecd-leitsaetze.at 
Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen:
tinyurl.com/6rcpv3q 
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
elisabeth.beer@akwien.at 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 
 

1 Weitere internationale Unternehmensleitlinien sind die "Dreigliedrige Grundsatzerklärung über Multinationale Unternehmen und Sozialpolitik" der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) und der Global Compact der UNO; ISO 26000 - Leitfaden sozialer Verantwortung von Organisationen.
2 Ägypten, Argentinien, Brasilien, Lettland, Litauen, Marokko, ­Rumänien und Peru
3 Der Österreichische Nationale Kontaktpunkt ist im Bundesminis­terium für Wirtschaft, Jugend und Familie angesiedelt: www.oecd-leitsaetze.at bzw. Kontakt: post@c25.bmwfj.gv.at 

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