topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Zentralbanken: Lender of last resort In "normalen" Zeiten entwickeln sich Geldbasis und Geldmenge weitgehend parallel. Diese "Geldschöpfung" ist ins Stocken geraten. Die Banken fürchten sich vor längerfristigen Bindungen und horten lieber Zentralbankgeld.

Zentralbanken: Lender of last resort

Schwerpunkt

Warum die EZB Staatsanleihen kaufen sollte und sich deswegen keine Sorgen über Inflation zu machen braucht.

Milton Friedman war kein Freund der Gewerkschaften. Die auf ihn zurückgehende Theorie des Monetarismus besagt u. a., dass es so etwas wie eine "natürliche Arbeitslosenrate" gäbe, jene, unter der die Inflation zu steigen beginne. Dieser Theorie nach ist Inflation vor allem ein monetäres Phänomen und hängt hauptsächlich von der Entwicklung der Geldmenge ab. Friedmans Empfehlung ist daher folgende: Zentralbanken sollten das Geldmengenwachstum so steuern, dass daraus kein Inflationsdruck erwächst. Arbeitsmarktprobleme seien am Arbeitsmarkt zu lösen, hohe Beschäftigung könne kein Ziel von Zentralbanken sein - ist sie aber in den USA.

Geldbasis und Geldmenge

Monetarismus beruht auf dem Glauben, dass Märkte immer und für alles funktionieren: Unternehmen sind nie zu wenig ausgelastet, Menschen werden nie unfreiwillig arbeitslos. Betrachtet man die tatsächliche Entwicklung von Geldmengen und Inflation, stellt man aber fest, dass der Zusammenhang sehr lose ist. So hat zum Beispiel die Rohstoffpreisentwicklung auch im Euroraum einen größeren Einfluss auf die Inflation als die Geldmengenentwicklung. Bei den Rohstoffpreisen spielt die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) eine geringere Rolle als Spekulation, Wettbewerbsprobleme und andere Faktoren; dementsprechend wäre anders gegen diese Preisausschläge vorzugehen. Eine Zentralbank kann solche Preisschocks nur durch Abwürgen der Konjunktur bekämpfen. Angesichts der Politik, die die EZB zurzeit verfolgt, würde wahrscheinlich selbst Milton Friedman den Kopf darüber schütteln, wie sehr sich diese gegen eine viel stärkere Erhöhung der Geldbasis sträubt. Selbst nach dem monetaristischen Ansatz müsste die EZB die Geldbasis so weit erhöhen, dass die Geldmenge wieder zu einem neutralen Wachstum zurückkehrt. Dass über Ausdehnung der Geldbasis durch die EZB zu viel Geld geschaffen wird, stimmt nicht.
Unter der Geldbasis versteht man das im Umlauf befindliche Zentralbankgeld (unser Bargeld) und die Einlagen der Banken bei den Zentralbanken, quasi ihre Girokonten. Mit dieser können die Banken Kredite vergeben und investieren. Als Geldmenge M3 bezeichnet man den Bargeldumlauf, die Sichteinlagen der Nichtbanken bei Banken und etwa bis zu zwei Jahre gebundene Einlagen bei Banken, also all jene Einlagen, mit denen man kurzfristig Einkäufe finanzieren kann.
In "normalen" Zeiten entwickeln sich Geldbasis und Geldmenge weitgehend parallel. Diese "Geldschöpfung" ist aber ins Stocken geraten, die Banken fürchten sich vor längerfristigen Bindungen und horten lieber Zentralbankgeld. Allein um die Geldversorgung stabil zu halten hätte die Geldbasis stärker erhöht werden müssen. Ab Ende 2009 begann die Geldmenge sogar zu sinken - trotz höherem Geldbasiswachstum seit Ende 2008, und auch zuletzt ist die Geldmenge wieder zurückgegangen. Dass die EZB im Sommer 2008, als die Probleme schon absehbar waren, noch die Zinsen erhöhte, passt ebenso in dieses Bild; sowohl die amerikanische Notenbank als auch die Bank of England hatten damals die Zinsen bereits gesenkt. Sie wiederholte diesen Fehler dann noch einmal 2011 und begann die Zinsen wieder zu erhöhen. Der vermutliche Beweggrund 2008: Bekämpfung des spekulationsgetriebenen Anstiegs bei Energie und Nahrungsmitteln. Der vermutliche Beweggrund 2011: vermeintliche Überwindung der Krise und Erholung am Arbeitsmarkt.

Kreditgeber letzter Instanz

Der Monetarist Friedman zog aus der Analyse der Politik der amerikanischen Notenbank in den 1930er-Jahren den Schluss, dass durch die Bankenkrise die Geldschöpfung durch die Banken ins Stocken geraten war. Die Wirtschaft glitt von einer Rezession in eine Depression, weil die Zentralbank nicht als "lender of last resort", als "Kreditgeber letzter Instanz" - die Funktion von Zentralbanken in Krisenzeiten -, agierte.
Nun stehen wir in Europa zwar nicht vor einer Depression wie in den 1930er-Jahren, aber wir befinden uns im vierten Jahr nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers immer noch in der Krise, und die Zeichen stehen nicht auf Aufschwung. Die Eurozone sieht sich den größten Unsicherheiten seit 2009 gegenüber und ist massiven Ungleichgewichten ausgesetzt. Die Zinsen für Staatsanleihen innerhalb der EU spielen verrückt: Das Zinsniveau für zehnjährige Staatsanleihen liegt zwischen rund zwei Prozent in Deutschland und über 30 Prozent in Griechenland. Vergleicht man die Zinsen, die Staaten außerhalb der Eurozone mit vergleichbaren oder schlechteren Daten zur Staatsverschuldung zahlen, mit jenen in der Eurozone, ergibt sich eigentlich nur ein wesentlicher Unterschied: In Japan, den USA und Großbritannien sind Zentralbanken bereit, als Kreditgeber letzter Instanz aufzutreten. Sie wissen, dass die Märkte weit davon entfernt sind, zu funktionieren. Zwar spricht auch der neue EZB-Chef Draghi davon, dass die Funktionsweise der Märkte beeinträchtigt sei. Wann, wenn nicht jetzt, ist es also Zeit für die EZB, diese Funktion wahrzunehmen?

Spanien und UK

Nehmen wir als Beispiele Spanien und das Vereinigte Königreich: Spaniens Staatsschulden betrugen im Jahr 2007 36,2 Prozent des BIP, und es erzielte einen Budgetüberschuss von 1,9 Prozent. Im Jahr 2009 stieg das Budgetdefizit auf 11,2 Prozent, für 2011 wurde mit einem Defizit von 6,6 Prozent gerechnet, die Staatsschuldenquote lag im vergangenen Jahr bei 69,2 Prozent. Spanien war vor der Krise gewissermaßen ein Musterschüler. Die Staatsschulden Großbritanniens beliefen sich 2007 auf 44,4 Prozent des BIP und es fuhr ein Budgetdefizit von 2,7 Prozent des BIP ein. 2009 stieg das Budgetdefizit des Vereinigten Königreichs auf 11,5 Prozent, und es wurde für 2011 mit 9,4 Prozent veranschlagt. Dennoch lag der Zins auf zehnjährige Staatsanleihen im Falle Englands im Dezember 2011 bei 2,1 Prozent und im Falle Spaniens bei rund 5,5. Das heißt, dass Spaniens Schuldenquote auch bei ausgeglichenem Budget aufgrund der hohen Zinsen steigen, jene Englands bei ausgeglichenem Budget sinken würde. Warum? Nun, die Bank of England steht ohne Einschränkungen bereit, Risiken vorübergehend in ihre Bilanz aufzunehmen, während bei Spanien ein Konkursrisiko nicht auszuschließen ist, u. a. weil die EZB nicht bereit ist, das Zinsgefälle in der Eurozone durch Interventionen am Anleihemarkt für Staatsanleihen so weit zu drücken, dass eine Konsolidierung auch gangbar wird.
Hieße ein solcher Aufkauf, dass der Zinsabstand zu Deutschland, das gegenwärtig die niedrigsten Zinsen in der Eurozone zahlt, gänzlich verschwinden müsste, also der "Disziplinierungseffekt" abhanden käme? Oder, dass dem Staat Spanien Geld der EZB zufließen würde, was gegen die EU-Verträge verstieße? Die Anleihen würden am Markt, also von den Banken, Versicherungen und Fonds gekauft. Das müsste nicht zu Inflation führen, weil dadurch zunächst nur die Geldbasis, aber nicht direkt die Geldmenge erhöht würde. Angesichts der dämpfend wirkenden Geldmengenentwicklung handelt es sich um eine Maßnahme, die ohnehin fällig ist. Es hieße, ein verstopftes Rohr zu reinigen. Mehr Liquidität nur über Kredite der EZB an die Banken wäre gleichbedeutend damit, mehr Wasser in ein verstopftes Rohr zu pumpen. Zudem hat die EZB genug Mittel in der Hand, diese Geschäfte zu "neutralisieren", also anderwärtig Zentralbankgeld abzuschöpfen. Es hieße einzig und allein, dass eine zentrale Schraube bei der Bewältigung der Krise - der Zins - nicht mehr allein in der Hand "der Märkte" und der Ratingagenturen läge, deren Funktion offensichtlich beeinträchtigt ist.

Die EZB hat es in der Hand

Bei der Ankündigung eines solchen unlimitierten Programms bräuchte die EZB wahrscheinlich sogar weniger zu intervenieren, als bei einem limitierten Programm. Dabei verhält es sich ähnlich wie bei der Einlagensicherung: Ein Bankenrun unterbleibt genau deshalb, weil es eine Garantie für die Einlagen gibt. Wenn ich weiß, dass ich die Anleihen europäischer Staaten jederzeit der EZB zu einem vernünftigen Preis verkaufen kann, muss ich sie nicht verkaufen, sondern kann beruhigt auf meine Couponzahlungen warten. Die Zinsen werden bei Staaten mit schlechteren Daten trotzdem etwas höher sein, als bei Staaten mit besseren Daten.
Die EZB hat es also in der Hand, entweder zur Totengräberin der europäischen Idee und damit ihrer selbst zu werden, oder die Sache in die Hand zu nehmen, und das zu sein, was Zentralbanken in Krisenzeiten sind: lender of last resort.

Internet:
Wikipediaerklärung Europäische Zentralbank:
tinyurl.com/2n3pp8
Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor
thomas.zotter@akwien.at 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum