topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Österreichs 98 Komma irgendwas Die Menschen haben das Gefühl, dass zu viel spekuliert und Geld verprasst wurde. Sie kämpfen gegen ein System, bei dem fast alle ärmer werden, während eine kleine Minderheit sich bereichert und großen Einfluss auf die Politik ausübt.

Österreichs 98 Komma irgendwas

Schwerpunkt

Occupy everywhere: Eine Bewegung breitet sich aus - bis nach Österreich. Doch wer sind diese BesetzerInnen? WutbürgerInnen? Gutmenschen? Oder gar AntisemitInnen?

Ein buntes Häuflein Menschen hat sein Lager aufgeschlagen. Zelte dienen als Unterkunft, um dem strengen Winter - und dem System - zu trotzen. Der Ruf nach Brennholz wird laut. Im Camp wird diskutiert, Flugzettel werden verteilt, Meetings werden organisiert. Seit Mitte Oktober besetzt die Gruppe einen kleinen Teil Innsbrucks. Bis hierher hat sich die Occupy-Bewegung ausgebreitet und die TirolerInnen bilden die einzige Gruppe in Österreich, die noch immer ein Gelände - erst Waltherpark, dann Gramatboden - besetzt hält. Das heißt nicht, dass Occupy im Rest Österreichs zum Erliegen gekommen wäre, aber das Tiroler Beispiel zeigt, wie es den "99 %" auf der ganzen Welt geht: Der Protest aus dem Herbst muss über den Winter getragen werden.
Seit September laufen die Auflehnungen unter dem Namen "Occupy". Bereits im Juli rief die US-Zeitschrift "Adbusters" angesichts der immer größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich zum Protest auf. AktivistInnen griffen am 17. September 2011 die Idee auf und besetzten die Wall Street, Symbol des internationalen Kapitalismus.

99%

Von dort breiteten sich die Proteste rasant aus - eine Mischung aus Demo und Party, Politik und Spaß, Krawallen und Stricken für Gerechtigkeit. Das ist nicht mehr die alte Linke, die hier auf die Straße geht, es sind die sogenannten "99 %". Genauso bunt zusammengewürfelt wie die AktivistInnen sind auch ihre Forderungen. Die Menschen haben das Gefühl, dass zu viel spekuliert und Geld verprasst wurde. Sie kämpfen gegen ein System, bei dem fast alle ärmer werden, während eine kleine Minderheit sich bereichert und großen Einfluss auf die Politik ausübt. Diesem einen Prozent an Gierigen und Korrupten stehen 99 Prozent der Bevölkerung gegenüber. David Graebner, Herausgeber der Zeitschrift "Adbusters", prägte den Slogan von den "99 %", der die Kritikpunkte der Occupy-Bewegung auf den Punkt bringt: Ungleichheit, Ungerechtigkeit, Armut, Abstieg der Mittelschicht, Verschuldung der Staaten, Reichtum der Reichen und Einfluss der Wirtschaft auf die Politik. Doch dieser diffuse Protest, diese Ungewissheit, gegen was und wie man dagegen antreten könne, bietet eine breite Spielwiese, die nicht nur von den "Guten" genutzt wird - wie man sehr gut in Österreich sieht.

WutbürgerInnen?

Während zahlreiche NGOs wie Attac oder SOS Mitmensch und auch die GPA-djp sowie die Gewerkschaft vida den ersten Aufruf zu einem internationalen Protesttag Mitte Oktober 2011 noch mittrugen, folgten dem Ruf zum zweiten Protesttag am 15. Jänner 2012 in Wien nur 300 DemonstrantInnen sowie eine Mischung von Rednern, die auch in der Bewegung selbst für Aufregung sorgte: So etwa "Wutbürger" Roland Düringer, Tierschützer Martin Balluch und - hier wird es delikat - Franz Hörmann, Professor für Unternehmensrechnung an der WU Wien. Bereits im Vorfeld wurde auf der Facebook-Seite von Occupy Austria heftig diskutiert, ob dieser für die Bewegung tragbar sei. Der Vorwurf: Antisemitismus. Hörmann ist Mitbegründer der Partei HWP, des österreichischen Zweigs der HuMan-Weg-Bewegung des Schweizers Hans-Jürgen Klaussner.
Wie der Blogger und Occupy-Salzburg-Aktivist Bernhard Jenny auf-deckte, waren auf der Website der HPÖ kreditie.at Aussagen zu finden wie:  "Die US-Regierung weiß ebenso wie ihre geistig-jüdischen Führer, dass nur das neue Europa die Welt zu regieren berufen ist. Sie hatten berechtigt die nackte Angst im Nacken gespürt, als das neue Wirtschaftssystem des Deutschen Reiches ab 1933 die Arbeitslosigkeit mit fast zinslosem Geld ohne Golddeckung beseitigte und damit ein überragendes Beispiel für alle freiheitsliebenden Völker in Europa erschuf, das nur mit dem zweiten Weltkrieg wieder zum Verschwinden gebracht werden konnte." (Zitiert nach profil, 2012/4. Die inkriminierte Passage ist inzwischen offline.) Hörmann weigert sich, sich von dieser "persönlichen Meinung" Kraussners zu distanzieren. Er möchte seine Kritik am Geldsystem äußern. 2011 erschien das Buch "Das Ende des Geldes", gemeinsam verfasst mit Otmar Pregetter - der sich seinerseits in einer APA/OTS-Aussendung vom 5. Dezember 2011 "zur Gänze von der von Franz Hörmann (mit)gegründeten 'Human-Weg-Partei‘ distanziert". Die Partei verfolge Ansätze, "die über weite Strecken von 'Allmachtsphantasien‘ sowie 'antisemitischen Äußerungen‘ überlagert seien". Nach Artikeln in der "Presse" und im "profil" distanzieren sich auch Prominente wie Robert Misik oder Klaus Werner-Lobo. "Falls es jemals 99 Prozent waren, sind’s jetzt nur mehr 98 Komma irgendwas. Mit Leuten, die Antisemitismus als dialogfähig erachten, führe ich keinen Dialog, ich bekämpfe sie", so Werner-Lobo auf seiner Facebook-Seite.

