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Arbeitsrechtsexpertin Sieglinde Gahleitner über Rechtssystem und Gleichbehandlung. Das Wichtigste ist, dass man sich rechtzeitig Kenntnis verschafft über seine Rechte und Pflichten. Wenn ein Konflikt entsteht, sollte man sich Beweise sichern, zum Beispiel ­Überstundenaufzeichnungen führen, Gesprächs­­protokolle anfertigen.
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Arbeit und Recht - Recht und Wirklichkeit

Interview

Arbeitsrechtsexpertin Sieglinde Gahleitner über Rechtssystem und Gleichbehandlung.

Arbeit&Wirtschaft: Frau Dr. Sieg­linde Gahleitner, Sie sind seit zwei Jahren Mitglied des Verfassungsgerichtshofs, Ihre juristische Karriere begann in der AK und das Thema Arbeitsrecht begleitet Sie seit mehr als 20 Jahren. Unser Schwerpunktthema lautet "Recht haben, Recht bekommen". Was hat sich im Laufe Ihrer Karriere im Arbeitsrecht verändert?

Sieglinde Gahleitner:  Im Arbeitsrecht hat sich sehr viel verändert. Dienstverhältnisse werden kurzfristiger, das bietet den ArbeitnehmerInnen weniger Sicherheit. Die Abfertigung neu hat einiges bewirkt: Es gibt jetzt weniger Streitigkeiten über unberechtigte Entlassungen - es wird nicht mehr versucht, Leute wegen der Abfertigung loszuwerden. Andererseits ist man durch die Abfertigung neu, weil sie wesentlich niedrigere Beträge bringt als die Abfertigung alt, nach einer Kündigung auch nicht mehr mit einem finanziellen Polster ausgestattet. Die technologischen Änderungen spielen natürlich auch eine große Rolle. Immer mehr Menschen arbeiten von zu Hause aus und können dadurch zwar eigenständiger agieren, im Arbeitsrecht wirft das aber viele Fragen auf.
Es kommt zu immer mehr prekären, freien Arbeitsverhältnissen, die nicht mehr den arbeitsrechtlichen Schutz genießen. Große Probleme sehe ich auch im Bereich der Gleichbehandlung - da hat sich in den letzten 20 Jahren viel zu wenig getan.

Wie sehen Sie die Novelle zum Gleichbehandlungsgesetz aus dem Vorjahr, da wird ja zum Beispiel Einkommenstransparenz verlangt?

Hier bräuchten wir, meiner Ansicht nach, noch viel stärkere Offenlegungspflichten. In den Stelleninseraten muss ja lediglich das kollektivvertragliche Mindestentgelt und nicht der tatsächliche Ist-Lohn angegeben und nur auf die Bereitschaft zur Überzahlung hingewiesen werden - das hindert aber ArbeitgeberInnen im Endeffekt nicht, Frauen und Männer doch nicht gleich zu bezahlen. Ein Problem ist, dass wir hierzulande über alles Mögliche gerne reden, nur nicht über unser Einkommen. Und es gibt natürlich Probleme in der Beweisführung bei Ungleichbehandlung. Es gibt nie zwei exakt gleich verlaufende Lebens- und Ausbildungsverläufe. Da kann man rasch sagen, der Kollege hat ein Seminar besucht oder zwei Jahre mehr Berufserfahrung, was für unsere Firma unentbehrlich ist und einen Mehrverdienst gegenüber der Kollegin rechtfertigt.
In Fragen der sexuellen Belästigung ist der Mindestschadenersatz auf 1.000 Euro angehoben worden - das finde ich aber noch immer zu niedrig. Da kommen die Belästiger zu billig davon und die abschreckende Wirkung wird damit nicht erreicht.

Seit 2010 sind Sie Mitglied des Verfassungsgerichtshofs - wie verknüpfen Sie diese Aufgabe mit Ihren Erfahrungen aus dem Arbeitsrecht?

Ich freue mich sehr über diese Aufgabe. Wir sind 14 RichterInnen, darunter vier Frauen, es kommt hoffentlich aber bald noch zumindest eine weitere Frau dazu. Die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs kommen aus den verschiedensten juristischen Kernberufen: RichterInnen, Staatsanwältinnen/Staatsanwälte, UniversitätsprofessorInnen, Beamtinnen/Beamte oder Rechtsanwältinnen/Rechtsanwälte. Sie stammen aus verschiedenen Bundesländern und verschiedenen beruflichen Umfeldern. Es ist eine sehr spannende Tätigkeit, Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsentscheidungen auf ihre Verfassungskonformität zu überprüfen und natürlich verwerte ich dabei auch meine Erfahrung als ehemalige Mitarbeiterin der AK und als Rechtsanwältin mit dem Schwerpunkt Arbeits- und Sozialrecht.

Vor etwa zehn Jahren hat der Verfassungsgerichtshof die im ASVG enthaltene Regel, dass das Regelpensionsalter für Männer mit 65 Lebensjahren, für Frauen mit 60 Lebensjahren angesetzt wird, wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung aufgehoben. Allerdings wurde das unterschiedliche Regelpensionsalter dann durch den Gesetzgeber mit langen Übergangsfristen abgesichert, was gerade wieder kräftig diskutiert wird.

Fragen der Gleichbehandlung sind oft in einzelnen Lebensbereichen schwierig zu beantworten. Was ist gleich, was ist ungleich? Kann ich eine Ungleichheit auf einem Rechtsgebiet durch eine ­gegenläufige Ungleichheit auf einem anderen Rechtsgebiet ausgleichen? Wie soll man die faktische Diskriminierung von Frauen durch gesellschaftliche Verhältnisse mit rechtlichen Gleichbehandlungsvorschriften ausgleichen? Auch die europäische Rechtslage müssen wir berücksichtigen. Das unterschiedliche Regelpensionsalter hat historische Gründe und war sicherlich ­eine "Errungenschaft". Frauen machen auch nach wie vor zwei Drittel der ­unbezahlten Arbeit in unserer Gesellschaft - wie wird das ausgeglichen? Frauen haben eindeutig nach wie vor massive Nachteile im Karriereverlauf aufgrund der Kindererziehung und der nach wie vor überwiegend von den Frauen getragenen Familienarbeit. Trotzdem kann man natürlich die ­Frage stellen, ob etwa für kinderlose Frauen, die eine ununterbrochene ­Erwerbslaufbahn absolviert haben, das unterschiedliche Pensionsantrittsalter tatsächlich gerechtfertigt ist. Manche Frauen haben auch durch die frühere Pensionierung Nachteile bei der Pen­sionshöhe.

Sie sprachen die europäische Rechtslage an - inwieweit hat diese Auswirkungen auf die Entscheidungen des Österreichischen Verfassungsgerichtshofes?

Das europäische Recht ist für uns eine zunehmende Herausforderung, denn im vereinten Europa hat natürlich auch das Grundrechtesystem der EU Einfluss auf innerstaatliches Recht und dessen Auslegung. Wir versuchen dazu beizutragen, ein kohärentes System der Rechtsprechung im Einklang mit nationalem und europäischem Recht zu schaffen. Neben dem Europäischen Gerichtshof, der in Fragen des Unionsrechtes angerufen werden kann, ist im Hinblick auf die Einhaltung der Menschenrechtskonvention auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ­eine wichtige Instanz.

Der Europäische Gerichtshof hat in den letzten Jahren auch einige ­Entscheidungen gefällt, die, so AK-Arbeitsrechtsdoyen Josef Cerny, gewerkschaftliche Grundrechte gefährden. Schlägt sich das Arbeitsrecht auf die UnternehmerInnenseite?

Es gibt einen gewissen Funktionsverlust des Arbeitsrechtes, aber die RichterInnen - auch hierzulande - sehen durchaus auch die Interessen der ArbeitnehmerInnen. Natürlich müssen auch die wirtschaftlichen Entwicklungen in der EU und weltweit gesehen werden. Die Globalisierung hinterlässt ihre Spuren.Wir sind nun mal Teil der EU und haben uns zu den damit einhergehenden Grundfreiheiten bekannt. Viele Arbeiten sind heutzutage nicht mehr orts­gebunden, man kann zum Beispiel die Buchhaltung nach Bratislava auslagern. Das führt naturgemäß zu einem gewissen Druck auf den Gesetzgeber, mehr Liberalisierung zuzulassen. Die EU ist eine Wirtschaftsunion, weniger eine Sozialunion. In den einzelnen Nationalstaaten gelten verschiedene arbeitsrechtliche Schutzvorschriften, die anderswo nicht existieren. Vergleiche ­werden angestellt und es entsteht der Druck zur Anpassung.
Das Arbeitsrecht und Rechte der ArbeitnehmerInnen hängen davon ab, welche Freiräume wir haben, und eine globalisierte Wirtschaft verändert diese Freiräume. Die Wirtschaftskrise leis­tet auch einen Beitrag zur Eindämmung von ArbeitnehmerInnenrechten.

Hat sich eigentlich - Ihrer Erfahrung nach - auch der Umgang der Menschen mit ihren Rechten geändert? Finden sich die Menschen eher mit Missständen ab, die damit "branchenüblich" oder "Gewohnheitsrecht" werden?

Ich habe schon den Eindruck gewonnen, dass wir immer mehr zur Konsumgesellschaft werden. Gerade bei jungen Menschen geht das politische Bewusstsein zurück, es wird weniger politisch gedacht und weniger ArbeitnehmerInnen sind bereit, sich z. B. gewerkschaftlich zu ­organisieren oder einen Betriebsrat zu wählen.

Welche Veränderungen, Weiterentwicklungen würden Sie sich im Arbeitsrecht wünschen?

Mir ist die Gleichbehandlung ein großes Anliegen. Es müsste daher bei Diskriminierungen und bei sexueller Belästigung Sanktionen mit massiverer Abschreckungswirkung geben.
Und ich würde mir eine stärkere Angleichung der Rechte von freien MitarbeiterInnen wünschen, z. B. bei Urlaub, Entgeltfortzahlung im Krankenstand und Kündigungsfristen.
Das arbeitsrechtliche Schutzniveau ist auch innerhalb der fixen Arbeitsverhältnisse sehr unterschiedlich: Nehmen wir z. B. den öffentlichen Dienst - viele der dort geltenden Schutzbestimmungen stammen aus Zeiten, in denen Beamtinnen/Beamte und Vertragsbedienstete weniger verdient haben als Angestellte in der Privatwirtschaft, dafür hatten sie z. B. besondere Arbeitsplatzsicherheit. Jetzt ist es umgekehrt: ArbeitnehmerInnen in der Privatwirtschaft verdienen in vergleichbaren Positionen häufig weniger als Beamtinnen und Beamte und haben - gerade in Zeiten wie diesen - berechtigte Angst vor dem Jobverlust.
Im Arbeits- und Sozialrecht gibt es - wie überall - "heilige Kühe", die irgendwann geschlachtet werden müssen. Nehmen wir z. B. die "Hacklerreglung": Es ist doch wirklich nicht einzusehen, dass Menschen, die ihr Leben lang unter besonders schweren Bedingungen gearbeitet haben, wie etwa Bauarbeiter oder Reinigungskräfte, kaum eine Chance haben diese Frühpension zu bekommen, weil sie die erforderlichen Versicherungszeiten im Regelfall nicht zusammen bekommen, während z. B. Angestellte in Bürojobs häufig als "Hackler" in Pension gehen. Das ist nur ein Beispiel für die "heiligen Kühe", die geschlachtet werden müssen. Wir können es uns nicht mehr leisten, an Regelungen festzuhalten, die die Kluft zwischen einer privilegierten Minderheit und einer immer prekärer arbeitenden Mehrheit vergrößern. Die Gewerkschaften sind hier auch für eine "Umverteilung" innerhalb der ArbeitnehmerInnenschaft in die Pflicht zu nehmen.

Gehört dazu auch der einheitliche ­ArbeitnehmerInnenbegriff?

Die Unterscheidung zwischen Angestellten und ArbeiterInnen hat ja Folgen, etwa bei der Entgeltfortzahlung im Krankenstand und bei den Kündigungsfristen - wenn ich nur an die ­BäckerInnen denke, die haben keinen einzigen Tag Kündigungsfrist. Da müssen bei einer Kodifikation des Arbeitsrechts Angleichungen gemacht werden. Diese Unterschiede sind nicht mehr zeitgemäß.

Wie sehen Sie die österreichische ­Sozialpartnerschaft?

Ich bin von der Sozialpartnerschaft überzeugt, sie ist ein funktionierendes System. Ein Pool von hochqualifizierten Expertinnen und Experten, die berechtigte Interessen vertreten und zu Kompromissen kommen, ist hier am Werk.
Und wie stehen Sie zum im österreichischen Arbeitsrecht gültigen Stufenbau der Rechtsordnung?

Der ist sinnvoll - nur bin ich der Ansicht, man sollte die Kollektivverträge in Richtung Betriebsvereinbarungen etwas mehr öffnen, um den betrieblichen Verhältnissen besser Rechnung tragen zu können.

Haben Sie als Arbeitsrechtsspezialistin auch das Gefühl, das Recht mitgestaltet zu haben?

In meiner Zeit in der AK Wien hatte ich Gelegenheit, auch im Gesetzgebungsprozess ein wenig mitzugestalten, etwa bei der Umsetzung von EU-Richtlinien. Als Rechtsanwältin habe ich hoffentlich vielen KlientInnen zu ihrem Recht verholfen und so manchen Konflikt durch einen guten ­Kompromiss aus der Welt geschafft. Als Richterin am Verfassungsgerichtshof habe ich eine von 14 Stimmen, die ich nach bestem Wissen und Gewissen erhebe.

Was für einen Tipp haben Sie für unsere LeserInnen, damit die auch Recht bekommen, wenn sie Recht haben?

Das Wichtigste ist, dass man sich rechtzeitig Kenntnis verschafft über seine Rechte und Pflichten. Wenn ein Konflikt entsteht, sollte man sich Beweise sichern, z. B. Überstundenaufzeichnungen führen, Gesprächsprotokolle anfertigen. In einem Rechtsstreit sollte man schließlich erkennen, wann es ­besser ist, einen Kompromiss zu schließen, bevor man sich verrennt. Um Recht zu bekommen, muss man immer dahinter sein - es ist ein permanenter Kampf.
 
Wir danken für das Gespräch.

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aw@oegb.at

Zur Person
Dr.in Sieglinde Gahleitner  
Geboren 1965 in St. Veit, Oberösterreich, Mutter zweier Kinder
1983-1989 Studium an der Universität Wien
1989 Promotion zur Dr. juris, Absolvierung Gerichtsjahr
1989-1995 Bundesarbeitskammer (Arbeitsschwerpunkte: Arbeitsrecht, Gesellschaftsrecht, Sozialpolitik)
1995-1998 Ausbildung zur Rechtsanwältin
1998-2010 Partnerin bei Grießer-Gerlach-Gahleitner
seit 2011 Rechtsanwältin Kanzlei Gahleitner
Funktionen:
1999-2010 Mitglied der Übernahmekommission
2005-2009 Mitglied des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien
Seit 2008 Stellvertretende Universitätsratsvorsitzende der Paris-Lodron-Universität Salzburg
2009-2010 Mitglied des ORF-Stiftungsrates
2009 Mitglied des Bundeseinigungsamts
Seit 2010 Mitglied des Verfassungsgerichtshofs

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