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Muskelspiele: Ein Six-Pack für wen? Um einen vorgegebenen Budgetpfad einhalten zu können, muss noch mehr gespart werden. Dies kann in eine Abwärtsspirale führen, in der sich aktuell Griechenland und Portugal befinden.
Buchtipp

Muskelspiele: Ein Six-Pack für wen?

Schwerpunkt

Ende 2011 wurden die Verhandlungen über die umstrittene Economic Governance ("EU-Wirtschaftsregierung") von Rat und EU-Parlament abgeschlossen.

Über ein Jahr dauerte die Auseinandersetzung über die sechs Legislativvorschläge für die Economic Governance (dt. etwa "Wirtschaftssteuerung"), bekannt als das "Six-Pack", die bereits mit Anfang 2012 in Kraft getreten sind. Diese weitreichenden Änderungen sind parallel zum Gipfeltourismus der Staats- und Regierungschefs entstanden und bringen sowohl Verschärfungen der Budgetregeln (des "Stabilitätspaktes") als auch neue Überwachungsregeln für Staaten mit Leistungsbilanzdefiziten mit sich.

Sanierungspfad

Vier der sechs Gesetze regeln die verstärkte Überwachung und Durchsetzung von regelgebundener Budgetpolitik. Die Mitgliedsstaaten, insbesondere der Eurozone, verpflichten sich zu mittelfristig ausgeglichenen Haushalten und jährlichen Defizitsenkungen. Abweichungen vom Sanierungspfad werden bestraft. Zudem wurde eine Schuldenregel eingeführt, die besagt, dass bei einer Schuldenquote von über 60 Prozent jährlich um 1/20 des Mehrbetrags eingespart werden muss. Auch die Manipulation von Statistiken wird künftig mit Strafen belegt. Für die Entscheidung über die Verhängung von Sanktionen kommt ein umgekehrtes Mehrheitsverfahren zum Einsatz. Dabei gilt die durch die Europäische Kommission vorgeschlagene Sanktion als angenommen, wenn der Rat der FinanzministerInnen nicht innerhalb von zehn Tagen mit qualifizierter Mehrheit dagegen stimmt.
Dies ergibt ein extrem enges Korsett im Bereich der Budgetpolitik. So kann ab 2012 ein Staat auch dann abgestraft werden, wenn sein Budgetdefizit unter drei Prozent liegt. Im Abschwung müssen die Sparanstrengungen verschärft werden, anstatt gegenzusteuern. Aber gerade mit einer gelungenen antizyklischen Politik ist Österreich gut durch die Wirtschaftskrise 2008/10 gekommen.
Die schlechte budgetäre Situation Griechenlands wurde zum Anlass genommen, um das Kind mit dem Bade auszuschütten. Alle Staaten werden unter den Generalverdacht gestellt, Budgetsünder zu sein, und es wird versucht, die nationalen Spielräume in der Budgetpolitik zu minimieren. Dies ist nicht nur aus demokratiepolitischer Sicht bedenklich. Mit dem starken Fokus auf Einsparungen wird eine einseitige Wirtschaftspolitik festgeschrieben und einzementiert. Alle Staaten müssen sparen, dies führt dazu, dass die schwächelnde Wirtschaft keinen Auftrieb bekommt. Der neuerliche wirtschaftliche Abschwung verschlechtert auch die Budgetsalden: Für den Euroraum wird 2012 eine Stagnation erwartet, für Österreich nur mehr ein kleines Plus von einem halben Prozent. Wachstum ist die beste Sanierungsmaßnahme für Budgets. Ein um ein Prozent höheres Wachstum führt zu Mehreinnahmen und Minderausgaben von rund einem halben Prozent und vice versa. Das heißt, niedrige Wachstumsraten vergrößern automatisch das Budgetdefizit. Um einen vorgegebenen Budgetpfad einhalten zu können, muss noch mehr gespart werden. Dies kann in eine Abwärtsspirale führen, in der sich aktuell Griechenland und Portugal befinden.

EU-2020-Ziele im Hintertreffen

Die einseitige Betonung von Budgetdisziplin verhindert auch, andere wirtschaftspolitische Probleme anzugehen. So gerät die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut, die zu den zentralen EU-2020-Zielen - also zu den Leitlinien der EU - gehört, völlig ins Hintertreffen. Dabei hat auch hier die Krise reale Spuren hinterlassen. In Europa liegt die Arbeitslosigkeit bei zehn Prozent, dies sind mehr als 23 Mio. Menschen. Über 40 Prozent der Betroffenen sind längere Zeit arbeitslos, damit steigt die Gefahr der Verarmung dieser Menschen stark an. Die Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen ist enorm, in 18 der 27 EU-Staaten liegt sie über 20 Prozent, in einzelnen Gegenden Spaniens sogar schon bei 65 Prozent! Während also unheimliche Anstrengungen unternommen und Regelwerke geschaffen werden, damit Budgetdefizite in Hinkunft nicht mehr als ein halbes Prozent ausmachen, gibt es keine derartigen Bemühungen, um den Menschen innerhalb der EU eine Zukunft zu geben. Es wäre ja auch möglich, Armutsverminderungsziele und Beschäftigungsziele mit genau derselben Rigorosität zu verankern.