Über das Geldsystem diskutieren

Gehört Occupy Österreich nun ins rechte Eck? Wurde die Bewegung gar von AntisemitInnen und VerschwörungstheoretikerInnen unterwandert?
"Die Aussagen von Franz Hörmann sind seine ganz persönlichen und reflektieren auf keinen Fall die Meinung von Occupy Austria", reagierte Occupy Österreich. Auch Georg Pleger, Pressesprecher von Occupy Innsbruck, erwidert im Gespräch mit A&W: "Ich grenze mich ganz klar gegen den Vorwurf ab, in irgendeiner Form antisemitisch zu sein oder dieses Gedankengut zu unterstützen. Ich möchte über das Geldsystem auf inhaltlicher Ebene reden und nicht auf dieser billigen Ebene diskutieren."
Hier passiere auch folgender Fehler, so Pleger: Sobald man über das Zinssystem diskutiere, käme man in den Verdacht des Antisemitismus. Eine sachliche Diskussion sei nicht möglich, diese sei aber auch ein Anliegen von Occupy Innsbruck: "Es geht darum, das bestehende Geldsystem und die Frage der Geldschöpfung zu hinterfragen. Dieser Teil wird auch von Herrn Hörmann mitgetragen, seine Vorstellungen auf anderen Ebenen sind nicht die Vorstellungen von Occupy. In der Kritik am Geldsystem treffen wir uns mit Herrn Hörmann genauso wie mit anderen Organisationen und Geldtheoretikern."

Die Zukunft von Occupy Österreich

Dies war auch ein wichtiger Punkt in der ersten nationalen Occupy-Konferenz am 20. und 21. Jänner in Linz. Wieder war Hörmann als Redner geladen. Nach der Konferenz stellte Occupy Österreich klar: "Hörmann hat als Universitätsprofessor eine kritische Meinung zum heutigen Geldsystem. (…) Er hat sich nun entschlossen eine eigene Partei zu gründen und hat somit den Weg der Bürgerbewegung verlassen. Dies nehmen wir zur Kenntnis, und werden ihn in Hinkunft nicht mehr als Vortragenden einladen."
Wie kann eine offene Bewegung mit dem Anspruch die "99 %" zu vertreten, reagieren? Muss sie Grenzen ziehen, um nicht unterminiert zu werden? "Wenn sich in Occupy Austria so wenige Leute engagieren, passiert es sehr leicht, dass man unterwandert wird", gibt sogar Mitinitiator von Occupy Wien Philipp Janýr in einem Facebook-Kommentar zu. Zwangsläufig sind im Entstehen begriffene Bewegungen von jeder Richtung her angreifbar. Darauf zielen rechte Strategen auch ganz bewusst ab, nicht nur in Österreich. Die NPD Frankfurt a. M. rief dazu auf, "Occupy zu okkupieren", Republikaner in den USA wollen ein "Occupy Afghanistan". Unter dem Anspruch, dass in einer "echten" Demokratie jede Meinung ein Recht habe geäußert zu werden, ist man diesen unerwünschten Zurufen ausgeliefert - bis man klar Position bezieht. Das sieht auch Willi Mernyi, Leiter des Kampagnenreferats des ÖGB, so: "Natürlich freut sich jeder Gewerkschafter über die Aufbruchstimmung in der Gesellschaft. Aber angesichts der hier involvierten Personen ist eine breite Allianz von NGOs und Gewerkschaften sinnvoller. Diese verfolgen klare Ziele und man weiß, wofür sie stehen." In Innsbruck geht die "freundliche" Besetzung am Gramartboden bis in den Frühling weiter, im Februar wird es wieder eine Occupy-Konferenz geben. Bis dahin, so empfiehlt Georg Pleger, sollte man sich zumindest so weit engagieren, dass man selbst bereit für den Protest ist: "Occupy yourself" ist das neue Schlagwort.

Internet:
Die Homepage von Occupy Innsbruck:
99prozent.info
Schreiben Sie Ihre Meinung
an den Autor
martin.haiden@aon.at 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 

Buchtipp
Franz Hörmann, Otmar Pregetter
Occupy! (eBook)
Die ersten Wochen in New York Eine DokumentationSuhrkamp Verlag, 2011, 94 Seiten, EUR 5,99
Bestellung:
ÖGB-Fachbuchhandlung, 1010 Wien, Rathausstr. 21, Tel.: (01) 405 49 98-132
fachbuchhandlung@oegbverlag.at 
 

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum