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Sparen und sparen und sparen ... In Zeiten, in denen Worte wie "Sparen" täglich die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, die Titelblätter aller Tageszeitungen und den Inhalt vieler Nachrichtensendungen füllen, herrscht in Österreich ein ungeheures Hickhack um die Schuldenbremse.

Sparen und sparen und sparen ...

Schwerpunkt

Die Schuldenbremse wurde beschlossen. Nun streitet Österreich darüber, ob sie auch in der Verfassung verankert wird.

Deutschland hat es vorgemacht, jetzt zieht Österreich nach: Ein Ergebnis beim Europäischen Rat Anfang Dezember 2011 war die Einigung auf eine Fiskalunion, die die deutsche Kanzlerin Angela Merkel gefordert hatte. Die Entwürfe sehen derzeit so aus: verschärfte Sparpolitik, noch strengere Budgetkontrolle und verpflichtende Schuldenbremsen. Die Alpenrepublik scheint eine Musterschülerin zu sein, denn kurz darauf entschloss sich die Bundesregierung zur gesetzlichen Verankerung eines strukturellen Nulldefizits (Schuldenbremse). Nach deutschem Vorbild darf das strukturelle Defizit ab 2016 nur noch 0,35 Prozent des BIP ausmachen. Somit soll der Schuldenstand der Republik - derzeit liegt dieser bei rund 74 Prozent des BIP - bis zum Jahr 2020/21 unter die EU-Grenze von 60 Prozent des BIP fallen. Ob es eine Verankerung der Fiskalregel in der Bundesverfassung geben wird, ist noch offen. Die Regierungsparteien führen diesbezüglich Gespräche mit der Opposition.

Scharfe Töne

In Zeiten, in denen Worte wie "Sparen" und "Sparpaket" täglich die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, die Titelblätter aller Tageszeitungen und den Inhalt vieler Nachrichtensendungen füllen, herrscht in Österreich ein ungeheures Hickhack um die Schuldenbremse. Die Regierung führt Gespräche über eine Verankerung derselben in der Verfassung, viele ÖkonomInnen und ArbeitnehmervertreterInnen sind dagegen und sprechen vom "Totsparen". Denn der Staat dürfe in schwierigen Zeiten nicht auf die Ausgaben-Bremse steigen, sich ganz auf das Sparen versteifen, sondern müsse die Konjunktur fördern. Scharfe Worte dazu kamen aus der Salzburger Arbeiterkammer: Die Schuldenbremse sei ein Blödsinn, eine Bankrotterklärung der Politik, eine Wachstumsbremse und ein Ungerechtigkeitsturbo, sagte AK-Salzburg-Präsident Siegfried Pichler. "Ausgerechnet jenen Spekulanten, die für die Krise 2008/09 verantwortlich waren, soll man es recht machen. Und wir zahlen wieder die Zeche." Er fordert eine Bekämpfung der Ursachen und nicht der Symptome.

AA+

Viele GegnerInnen der Schuldenbremse sehen sich im Recht, und Österreich kommt nicht zur Ruhe. Die bereits angeschlagene Stimmung in der Regierung verschlechterte sich mit dem Entzug des Triple-A-Status durch die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) im Jänner. Im Nationalrat lieferte sich die Regierung einen Steuerstreit: Die Opposition machte die Regierung für den Bonitätsverlust verantwortlich, die Koalition zerstritt sich untereinander bezüglich der Einführung neuer Steuern. Während BZÖ und FPÖ von Letzteren nichts wissen wollten, appellierte Werner Kogler von den Grünen für mehr Steuergerechtigkeit: "Wenn nur die Hälfte von dem kommt, was in wirtschaftlich entwickelten Ländern als Vermögensbesteuerung üblich ist, würde Österreich innerhalb der Maastricht-Kriterien liegen." Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP) warf der Opposition vor, nur aus parteipolitischem Kalkül die Schuldenbremse nicht in der Verfassung verankert zu haben. Den eigenen Schuldenberg will Fekter jedoch nicht mit neuen Steuern abbauen: "Wir haben in Österreich eine ausgesprochen hohe Abgabenquote. Wir haben keine Einnahmenprobleme." Auf die Aussagen der Finanzministerin konterte SPÖ-Klubchef Josef Cap, dass ein Kahlschlag des Sozialstaates mit der SPÖ nicht stattfinden werde: "Man darf Sparen nicht zur Ideologie machen", sagte Cap. Auch die Weltbank warne davor, dass sich Europa kaputtzusparen drohe. "Nötig sei eine sozial gerechte Konsolidierung. Dabei geht es nicht um neue Steuern, sondern um das Schließen von Steuerlücken."

Sozialpartner bleiben außen vor

Viele Kritikpunkte kommen auch vom Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB): Der Fiskalpakt fördere noch strengere Sparmaßnahmen und biete keinerlei Wachstumsperspektiven. Die Staaten würden noch weiter in die Krise gedrängt, so der EGB. Ein Fiskalpakt müsse Hand in Hand gehen mit einem "Sozialpakt für Europa" - Vorrang für Investitionen in nachhaltige Wirtschaft, qualitative Arbeitsplätze und soziale Gerechtigkeit, bei gleichzeitiger Bekämpfung sozialer Ungleichheiten. Insbesondere schließt der Pakt die Sozialpartner völlig aus und übergeht außerdem das EU-Parlament weitgehend. Auch der neue Fraktionsvorsitzende der Progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten im Europäischen Parlament, Hannes Swoboda, ist nicht überzeugt: "Der Fiskalpakt ist ein irrelevanter, fehlkonstruierter Pakt, der nichts bringt. Er ist nur eine Erfindung der Frau Merkel, um die Gemüter zu Hause zu beruhigen."

Fallbeispiel Deutschland

Während in Deutschland über ökonomischen Sinn und Unsinn der Schuldenbremse relativ breit diskutiert wurde, findet in Österreich zum großen Teil nur eine Debatte über die Verankerung der Schuldenbremse in der Verfassung statt. Nicht beachtet werden dabei wesentliche Punkte, die zu ungelösten Fragen und Problemen führen können. Dazu gehören zum Beispiel die fehlende Berücksichtigung der negativen Wachstums- und Beschäftigungswirkung in der Übergangsphase oder die unsicheren Schätzmethoden sowie die damit einhergehende unzuverlässige Entscheidungsgrundlage für die Budgetpolitik - Punkte, die auch in Deutschland für viel Skepsis sorgen. Achim Truger, Experte für öffentliche Haushalte im Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in Düsseldorf und einer der fundiertesten Kenner der Schuldenbremse in Deutschland, sagt: "Die Schuldenbremse droht Europa in eine tiefe Wirtschaftskrise zu führen. Sie ist ein Politikexperiment mit unwissendem Ausgang und ein Ausdruck extremer Panik - und Panik hat mit einer rationale Auseinandersetzung nichts zu tun." Angesichts der Euro-Krise und der für viele Staaten aufgrund steigender Risikoprämien immer größer werdenden Schwierigkeiten, sich auf den Finanzmärkten zu refinanzieren, wird die deutsche Schuldenbremse schnell zur Ursache für die im internationalen Vergleich sehr erfolgreiche Haushaltskonsolidierung und die günstigen Finanzierungsbedingungen des deutschen Fiskus erklärt. Doch in ihrer Detailanalyse der deutschen Schuldenbremse zeigen Truger und sein Kollege Henner Will genau auf, dass das gewählte technische Verfahren zur Ermittlung des strukturellen Defizits des Bundes extrem komplex und dadurch intransparent ist. Die Einführung einer Schuldenbremse nach deutschem Vorbild in anderen Euroraum-Krisenstaaten halten sie für den Fortbestand des Euro für extrem gefährlich. Vor allem deshalb, weil sie die Ursachen der Eurokrise in unzulässiger Weise auf eine unsolide Finanzpolitik in den gegenwärtigen Krisenstaaten verengt, außenwirtschaftliche Ungleichgewichte sowie die Verantwortung der gegenwärtig wirtschaftlich starken Euro-Länder fast völlig ausblendet.

Weder transparent noch einfach

Ein wesentlicher Kritikpunkt der Analyse ist auch, dass die deutsche Fiskalregel, wie sie vom Bund implementiert wurde, weder transparent noch einfach ist und sogar lange Zeit auch für FachwissenschafterInnen nicht nachvollziehbar gewesen sei. Ein weiteres großes Problem bei der deutschen Schuldenbremse sehen die Experten darin, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein ausgeglichener Haushalt verlangt wurde, ohne bestehende Lücken zuvor geschlossen zu haben. Das bedeute, dass die öffentlichen Haushalte jahrelang in eine strikte ausgabenseitige Sparpolitik getrieben würden, was wiederum negative Folgen für Wachstum und Beschäftigung habe sowie zu erheblichen Einbußen bei der Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Gütern, Dienstleistungen und sozialer Sicherheit führe.

Österreich soll seinen Weg gehen

Negativ bewerten sie weiters, dass die Auswirkungen der Schuldenbremse von der Wahl des Konjunkturbereinigungsverfahrens abhängen würden. "Das Budget 2011 wurde vom Bund verabschiedet, unklar ist immer noch, welches Verfahren dabei verwendet wurde. Die Länder haben noch bis 2020 Zeit, vielleicht haben wir dann in Deutschland 17 unterschiedliche Schuldenbremsen, eine für den Bund, 16 für die Länder, denn die technische Umsetzung bleibt die Entscheidung des Wirtschafts- und Finanzministeriums", sagt Truger und betont, dass Österreich seinen eigenen Weg gehen und Rücksicht auf Wachstum sowie Beschäftigung nehmen soll.

Internet:
Zum Vortrag von Achim Truger in der AK:
tinyurl.com/7tch2f2
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amela.muratovic@oegb.at 
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