Gesamtwirtschaft beurteilen

Beim zweiten wirtschaftspolitischen Instrument, das Teil des Six-Packs ist, handelt es sich um einen neuen Mechanismus zur Bekämpfung und Korrektur "makroökonomischer Ungleichgewichte". Dabei wird versucht, die gesamte wirtschaftliche Lage eines Landes zu bewerten. Es gibt Länder mit hohen Exportüberschüssen, wie Deutschland, Österreich oder die Niederlande, aber auch Länder mit hohen Importüberschüssen. Damit diese Länder in einem gemeinsamen Währungsverbund verbleiben können, sollte sich ihre Wirtschaftskraft längerfristig angleichen. Dieser grundsätzlich gute Ansatz wird allerdings sehr einseitig ausgelegt und soll Staaten mit Leistungsbilanzdefiziten auf strikten Kurs zur Verbesserung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit bringen, notfalls auch mit Sanktionen. Das heißt, dass Lohndumping begünstigt wird und hohe Lohnabschlüsse bestraft werden. Denn der ursprünglich angedachte symmetrische Ansatz, dass Länder mit zu niedrigen Lohnabschlüssen - und damit auch zu niedriger Binnennachfrage - ebenso bestraft werden können, wurde in allerletzter Sekunde von Deutschland herausverhandelt. Das bedeutet aber, dass eine Angleichung zwischen den Staaten schwieriger wird und immer nur zulasten der Löhne möglich ist. Deshalb haben die Gewerkschaften von Anfang an gegen diese ungleiche Auslegung mobilisiert. Zwar konnte ein weiterer zentraler Kritikpunkt der Gewerkschaften ausgeräumt werden - in das Gesetzespaket wurde explizit eine "Schutzklausel" aufgenommen, die die Autonomie der Sozialpartner, der Kollektivvertragsverhandlungen und die Lohnfindungssysteme vor Eingriffen der EU-Kommission schützt -, aber es wurden auch einige Indikatoren konzipiert, die Ungleichgewichte messen sollen. Und die Messwirkung ist hier ebenfalls asymmetrisch, sodass der Druck auf die Löhne weiterhin bestehen bleiben wird.
Die EU geht mit dem beschlossenen Six-Pack einen weiteren Schritt in Richtung einer Wettbewerbsunion mit Druck auf Löhne und soziale Standards. Die Maßnahmen zur Europäischen Wirtschaftssteuerung bekämpfen lediglich Symptome, nicht aber die Ursachen der Krise. Es waren schließlich finanzielle Deregulierung und Spekulation, die zu hohen Schulden und Blasen auf den Finanzmärkten führten. Die jetzigen Budgetregeln müssten sofort wieder außer Kraft gesetzt werden, wenn es zu einer erneuten Krise auf den Finanzmärkten käme und Staaten wiederum dem Finanzsektor beistehen müssten. Diese Gefahr besteht weiterhin, weil der Bankensektor in Europa nach wie vor als unsicher gilt, was die Verluste der Banken in den letzten Monaten bzw. ihr enormer Rekapitalisierungsbedarf zeigen.  Schuld an der Krise waren nicht die ArbeitnehmerInnen, die vermeintlich über ihre Verhältnisse gelebt haben. Die jetzt unüberlegt eingeleitete Abmagerungskur in fast allen Mitgliedstaaten gleichzeitig könnte den Euroraum insgesamt teuer zu stehen kommen. Selbst der Internationale Währungsfonds und die OECD fordern Europa auf, wachstumsfördernde Maßnahmen zu setzen, denn in wirtschaftlich schlechten Zeiten können sich Staaten mit besseren Ausgangsvoraussetzungen leichter behaupten.

Starke Muskeln für den Sozialstaat

Die Ungleichheiten werden sich durch die aktuelle Wirtschaftspolitik in den nächsten Jahren noch verschärfen und der Euro steht damit permanent vor einer Zerreißprobe. Die EU sollte ihr Sixpack - ihre starken Muskeln - für die Ankurbelung eines nachhaltigen Wachstums, zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, zur Stärkung der Nachfrage, für Löhne, die der Produktivität angemessen sind, und für funktionierende Sozialstaaten einsetzen. Dann könnte die Stärke des gemeinsamen Binnenmarktes auch allen zugute kommen. Die Trainingsanleitung hierzu müsste aber in wesentlichen Punkten umgeschrieben werden.

Internet:
Sixpack bei Wikipedia:
tinyurl.com/6uqqncp
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christa.schlager@akwien.at 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 

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