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Märchenstunde Und trotzdem dauerte es nicht lange, bis die Märchenerzählung von vor der Krise wieder fortgesetzt wurde: Der Staat ist schuld.
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Märchenstunde

Schwerpunkt

In Europa erzählen PolitikerInnen, JournalistInnen und WirtschaftsexpertInnen gerne die Legende von der unverantwortlichen Budgetpolitik.

Vor gar nicht allzu langer Zeit herrschten scheinbar paradiesische Zustände: Globale, durch Deregulierung und elektronischen Handel entfesselte Finanzmärkte sorgten für traumhafte Gewinne, die durch Steuersenkungen zusätzlich gefördert wurden. Trotzdem konnten die Budgetsalden verbessert und die Staatsverschuldung abgebaut werden, nicht zuletzt, weil die Disziplinierung der Budgetpolitik im Zuge der Euro-Einführung (Stichwort Maastricht-Defizit) gewisse Grenzen setzte. Das einzige Risiko schien darin zu bestehen, nicht oder zu spät mitzumachen. Hie und da gab es zwar Probleme in der Peripherie (Ostasien 1997/98, Türkei 2000/01, Argentinien 2001/02, …), die letztlich aber nur die Grundlage für einen neuerlichen Boom bildeten - zumindest aus Zentrums-Perspektive, die ArbeitnehmerInnen in der Peripherie würden eine schmerzvollere Geschichte erzählen.

"Kapitalismus gescheitert"

2008 war alles anders. Überschriften wie "Kapitalismus gescheitert - das globale Finanzsystem lebt nur noch von Staatshilfe" waren keine Seltenheit und brachten das Problem auf den Punkt: Eine systemische Krise war auf dem besten Weg, außer Kontrolle zu geraten. Mittels massiver staatlicher Eingriffe - in erster Linie Bankenhilfen (EU-27: ohne Haftungen 618 Mrd. Euro bis Ende 2010) und Konjunkturpakete (über 200 Mrd. Euro) - konnte das Schlimmste vorerst allerdings abgewendet werden. Der angerichtete Schaden war enorm, denn abseits der direkten Kriseninterventionskosten verursachten Steuerausfälle und zusätzliche Ausgaben insbesondere aufgrund steigender Arbeitslosigkeit weitere Kosten. Allein in den ersten Jahren summierten sich die Krisenkosten in der Eurozone laut EU-Kommission auf rund 2,3 Bio. Euro. Zum Vergleich: Alle 189 Mio. ArbeitnehmerInnen in der EU müssen mehr als sechs Monate arbeiten, um zusammen ein so hohes Bruttogehalt zu erzielen.

Schuld sei die Staatsverschuldung

Man sollte meinen, der Zusammenhang zwischen Krise und Schulden könnte eindeutiger nicht sein. Und trotzdem dauerte es nicht lange, bis die Märchenerzählung von vor der Krise wieder fortgesetzt wurde: Der Staat ist schuld. Oder, in den Worten des Klubchefs der ÖVP von Juli 2010: "Die tiefere Ursache der Krise ist die hohe Verschuldung vieler Staaten." Noch schärfer formulierte es der Sprecher der deutschen Bundeskanzlerin letzten Oktober in der FAZ, wonach "nicht aus dem Blick geraten [dürfe], dass 'die jahrzehntelange Verschuldung, das jahrzehntelange Über-die-Verhältnisse-Leben‘ die derzeitige Krise verursacht habe." Anstatt kritische Rückfragen zu stellen, wird in deutschsprachigen Medien oft noch eins drauf gesetzt und der Wohlfahrtsstaat als Ganzes für die steigende Verschuldung verantwortlich gemacht.
Betrachtet man aber die tatsächliche Entwicklung der Staatsverschuldungsquote, so fällt auf, dass sie bis zur Krise sogar rückläufig war - in Österreich wie in der Eurozone (und der EU insgesamt sowie in den USA). Seit der ersten gesamteuropäischen Konsolidierungswelle nach der Rezession 1993 bzw. in Vorbereitung auf die Euro-Einführung sank die Staatsverschuldungsquote in der heutigen Eurozone von 74 Prozent der Wirtschaftsleistung 1996 auf 66 Prozent im Jahr vor der Krise. Ausnahmen bildeten lediglich Griechenland, Portugal sowie die beiden wirtschaftlichen Schwergewichte Frankreich und Deutschland. Ohne diese Länder hätte sich sogar ein rekordverdächtiger Rückgang von 29 Prozentpunkten ergeben. "Jahrzehntelange Verschuldung" sieht anders aus.
Der zweite Teil des Schuldenkrisen-Märchens, wonach der Wohlfahrtsstaat den Schuldenanstieg verursachte, enthält einen wahren Kern: Es ist tatsächlich dem Wohlfahrtsstaat zu verdanken, dass diesmal eine wirtschaftliche Depression wie in den 1930ern verhindert werden konnte. Gleichbleibende Sozialversicherungsleistungen trotz beträchtlicher Einnahmenausfälle waren teuer und trugen wesentlich zum Anstieg der Schulden in der Krise bei. Diese Entwicklung war allerdings alternativlos, denn Pensions- und Sozialkürzungen im Ausmaß der Einnahmenausfälle durchzusetzen wäre wirtschafts- und sozialpolitisch deutlich teurer gekommen.
Langfristig können die sozialpolitischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte aber nicht für die Schulden verantwortlich gemacht werden. Von 1970 bis 2007 ist die Sozialquote um sieben Prozentpunkte auf 28 Prozent der Wirtschaftsleistung gestiegen, finanziert durch eine Anhebung der Abgabenquote von 34 Prozent auf 42 Prozent des BIP. Der wünschenswerte Ausbau sozialer Leistungen wurde somit vollständig gegenfinanziert.

Wohlstand senkt Steuern für Reiche

In den vergangenen 20 Jahren ist allerdings ein schleichender gegenläufiger Trend festzustellen: Steigender gesellschaftlicher Wohlstand wird zunehmend für Steuersenkungen verwendet, die besonders jenen zugute kommen, die ohnehin höhere Einkommenszuwächse verzeichnen. Das widerspricht einer Abgabengerechtigkeit in dem Sinne, dass jene, die mehr zum Gemeinwohl beitragen können, auch tatsächlich mehr beitragen. Zum einen gilt das für Kapitalgesellschaften, deren Steuersatz in Europa (EU-15: ungewichteter Durchschnittssatz von 38 Prozent 1995 auf 27,4 Prozent 2008) wie auch in Österreich (von 34 auf 25 Prozent) deutlich gesenkt wurde, obwohl ihr Anteil am erwirtschafteten Ertrag deutlich gestiegen ist. Eine sinkende Abgabenleistung bei gleichzeitig besonders hohen Einkommenszuwächsen ist zum anderen auch bei Vermögenden festzustellen.
Wenn es nun um die Rückführung der Staatsschuldenquote geht, so gilt es, diese Entwicklungen zu berücksichtigen. Das bedeutet erstens, dass einnahmenseitige Maßnahmen auch zur Senkung der Krisenanfälligkeit beitragen sollen. Die Bankenabgabe ist hier ein Positivbeispiel, eine Finanztransaktionssteuer wäre ein weiteres. Zweitens sollten die begünstigten hohen Vermögens- und Einkommenszuwächse vor der Krise zumindest jetzt einen stärkeren Beitrag leisten.
An dieser Stelle ist auf den logischen Zusammenhang zwischen Steuern und Schulden hinzuweisen: Niedrigere Abgabenquoten (z. B. Irland, Japan, USA) stehen oft in Verbindung mit einer besonders hohen oder stark steigenden Staatsverschuldung, während Länder mit hoher Abgabenquote (z. B. Schweden, Dänemark, Finnland) finanziell besonders stabil sind.
Letztlich ist aus der krisenbedingten Verschuldung der Schluss zu ziehen, dass eine sinnvolle Budgetpolitik nur eingebettet in eine durchdachte Wirtschaftspolitik möglich ist. Zusammenhängende - wenn auch teilweise widersprüchliche - Ziele wie Wohlstands-zuwachs, Verteilungsgerechtigkeit, Beschäftigung, Preisstabilität oder Nachhaltigkeit sind mit stabilen Staatsfinanzen in Einklang zu bringen. Eine Konsolidierung der Staatsfinanzen kann folglich nicht ohne Rücksicht auf Verluste durchgeführt werden, weil sonst die anderen Ziele wie etwa ein hohes Beschäftigungsniveau oder eine gerechte Verteilung eines möglichst großen Wohlstandes aus dem Lot geraten - was wiederum die Konsolidierung selbst gefährden kann. Gerade wenn die aktuellen Prognosen auf höhere Arbeitslosigkeit und eine stagnierende Wirtschaft hindeuten, ist das die falsche Zeit für große Sparpakete.

Sparen kostet die Gesellschaft was

Da die Staatsausgaben vor allem unteren und mittleren Einkommen zugute kommen und zu mehr als zwei Drittel auf Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich entfallen, ist klar, dass Sparen mit gesellschaftlichen Kosten verbunden ist. Dies nicht zu berücksichtigen wäre jedenfalls eine unverantwortlichere Budgetpolitik, als in der Krise eine höhere Staatsverschuldung zu tolerieren, um die sozialen und wirtschaftlichen Kosten einzudämmen.

Internet:
Diplomarabeit von Georg Feigl:
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