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Kaputtsanieren 1922 Plakat zur Völkerbundanleihe. Die österreichische Regierung war von Wirtschaftswissenschaftern der "Wiener Schule" beeinflusst, aus deren Theorien der moderne Neoliberalismus hervorging. Karl Renner nannte es 1923 "neues Manchestertum".

Kaputtsanieren 1922

Historie

Ein ausgeglichenes Budget und eine zerstörte Volkswirtschaft mit explodierender Arbeitslosigkeit als Folgen falscher Sanierungspolitik.

1922 drohte ein Staatsbankrott. Die österreichische Regierung unter Bundeskanzler Seipel wendete sich an den neu gegründeten Völkerbund in Genf um Finanzhilfe. Dort hatten die Sieger des Ersten Weltkriegs, die "Entente-Mächte", das Sagen. Ihre Banker bestimmten die Auflagen für den "Rettungsschirm". Drei ZeitzeugInnen schildern hier, was sich damals abspielte und warum.
Richard Wagner, Redakteur des freigewerkschaftlichen Schneiderfachblatts, zur Ausgangslage:

... am 4. Oktober 1922 wurde der Genfer Pakt von den Vertretern Frankreichs, Englands, Italiens, der Tschechoslowakei und Österreichs unterzeichnet. Die Entente gewährte Österreich eine Anleihe von 650 Millionen Goldkronen. … Der Genfer Vertrag … unterstellte es der Kontrolle eines Generalkommissärs, den der Völkerbund ernannte, und einem Kontrollkomitee der Mächte. Der Generalkommissär entschied über die Verwendung der Anleihe und machte so das Land in allen seinen Beschlüssen von ihm abhängig.

Käthe Leichter, Leiterin des Referats für Frauenarbeit und Gemeinwirtschaft der Arbeiterkammern in Wien, zu den Folgen:

... die Genfer Sanierung bedeutete eine Sanierung des Staates auf Kosten der Wirtschaft. Durch die jähe Stabilisierung des Geldwertes verlor die österreichische Industrie mit einem Schlage die Absatzmöglichkeiten, die ihr die Geldentwertung auf den Auslandsmärkten verschafft hatte, während gleichzeitig die von Genf diktierte und kontrollierte Finanzpolitik durch Massenabbau ihren inneren Markt einengte, durch Steuer- und Tariferhöhungen, durch Hochhaltung des Zinsfußes und Kreditverknappung ihre Produktionskosten wesentlich erhöhte. Auf die Sanierung folgte die Sanierungskrise. … Ihren Höhepunkt fand (sie) im Jahre 1926. … Der Staatshaushalt war in Ordnung, die laufende Gebarung schloss sogar mit einem Überschuss ab. Aber jetzt zeigte sich erst in voller Klarheit, wie richtig der Gewerkschaftskongress im Frühjahr 1923 … diese Entwicklung vorausgesehen hatte: "Die vorübergehende Milderung der Krise der Staatswirtschaft ist erkauft durch eine verschärfte Krise der Volkswirtschaft." … Sinkende Produktion und sinkende Fertigwaren-Ausfuhr, trotz Stabilisierung steigende Lebenshaltungskosten, erschreckend anwachsende Arbeitslosigkeit - das ist die wirtschaftliche Entwicklung, die durch die Sanierung ausgelöst wurde.

Karl Renner, Gründungskanzler der Republik und 1923 sozialdemokratischer Oppositionspolitiker, beim Kongress der Freien Gewerkschaften zur Ideologie, von der das Sanierungskonzept bestimmt war:

... Abbau des Wirtschaftsstaates - der Staat soll nicht wirtschaften. Abbau des sozialen Staates - der Staat soll keine Sozialpolitik treiben. Abbau des Wohlfahrtsstaates - keine soziale Fürsorge. Abbau des Kulturstaates … Niederhaltung der Arbeiterklasse … Dieses neue Manchestertum, das im Staate nichts anderes sieht als ein Mittel der Polizei und der Gewalt, und nicht ein Mittel der Wirtschaft, der sozialen Verwaltung und der Kultur, ist die Heilslehre der Bourgeoisie geworden …

Zusammengestellt und kommentiert von Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at 

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